Serien-Besprechung: „Dark“ Staffel 1

Seit den frühesten Meldungen über die erste deutsche Netflix-Eigenproduktion war ich gespannt. Wird sie floppen? Wie eine typisch-deutsche Serie aussehen? Was ist typisch-deutsch bei Serien überhaupt? Man könnte meinen Quasi-Remakes bekannter amerikanischer Serien oder welche in denen der Schweiger oder der Schweighöfer mitspielen!? Dann kamen langsam Meldungen raus: „Dark“ würde sie heißen, die erste deutsche Netflixserie. Und dem Genre Mystery zuzuordnen sein? Mystery ist total mein Ding. Der zweite Trailer deutet an: es geht um Zeitreisen!? Es wird immer besser! Ja, das Thema hat mich beschäftigt. Und ich habe sie sofort geschaut und fast sofort zu Ende geschaut. Warum ich so spät darüber schreibe? Keine Ahnung. Aber Review ist spoilerfrei. Auch wenn’s weh tut.

„Dark | Official Trailer [HD] | Netflix“. via Netflix (Youtube)
https://www.youtube.com/watch?v=zy0b9e40tK8

Es war einmal in einer Stadt in Deutschland. Winden und ist ein Beispiel für den Wandel der Zeit und den Fluch des Fortschritts. Während Winden in den 1953 als künftiges Wirtschaftswunder angepriesen wurde, weil ein „zukunftsweisendes“ Atomkraftwerk geplant wurde und genau dieses 30 Jahre später viele Arbeitsplätze beherbergte, ist es 2019 verschrien. Die Windener werden in Dark im 33-Jahres-Rhythmus beobachtet. 1953, 1986, 2019. Und für den Zuschauer beginnt die Reise 2019 mit Jonas Kahnwald (Louis Hofmann), der gerade aus einer Nervenheilanstalt kommt.

Seitdem sein Vater sich vor einigen Monaten das Leben nahm, ist Jonas verzweifelt und wütend. Seine Freunde, allen voran Bartosz (Paul Lux) und Martha (Lisa Vicari), sollten ihn auffangen. Stattdessen sind Martha und Bartosz nun zusammen. Jonas Leben fühlt sich nicht mehr wie seines an und in den kommenden Tagen wird er tiefer in Windens Eingeweide gezogen, als er erwartete. Zeitgleich kommt die Windener Polizei in Erklärungsnot aufgrund des Verschwindens eines Jungen. Und dann wird eines Tages eine Kinderleiche gefunden. Verbrannte Augen und seltsame Verletzungen, schwer zu identifizieren. Bis der Polizist Ulrich Nielsen (Oliver Masucci) darin seinen vor dreißig Jahren verschwundenen Bruder zu erkennen glaubt, nicht etwa, das kürzlich verschwundene Kind. Aber konnte der Leichnam so lange erhalten bleiben?Der letzte Funke, den Winden und seine Einwohner brauchen, wird gezündet, als Ulrichs Sohn Mikkel (Daan Lennard Liebrenz) als nächstes verschwindet.

Es ist sehr passend, dass sich Dark seit seinem zweiten Trailer und ersten Presse-Mitteilungen mit dem Satz „Die Frage ist nicht wer, sondern wann“ ankündigt. Es ist keinesfalls so, dass der Täter schnell entlarvt wird, aber der viel größere Gegenspieler ist das Rätsel. Das Warum. Während der Zuschauer über anfangs zwei Zeitebenen, 2019 und 1986, das Leben der Familien Nielsen, Kahnwald, Doppler und Tiedemann beobachtet, wird schnell klar, dass Zeitreisen im Spiel sind. Kinderleichen, die in 2019 verschwunden sind, tauchen dreißig oder sogar noch mehr Jahre früher auf und andersrum. Der eine oder andere Windener lässt sich auf ein gefährliches Spiel ein, als er die Windener Höhlen betritt und in einer anderen Zeit verlässt. Aber am selben Ort. Leider bemüht sich die Serie nicht uns innerhalb der ersten Staffel zu erklären wie genau das sein kann. Und hier liegt auch einer meiner einzigen beiden Kritikpunkte. Es wäre ganz schön gewesen, wenn man einfach mal den Sack zumacht und eine gute Geschichte innerhalb einer Staffel zu Ende erzählt. Aber nein, im Dezember 2017 wurde bereits die zweite Staffel angekündigt.

