Wir lesen … „Rebecca“ von Daphne du Maurier #VisitingManderley – Zwischenfazit

Als im letzten Sommer in Magdeburg für das nächste Domplatz Open Air das Musical „Rebecca“ angekündigt wurde, entstand im Gespräch mit Kathrin die Idee doch mal Daphne du Mauriers „Rebecca“ zu lesen. Die literarische Vorlage, aus der auch der gleichnamige Film von Hitchcock adaptiert wurde. So hoben wir uns den Stoff bis dieses Jahr auf und starteten in gewohnter Weise ein gemeinsames Lesen, dem ihr bei Twitter unter dem Hashtag #VisitingManderley beiwohnen könnt. Zu uns stieß Jana, überholt uns in einem bewundernswerten Tempo 😉 und gerade erst vor ein paar Tagen außerdem Matthias – ein neues Gesicht in den Leserunden. Aber weniger für mich, da wir schon regelmäßig im Buchclub über Bücher fachsimpeln. Wie ist es nun – du Mauriers „Rebecca“? Ein Fazit zur ersten Hälfte des Buches.

„Vergangene Nacht träumte ich, ich wäre wieder in Manderley.“

Das dürfte wohl einer der bekannteren ersten Sätze der Literatur sein. Höre ich sie, denke ich an Alfred Hitchcocks Film und sehe eine schwarz-weiße Szene vor mir. Einen Wald, ein Anwesen, ein Blick, der sich nach und nach erschließt. Die Vorfreude ist geweckt, die Erwartungen groß. Dankbarerweise ist es lange her, dass ich den Film gesehen habe und ich erinnere mich an nicht allzu viel. Du Mauriers Schreibstil klingt sehnsuchtsvoll, romantisch-melancholisch. Wie ein Abgesang auf eine einst gute Zeit. Später werden wir als Leser uns fragen, ob die Erinnerung unserer Protagonistin nicht eher einen Streich spielt. Wie war es Manderley? Nicht unbeschwert. Du Maurier entführt uns nach dieser kurzen, aber sprachgewaltigen Einleitung erstmal nach Monte Carlo, wo unsere namenlos bleibende Protagonistin lange bevor sie Manderley kennenlernt als Gesellschafterin für Mrs Van Hopper arbeitet und ein vollkommen anderes Leben lebt.

„Fein“ ist nicht gleich „fein“ in „Monte“

Du Maurier findet viele blumige Worte, um zu umschreiben wie roh und oberflächlich der Charakter von Mrs Van Hopper ist. Van Hopper, die sich selbst zur Oberschicht kürt, ein bewundernswertes Selbstbewusstsein hat und in ihrer Extravaganz und Ignoranz immer auf’s Neue verblüfft. Sie wäre fast comic relief, wenn sie nicht so himmelschreiend oberflächlich wäre. Da brauch man extra eine Gesellschafterin als eine Art käufliche Gefährtin, die allerlei Dienstbotengänge macht und darüber schweigt wie ekelhaft der Charakter der Gönnerin ist. Aber die Ich-Erzählerin trifft in „Monte“ auch den reichen Maxim de Winter. Dank Mrs Van Hopper erfahren wir schnell, dass er steinreich und Witwer ist. Seine Heimat ist im Londoner Umland und ihm gehört das Anwesen Manderley – das alleine schon von sich Reden macht. Unsere Protagonistin ist beeindruckt, schüchtern und bewundert die erfrischend andere Art, die de Winter an den Tag legt. Er ist verhaltener trotz seines nicht zu leugnenden Selbstbewusstseins. Freundlicher und wesentlich gesitteter als Mrs Van Hopper. Mysteriös wirkt er – nicht zuletzt wegen der bisher unerzählten Geschichte seines Lebens. Anfangs wirkt er wie ein Gentleman – zumindest zu ihr. Es bahn sich ein Urlaubsflirt an. Aber es kommt wie es kommen muss – Van Hopper will abreisen und sie mitnehmen. Flehende Blicke, Sehnsucht und ein plötzlicher Heiratsantrag. Wie im Märchen?

Als ob Rebecca nie gegangen wäre

Bis hierhin ist das Buch unterhaltsam, aber eine Vorbereitung auf den eigentlichen und früh angekündigten Kern der Story. Unsere Protagonistin willigt ein und heiratet Maxim de Winter – und seine Vergangenheit. Bald ist es weniger märchenhaft. Der Heiratsantrag enttäuscht selbst mich, obwohl ich vielleicht nicht die romantischste Seele bin. Rettet Maxim hier lediglich eine Mittellose, weil „er’s kann“? Heiratet er sie ihrer selbst Willen oder nur „zur Ablenkung“? Maxims erste Frau, Rebecca, soll bei einem Unfall umgekommen sein und die Ereignisse scheinen ihn zu verfolgen. In Manderley angekommen ist nicht mehr alles so rosig. Maxim ist dort zuhause – immer gewesen. Sie nicht. Sie hat plötzlich Bedienstete, die älter sind als sie selber. Aber vor Allem ist Rebecca wie ein Gespenst. Überall und nicht greifbar. Eine Erinnerung, die alle außer sie teilen und die man schlecht verscheuchen kann. Alle vergleichen sie mit Rebecca, die schön, schlau, sportlich und mondän war. Einfach in allem besser. Die Protagonistin fühlt sich verfolgt, bewertet, beobachtet und nie gut genug.

