Geplant war es für den „Russischen Herbst“ zwar nicht, aber als Matthew Weiners Serie für Amazon Prime angekündigt wurde, schien es gut zu passen. Immerhin beschäftigt sich die Serie entfernt mit der russischen Kaiser-Familie Romanow, ihrem gewalttätigen Tod durch die Bolschewiki und dem aberwitzigen Zirkus um Adelstitel und Abstammung, dem Weiner in seiner Anthologieserie verschiedene Gesichter gegeben hat. Wie sich aber eben zeigt: entfernt.
Anthologie heißt: viele Geschichten
Weiners Serie umfasst acht Episoden mit jeweils über einer Stunde Spieldauer, die wie die Bezeichnung Anthologie verrät pro Episode einen unterschiedlichen Cast haben und ein dementsprechend anderes Thema. Die erste Episode The Violet Hour handelt von einer altmodischen und vom Leben enttäuschten Nachfahrin (Marthe Keller) der Romanows, die bedauert, dass ihr Neffe die Linie der Romanows nicht fortsetzt, weil seine Frau keine Kinder will. Als sie ein muslimischen Hausmädchen bekommt, lässt sie dann auch noch ihre rassistische Seite raushängen bis sich eine Wendung ergibt, die ganz in ihrem Sinne ist. In The Royal We verbringt ein Ehepaar, in dessen Beziehung es kriselt, seinen Urlaub getrennt. Während sie (Kerry Bishé) auf eine Kreuzfahrt geht, auf der sich die „Romanoff Gesellschaft“ trifft, lässt er (Corey Stoll) sich auf eine Affäre ein – Begegnungen, die letzten Endes vielleicht beiden demonstriert, was sie eigentlich vom Leben erwarten. In Episode drei House of Special Purpose muss sich eine Schauspielerin (Christina Hendricks) in die Rolle der letzten Zarin Alexandra Feodorovna versetzen und gleichzeitig mit dem Spuk am Set fertig werden. Die darauffolgende Episode Expectation dreht sich hingegen um eine New-Yorkerin (Amanda Peet), die ihr ganzes Leben lang von den Taten in ihrer Jugend verfolgt wird. Diane Lane spielt in der fünften Episode Bright and High Circle eine Frau, deren privilegiertes Leben durch ein Gerücht moralisch empfindlich gestört wird. Episode sechs Panorama zentriert einen Journalisten (Juan Pablo Castañeda), der einen großen Betrug aufdecken will und sich dabei verliebt. In End of the Line fährt ein Ehepaar mit verzweifeltem Kinderwunsch nach Wladiwostok um sich von der Russin Elena (Annet Mahendru) ein Baby vermitteln zu lassen. Die achte und letzte Episode The One That Holds Everything wird hitchcock-esque, wenn sich zwei Passagiere in einem Zug treffen. Sie erzählt ihm eine Geschichte, die persönlicher wird als ihm lieb ist. Und es geht um Mord, Erbe und Identität.
„The Romanoffs – Official Trailer | Prime Video“, via Amazon Prime Video (Youtube)
„But I’m a Romanoff!“
Bei der Kurzbeschreibung lässt sich nun nicht immer ein Zusammenhang mit den Romanows erkennen und selbst beim Schauen der Serie muss man oftmals darauf warten, dass sich dieser erschließt. Bei einigen Episoden bleibt es dabei, dass die Hauptcharaktere von den Romanows abstammen und das mal so nebenbei erwähnt wird und meist für die Geschichte keinen wirklich Unterschied macht. Und das war’s dann auch schon. Man lernt ein, zwei Details über die russische Zarenfamilie (bspw. das viele von ihnen an der Bluterkrankheit litten) und ihr tragisches und brutales Ende, aber im Fokus stehen deutlich diverse gesellschaftliche Probleme, Familie und Beziehungen. Die Themen an sich sind teilweise moralisch gesehen spannend oder laufen auf einen interessanten Twist hinaus, während andere eher ein laues Lüftchen sind und wie Lückenfüller wirken. Wie so oft bei Anthologieserien, in denen jede Episode ein anderes Thema hat und anderes Genre bedient, wird wahrscheinlich jeder Zuschauer anders angesprochen werden und auf manche Episoden stärker reagieren als andere. Für mich persönlich waren Expectation und Panorama erschreckend langweilig. Die Motive in Expectation ausgelutscht, während die in Panorama stark unausgegoren sind wie eine Geschichte, die man beginnt zu erzählen ohne es zu Ende zu bringen.
Genial hingegen war die letzte Episode The One That Holds Everything, die in seinen stärksten Momenten eine Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte erzählt und wenn alle Fäden zurückgerollt werden, spannt sich ein genialer Twist auf. Außerdem spielt Geschlechteridentität eine Rolle und sie vereint gekonnt zwei Kriminalfälle mit Drama. Die Geschichte des amerikanischen Paars, das in End of the Line ein russisches Baby adoptieren will, wirft spannende moralische Fragen auf, wenn sie entdecken, dass das Kind ein anderes ist als ihnen versprochen wurde und eventuell nicht gesund. Was tun? Das arme Ding elternlos und krank dort zurücklassen? Ein anderes Kind adoptieren? Gar nichts adoptieren? Oder täuschen sie sich einfach? Die Episoden haben also teilweise ihren Reiz. Aber eben nur teilweise. Manche handeln auf schmerzhafte Weise von weißen Leuten mit First World Problems, die lose dadurch verbunden sind, dass sie scheinbar von den Romanows abstammen oder das zumindest glauben.