Und ja, Dark ist eine gute Serie, da sie mehr bietet als ein Whodunit. Neben den Krimi-Elementen verbinden sich dort v.A. Mystery und Drama, da sowohl Raum gelassen wird für die Zwischenwelt der Jugendlichen in Winden. Zwischen Kind-sein und Erwachsen-werden-müssen. Und auch die Familien und ihre Herausforderungen in den verschiedenen Zeitebenen werden gefühlvoll und vielschichtig inszeniert. Gerade, wenn mit 1953 noch die dritte Zeitebene an Familiengeheimnissen dazukommt, offenbart sich ein weiterer Hauptcharakter der Serie: die Zeit. Nicht nur die Familien an sich, sondern auch ihre Lebensumstände werden zart eingeflochten als weitere Hindernisse. Andere Zeit, andere Gesellschaft, andere Werte, andere Herausforderungen, andere Leben. Den Überblick zu bewahren, wer wer ist, ist einer der Teaser der Serie. Es ist spannend, es hält bei Laune, es fordert die Hirnwindungen. „Das muss doch jetzt die Tochter von xyz sein? Und dann ist das … die Polizeichefin aus 2019?“ Das macht Laune, wenn man gern mitdenkt. Die Serie unterstützt das mit dem benötigten Minimum an Aufklärung, wenn gegen Ende der Episode mittels Split-Screen mal offenbart wird, wer in welcher Zeitebene wer ist. Und wartet mit einigen schwer wiegenden Überraschungen auf, die plötzlich noch viel weitere Kreise ziehen als die ursprünglichen Kriminalfälle. Besonders für Jonas wird das weitreichende Konsequenzen haben.

„Eine Entscheidung für etwas ist auch immer eine Entscheidung gegen etwas.“

Dark ist damit eine intelligent inszenierte Serie, die leider mit dem Cliffhanger der ersten Staffel und den nicht beantworteten Fragen ein wenig enttäuscht. Nicht herb enttäuscht, sondern in die „Ich-will-wissen-wie-es-weitergeht“-Richtung. Ein großes Plus ist, dass Netflix den Gedanken an eine deutsche Eigenproduktion lebt. Beobachtet man den Vorspann, sieht man Namen aus dem deutschsprachigen Raum, bekannte Schauspieler wie Christian Pätzold, Oliver Masucci, Jördis Triebel, Antje Traue unvm. die endlich in größeren Produktionen zu sehen sind genauso wie Newcomer. Zudem führte der Schweizer Baran bo Odar (u.a. Who Am I – Kein System ist sicher) Regie. Also wenn Netflix sagt, dass es eine deutsche Eigenproduktion wird, dann hält es offensichtlich sein Wort und bekommt dafür viel Sympathie von mir. Dark holt Deutschland auch auf amerikanische und andere Bildschirme und bringt viele dazu mal die Untertitel-Funktion zu suchen, was schon ein Gewinn für sich ist 😉 Der visuelle Stil der Serie hat das auch verdient, denn er vereint eine düstere Ästhetik mit dem Charme der Herausforderungen anderen Epochen. Da trifft Nenas „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ auf Nachkriegs-Strenge. Soundtrack und Stil sind perfekt. Was aber mein anderer kleiner Kritikpunkt ist: der Pathos. So oft wie Jonas, Martha und die Windener lebensverändernde Gespräche über ihre Gefühle im Regen führen, müssten sie eigentlich alle ständig erkältet sein.

(8/10)

Sternchen-8

„Dark : Opening Credits / Intro (Netflix‘ Series)“, via ★ TV-Series – Opening Credits / Intro ★ (Youtube)

Trotz all der Lobhudelei bin ich mir nicht sicher, ob mir gefällt in welche Richtung sich die Serie gegen Ende entwickelt und ob eine zweite Staffel das halten kann, was die erste begonnen hat. Bei dem Cliffhanger und was er andeutet, fällt es mir schwer, mir vorzustellen, dass die zweite Staffel so glaubwürdig und rational bleibt und mich auf derselben emotionalen Ebene abholt. Vermutlich ist dassder Grund, warum ich so lange mit der Review gewartet habe. Das Ende macht mir ziemliche Kopfschmerzen. Aber schauen wir mal. Habt ihr „Dark“ geschaut? Wie empfindet ihr die Serie? Und im Speziellen das Ende? Was ist typisch deutsch für eine Serie? Und ist Dark typisch deutsch?

13 Antworten

  1. Hm, vielleicht muss ich doch wieder mein Netflix Account reaktivieren. Die Serie klingt zumindest sehr spannend, danke für den Artikel. 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Echt – hast du den eingemottet? 😀 Gab es nicht genug, was dich anspricht?
      Ja also Dark kann ich wärmstens empfehlen. Aber leider gehen sie nicht so sehr darauf ein wie die Zeitreise möglich ist – den „Spoiler“ bzw. die Warnung schicke ich schon mal voraus. Weil ich weiß, dass das alle technisch-versierten etwas enttäuscht…
      Aber was die Implikationen und das Drama betrifft, ist es echt gut und lädt zum Spekulieren ein.

