Heute gibt es bei den Serien-Besprechungen quasi das Science-Fiction Doppelpack mit zwei Serien, die nicht nur demselben Genre zuzuordnen sind, sondern beide von einer (un)schönen neuen Welt erzählen und auf Büchern basieren. Es gilt wie immer: weitestgehend spoilerfrei.
„Altered Carbon – Das Unsterblichkeitsprogramm“ Season 1
Der menschliche Körper mag einerseits ein Wunderwerk sein. Andererseits wünschen wir uns spätestens dann, wenn wir krank werden, dass man ihn debuggen könnte. Dass man sagen könnte „Was ist die Ursache?“ Und in viel zu vielen Fällen raffen Krankheiten Menschen dahin oder schränken uns ein. Wäre es nicht einfacher, wenn wir einfach neu machen könnten? Austauschen? Von vorn anfangen? Einen Geist, eine Seele, einen Charakter mit Erinnerungen nicht verkommen zu lassen, weil die Biologie streikt? Genauo das ist der Gedanke hinter Altered Carbon und seiner Zukunftvision. In der Welt von Altered Carbon verfügt jeder Mensch über einen sogenannten (cortical) stack. Ein Speichermedium, dass sich im Nacken der Menschen befindet und ihr „Wesen“ aufzeichnet. Niemand stirbt mehr wirklich, solange der stack intakt ist. Der Körper kann einfach ausgetauscht werden. Stack raus, stack rein. So werden Körper zu einer Ware – oder einem Abfallprodukt und mit dem Begriff sleeve degradiert. Im Jahr 2384 wacht der Söldner Takeshi Kovacs (Joel Kinnaman) in einem fremden Körper auf. Man sagt ihm, dass er 250 Jahre auf Eis war. Er wurde aufgrund seiner politischen und als terroristisch eingestuften Aktivitäten dazu verurteilt ohne Körper in einer Art Cryo-Schlaf zu verbringen. Ein Stack auf Eis. Der Grund, warum er freikommt ist ein Auftrag. Der einflussreiche Laurens Bancroft (James Purefoy) wurde ermordet. Er „lebt“ nur noch, weil er von seinem Stack jeden Tag ein Backup machen lässt. Takeshi soll den Mörder finden. Ein Kriminalfall, der sich empfindlich mit dem der Polizistin Kristin Ortega (Martha Higareda) überschneidet.
„Altered Carbon | Official Trailer [HD] | Netflix“, via Netflix (Youtube)
Das Szenario seinen Körper tauschen zu können ist Genrefans wahrscheinlich schon aus Franchises wie Ghost in the Shell bekannt. Aber hier sind es nicht etwa von Androiden-Körper und Cyberbrains die Rede. Dass Körper austauschbar sind, öffnet hierbei Tür und Tor für eine Reihe von Szenarien. Beispielsweise der Identität, nicht zuletzt der sexuellen. Was, wenn man an einen Körper gebunden ist, der sich nicht „richtig“ anfühlt? In punkto Transgender ein aktuell noch sehr oft verkanntes Problem, das in der Zukunftsvision viele ereilen kann. Körper als austauschbare Ware und Abfallprodukt sind in der Serie ebenso an der Tagesordnung. In punkto Ideenreichtum spart die Serie nicht, greift aber auch einige längst zu Tropen gewordene Stilmittel auf, die man aus Klassikern wie Blade Runner kennt wie Hologramme, die die Straßenlandschaft zieren. Aber die Serie kann noch mehr in punkto Sci-Fi. Laut Kennern der Vorlage, müsste die Serie in kommenden Staffeln um einiges außerirdischer werden. Die Stacks sind eigentlich eine extraterrestrische Technologie. Die erste Staffel erwähnt das bereits und zeigt, dass fremde Planeten erschlossen wurden. Es war aber sehr schlau von den Serienmachern den Zuschauer bei all den Einflüssen, die die Serie ohnehin schon hat, nicht mit noch mehr Sci-Fi-Stoff zu konfrontieren und Außerirdische erstmal rauszulassen.
Kovacs Odyssee dreht sich bald nicht mehr um Bancroft alleine, sondern v.A. auch um seine eigene Vergangenheit. Der Paradigmenwechsel setzt ein, nachdem die Welt erkundet zu sein scheint und verwandelt sich in ein Familiendrama, dass die Nerven etwas strapaziert. Die Nebenhandlung machen die Serie aber stark. Beispielsweise die von Lizzie (Hayley Law), die schwer traumatisiert ist und nur noch virtuell existiert. Oder die Kulisse des intelligenten Hotels mit seinem digitalen Host Poe (Chris Conner), einer KI, die es mit Privatsphäre nicht so genau nimmt. Auch Bancroft und Kovacs mischen sich in diesen Pool und münden in einem Finale, dass sich sehen lassen kann. Nur Kovacs Vergangeneinheit in Form einer bestimmten Person raubt einem den letzten Nerv und verwässert die eigentlich klug konstruierte Handlung.