Viele Geschichten, wenig Geschichte
Hier liest sich schon raus, dass die Serie krass durchwachsen ist, obwohl die Zutaten wirklich gut sind. Das Opening ist eines der besten, das ich lange gesehen habe. Der Cast ist durchzogen von etablierten Größen des Seriengeschäfts und einigen Namen, die man aus Weiners Hit-Serie Mad Men kennt, aber auch von Nachwuchsstars. Weiner hat außerdem einen Fehler vermieden, der zu oft begangen wird und beispielsweise russischsprachige Rollen wie von Elena in End of the Line mit Muttersprachlern oder Russisch-Sprechenden wie Annet Mahendru besetzt (bekannt aus u.a. The Americans). Zudem spielt die Serien an vielen verschiedenen Orten der Welt wie in New York City, Paris, London, Österreich und Mexico City und lässt uns den Lokalkolorit nicht nur am Cast, sondern auch den Drehorten spüren. Das ist ziemlich cool. Auch der Mut zu anderen Sprachen und Untertiteln. Außerdem treten (wie ich es mir heimlich gewünscht habe) die einzelnen Charaktere manchmal physisch, manchmal nur namentlich in den jeweils anderen Episoden auf. So spielt John Slattery den Romanow-Historiker, der in Episode zwei an Bord des Kreuzfahrtschiffs einen Vortrag hält auch und der gleichzeitig der Autor der Buchvorlage ist, die in Episode drei verfilmt wird und tritt in persönlichen Belangen in Episode vier auf. Das dysfunktionale Pariser Paar, das der alten Romanow-Nachfahrin in Episode eins nicht den Gefallen tut Kinder zu bekommen, tritt in der letzten Episode kurz auf. Und so geht es weiter. Aufpassen lohnt sich also, wenn man solche Verbindungen mag. Außerdem unterstreicht es die eigentliche Kernaussage der Serie – letzten Endes stehen sich alle Menschen nah, gemessen an ihrem Leben, Lieben und Tragödien. Auch ohne Blutlinie.
Ansonsten hat Matthew Weiner die Geschichte der Romanovs sehr klar als Aufhänger genutzt, aber nicht sehr tiefgehend recherchiert. Beschäftigt man sich mal kurz mit den echten Nachkommen der Familie, die auf entferntere Romanow-Verwandte zurückgehen, die rechtzeitig von den Bolschewiki und der Revolution fliehen konnten, dann erfährt man, dass die sehr wohl Titel tragen, ganze Wikipedia-Artikel füllen und Ansprüche erheben. Es gibt sogar Anhänger, die einen Mini-Staat namens Romanov Empire verteidigen. Themen wie der Mythos, dass die Zarentochter Anastasia eventuell entkommen konnte, werden auch nicht thematisiert. Es wird mit Phrasen um sich geworfen, die die russische Kultur und Mentalität charakterisieren wollen – manche davon gewollt satirisch, andere leider ernst gemeint. Ein weiteres kleines Ärgernis ist die konsequent amerikanisierte Aussprache des Familiennamens und russischen Begriffen allgemein. Es ist nicht „Romanoff“ mit Betonung auf der letzten, sondern zweiten Silbe („Romaaaaanov“). So bleibt die Serie was ihr titelgebendes Thema betrifft erschreckend oberflächlich und hinter ihren Mitteln leider zurück. Die durch den Titel allein determinierte Vorstellung, dass die Serie mehr mit den Romanows zutun hat als ihrem eigentlichem Thema („Wir sind alle verbunden, in dem was wir durchstehen, wie wir lieben und nach Anerkennung suchen“) wird dafür sorgen, dass die meisten Zuschauer andere Erwartungen haben und diese enttäuscht werden. Wenn ich Zuschauern einen Tipp geben darf: einfach nur die letzten beiden Episoden schauen und freuen. (5/10)
Bisherige Artikel der Beitragsreihe
I: Ankündigung
II: Sachbuch-Besprechung zu „Russische Geschichte“ von Andreas Kappeler
III: Hörbuch-Besprechungen zu Sergei Lukjanenkos Wächter-Reihe Band 1 „Wächter der Nacht“
IV: Fjodor Dostojewskij „Der Spieler“
V: Natascha Wodin „Sie kam aus Mariupol“
VI: Michail Bulgakow „Der Meister und Margarita“
VII: Serhij Zhadan „Internat“
Header image photo credit: Sergei Maslennikov
Jetzt bin ich umso gespannter auf eure Meinung: wie habt ihr die Serie empfunden? Seid ihr vielleicht insgeheim Romanov-Historiker, die das ganze besser als ich auseinanderdröseln und wahr/unwahr herauslesen können? Falls ihr die Serie geschaut habt, welche Episoden haben auch mehr überzeugt als andere? Ansonsten würde ich für eine Historien-Serie über die Romanows plädieren. Das Leben schreibt die besten Geschichten, oder? Und in diesem Fall die tragischsten und moralisch verzwicktesten.
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