      1. Das Problem ist, dass ich mit Netflix öfters Serien anschaue die ich mir im Grunde nicht ansehen will, aber durch den Cliffhanger am Ende wirklich jeder Episode kann ich dann nicht mehr aufhören bis ich das Ende kenne. 😉
        So wild sehe ich das bei der Erklärung der Zeitreise nicht, da sie eh nur wie einen Metapher wirkt.

  2. Ich mag die Serie wirklich sehr gerne, aber ich habe Angst, dass sie das gleiche Schicksal wie Lost erleidet. Ich hoffe, die Macher können den Überblick behalten, alle wichtigen Fragezeichen ansprechen und der Serie ein gutes Ende geben.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ein ähnliches Gefühl hatte ich zwischendurch auch bei Westworld. Also dass die Serien soviel „Mystery“ kreieren, dass sie dann nicht mehr in der Lage sind das schlau aufzulösen. Das meinst du, oder? Jaaaa die Gefahr ist hier groß, zumal sie in Staffel 1 schon echt viele Geheimnisse unaufgeklärt ließen … na hoffen wir mal das beste ^^“ Aber ich plädiere allgemein sehr dafür, dass sie nicht 17 Staffeln draus machen. In der Kürze und so,..

      Allerdings gehöre ich zu den 2% der Menschheit die das Ende von LOST echt gut fanden XD Dafür empfand ich sie zwischendurch als sehr langweilig und allgemein als zu künstlich lang… leider.

  3. Ist das womöglich die Serie, die ein englischer Booktuber als „Stranger Things auf Deutsch, nur besser“ bezeichnet hat? Da ich beides nicht kenne, kann ich es nicht beurteilen. Muss mal nachgucken 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Haha, ja das ist sie 😉 Da fällt mir ein, dass ich die Referenz auch einbauen wollte. Der Vergleich drängt sich so auf! „Stranger Things“ besteht zu 60% daraus, dass die Kids einem Mysterium im Wald hinterherjagen. Und in „Dark“ gibt es eine Szene, in der Teenager und ein Grundschulkind nachts durch den Wald laufen und … ja. 😉

      1. Das war glaube ich Simon, oder? Naja, da ich eh kein Netflix hab… Aber dafür kann ich jetzt wieder normales britisches Fernsehen sehen 🙂 Ich hab es ja eh mehr mit Period Dramas 🙂

  4. Ich mochte die Serie sehr und freue mich auf die 2. Staffel. Der Dauerregen hat mich auch etwas genervt und das bedeutungsschwangere Atomkraftwerk, aber jammern auf hohem Niveau. Der Soundtrack war ebenfalls erste Sahne. Davon gerne mehr 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Wirklich ein klasse Soundtrack … ich höre den immer mal wieder. Aber v.A. der Song „A Quiet Life“ hat es mir derb angetan. Und das Opening.
      Also dieser Dauerregen ja – was sollen denn da Leute außerhalb Deutschlands denken 😉 Und zum Atomkraftwerk: Mein Liebster meinte nur „Also wenn das Atomkraftwerk die Ursache der Zeitreisen ist, raste ich aus“ XD Naja … mal schauen wie sie das noch erklären.

  5. Der Regen-Running Gag ist schon gut. 😉
    Ich bin mir beim Ende der Staffel auch sehr unsicher wie das weitererzählt werden soll. Scheint sich bei den ersten gesehenen Bildern wohl mehr ins Dystopische zu drehen.

  6. […] Da zitiere ich mal relativ aktuell (aus Dark) […]

  7. Schöne Besprechung!

    Die erste Staffel von Dark war genau mein Ding. Die Serie hat mich auf mehreren Ebenen total abgeholt. Für mich ist bei Filmen und Serien die Atmosphäre super wichtig, da kann ich dann auch Inhaltliches schon einmal verzeihen. Und die Atmosphäre stimmt hier für mich total. Ich mochte das Bild, die Musik, die Schauspieler*innen – ich mochte einfach alles. Absoluter Hammer!

    Danach passierte dann etwas, was leider immer wieder passiert, ähnlich z.B. auch bei Stranger Things oder beim Hörspiel Mia Insomnia. Man hat ne geile, stimmige Story, „ruininiert“ die dann aber ein wenig, indem man alles dann noch größer und komplizierter macht. Das ist dann oft immer noch gut, hätte aber einfach nicht sein müssen und kann in der Regel qualitativ nicht mit der ersten Staffel mithalten.

    Witzig fand ich, wie sehr sich einer der Macher darüber freute, als Stephen King die Serie öffentlich empfohlen hat. Das ist natürlich ein krasses Lob, das ich persönlich mir ausdrucken, einrahmen und an die Wand hängen würde 🙂

    Jettz bin ich gespannt auf Deine Besprechungen der Staffeln 2 und 3.

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