(7/10)
Philip K. Dick’s „Electric Dreams“
Mit enormen Aufwand wurde das Prinzip der Anthologieserie in Electric Dreams auf die Spitze getrieben. Man kennt schon von American Horror Story, dass jede Staffel ein eigenes Setting hat. Aber hier ist jede der 10 Episoden eine Umsetzung einer jeweils anderen Science-Fiction-Geschichte von Philip K. Dick. Darunter sehr bekannte wie u.a. The Impossible Planet und Autofac oder auch welche, die zumindest mir noch nicht begegnet sind wie The Hood Maker. Nicht nur Handlung, sondern auch Cast wechseln von Episode zu Episode und überraschen mit bekannten Namen. Brian Cranston mimt beispielsweise in Human Is einen General, der nach einem Einsatz auf dem interstellaren Schlachtfeld plötzlich liebevoll und nett zu seiner Frau ist – wurde er ausgetauscht? Timothy Spall ist in The Commuter ein Bahnangestellter, der von einer Pendlerin immer wieder nach einem Ticket zu einer Stadt gefragt wird, die eigentlich nicht existieren dürfte. Ansonsten verteilen sich u.a. Juno Temple, Steve Buscemi, Richard Madden und Anna Paquin auf die Episoden. Die Geschichten sind zum Gropßteil dem Science-Fiction-Genre zuzuordnen und spielen jeweils in einem eigenen Setting mit teils aufwendigen Kulissen und Kostümen. Man kann quasi keine Episode mit einer anderen verwechseln: sie sind vom Stil her einzigartig und mitunter ziemlich bunt. Sprühen nur so vor Ideen und Zukunftsmusik – sogar welcher, die den Inhalt der zugrunde liegenden Kurzgeschichten übersteigt.
„PHILLIP K. DICK’S ELECTRIC DREAMS Official Trailer (HD) Amazon Exclusive Series“, via JoBlo TV Show Trailers (Youtube)
In den Geschichten spielen mitunter Technologien eine Rolle, die gar nicht so extrem nach Fiction klingen, sondern viel mehr nach einer Vision, an der schon gearbeitet wird oder die existent ist. Drohnen und vollautimatisierte Fabriken beispielsweise wie in Autofab (der Name ist Programm). Manche Geschichten haben mehr Fantasy-Anleihen wie beispielsweise The Hood Maker, das in einer Welt spielt, in der Menschen mit telepathischen Fähigkeiten („Teeps“) existieren, aber ausgegrenzt werden. Das World-Building ist in der Mehrheit der Geschichten durchdacht und klingt nach einem guten Aufhänger für mehr als nur eine Serienepisode. So sind die Teeps beispielsweise in der Lage über die sogenannte „Grapevine“ Informationen von verschiedenen Menschen zusammenzusammeln und zu aggregieren. So entsteht ein „mentaler Wikipedia-Artikel“ – unerlässlich in einer Welt ohne Internet o.Ä. Eine Stärke von Science-Fiction ist es außerdem moralische Implikationen aufzuzeigen, was den Geschichten mal mehr, mal weniger gut gelingt. The Commuter beispielsweise stellt die fast herzzerreißende Frage, ob es ok ist einen schwierigen Menschen, dem eine schwierige Zukunft bevorsteht, einfach aus der Realität auszulöschen. Ist man dann ein Mörder? Ist das gewährleistet, nur weil jemand schwierig ist? Nicht umsonst eine meiner Lieblingsepisoden. Aber man muss den Stil mögen. Sie bieten (evtl gemäß Philip K. Dicks Stil zu Erzählen) keine Erklärung oder Lösung an, sondern schicken ihre (Anti)Helden stets hilflos in die außergewöhnlichen Situationen. Manchmal geben sie uns sogar auch nur ein offenes Ende.
Ähnlich wie Anthologieserien, die ihr Setting pro Staffel ändern, gefällt eben nicht alles gleich. So wirken viele der Geschichten so ideenreich, dass man sich eine ganze Serienstaffel mit dem Thema vorstellen könnte (The Hood Maker, The Commuter), andere hingegen sind dünn oder thematisch sogar fast doppelt (Human Is, The Father Thing) und anderen wirken leider etwas unausgegoren und lassen zuviele Fragen offen und spannende Ideen unerzählt wie beispielsweise die Chimären in Crazy Diamond. Möglich ist aber, dass Kudos hier eher an die Drehbuchautoren geht. Denn beim Detailblick auf die Handlung mancher der Philip.-K.-Dick-Geschichten zeigt sich, dass die Episoden eine Menge hinzufügen.
(6/10)
Ihr seht also … beides hat irgendwie nicht so richtig mein Leben verändert. „Altered Carbon“ beginnt stark, setzt aber zu stark auf den Schockeffekt und den Techno-Body-Horror. Es sind die kleinen Dinge, die mich hier begeistert haben wir der Edgar-Allen-Poe-Verschnitt von einer KI. Nach hinten raus gleitet die Serie etwas in einen belanglosen Familienclinch ab. Und „Electric Dreams“ war eben durchwachsen. Es gab geniale Folgen, es gab unausgegorene. Und so warte ich weiter geduldig auf neue Folgen von „Black Mirror“ und „The Expanse“. Welche Science-Fiction-Serie hat euch zuletzt umgehauen? Welche nicht? Habt ihr die beiden auch gesehen und wie ist eure Meinung? Kennt ihr vielleicht sogar die Literaturvorlagen?
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