„Endlich alt sein!“ Ähm …

Für uns Leser fühlt es sich bisher so an als ob die Protagonistin sich doch zu leicht die Butter vom Brot klauen lässt. Ihr Selbstwertgefühl ist gering. Sie macht sich klein und stellt wenig Ansprüche an ihre Umwelt, aber kaum haltbare an sich selber. Stets sieht sie sich als minderwertig, obwohl ihre Beobachtungsgabe im Allgemeinen gut ist. Es fallen Sätze wie „wie erniedrigend es war, jung zu sein“. Ist jung sein nicht aber eine Eigenschaft, der eher nachgejagt wird und die sich viele krampfhaft beibehalten wollen? Ihre Unsicherheit kann ich schon eher nachvollziehen. Mit 21, Waise und als jemand, der zuvor sehr viel untergebuttert und als jemand „Niederes“ behandelt wurde, ist es sicherlich nicht einfach sich eigenständig ein Selbstwertgefühl hochzuziehen. Zudem erschien das Buch 1938 und spielt vermutlich auch in dieser Zeit, wo Selbstbestimmung für Frauen ein Luxus war. Sie lässt sich von ihrem Mann Lämmchen nennen und bevormunden indem wie sie zu denken hat. Sie verkennt die Beziehung.

Auch die Menschen in ihrem Umfeld sind nicht besser. Sie mag naiv sein, aber mit ihrem Umfeld ist sie auch schlecht beraten. Niemand rückt so richtig mit der Sprache raus wie Rebecca war und was wirklich ablief. Es gibt einige dunkel-düstere Andeutungen und fast schon soviel Foreshadowing, dass es dem Stoff schon nicht mehr gut tut. Ihr Umfeld bringt sie ständig in Situationen, die mich verschämt vor dem Buch sitzen lassen und ich mich seufzend wiederfinde „das musste doch nicht sein“. Dann sage ich Dinge vor mich hin wie „sei doch mutiger!“ Und denke stets, dass sie auch anders könnte. Der Umstand, dass sie keinen Namen bekommt, macht wohl, dass wir uns gut in sie hineinversetzen können. Und das gelingt mir tatsächlich, wenn auch nur teilweise, denn jung und unerfahren waren wir alle mal. Das Fremdschämen meiner Mitleserinnen anhand des gar nicht so emanzipierten Frauenbildes war gefühlt noch größer. So kam es sogar dazu, dass auf Twitter gefragt wurde:

„Warum liest du noch weiter?“

Nun, ich kann nicht für meine Mitleserinnen sprechen und auch nicht für Matthias, der gerade dazugestoßen ist, aber ich erwarte, dass unsere Protagonistin reift. Ihre Stimme vom Beginn des Buches ist eine andere. Und ich bin gespannt, wo die Reise für sie hingeht. Eine der größeren Hürde auf Manderley heißt hier erstmal Mrs Danvers, die einen ausgeprägten Girl-Crush auf Rebecca hat und dafür sorgt, dass unsere Protagonistin regelrecht heimgesucht wird. Es wirkt auf mich stellenweise verklärt und stark ins Negative getrieben wie sehr hier Frauen anderen Frauen das Leben schwer machen. Aber leben wir nicht auch in einer Gesellschaft wo im Arbeitsleben von Queen Bees die Rede ist? Natürlich ist die Rolle der Frau in der Zeit in der Rebecca spielt auch noch weitaus weniger selbstbestimmt und durch gesellschaftliche Ansprüche enorm eindimensional und eingeengt.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass du Maurier uns eine romantisch verklärte Heldin vor Augen führt, um zu sagen: sie hin! Schau dir genau an wie sich dieses Geschöpf unterbuttern lässt und wie unfair und leicht änderbar es wäre! Sei mutig und erheb‘ deine Stimme! Öffne die Augen vor Blendern und Menschen, die dir schlechtes wollen! Sie hat noch die eine oder andere Lektion zu lernen. Dass man sich über toxische Charaktere wie eine Mrs Danvers hinwegsetzen und mit besserem Beispiel und erhobenem Haupt vorangehen kann. Dass eine Beziehung auf mehr basiert als einer einseitigen Schwärmerei. Und dass wenn sie mit Maxim auf Augenhöhe leben will, dass sie dazu vor Allem erstmal den Rücken gerade machen muss. Aber ich meine in etwa um die Kapitel eines gewissen verhängnisvollen Maskenballs schon in ihrer Stimme und Stimmung einen Unterton der Emanzipation gehört zu haben. Aber noch sehr leise. Ich lese gespannt weiter und ahne, dass der Moment kommen wird, wo sie zur der Erkenntnis kommt, dass sie längst nicht schlechter als eine Rebecca, Danvers oder Maxim ist. Einige Weisheiten du Mauriers haben sich jedenfalls schon bei mir eingebrannt und ich hoffe das Buch birgt noch weitere.

Zu den Artikeln der Leserunde

01.02. Ankündigung von Kathrin

Es gibt noch soviel mehr Eindrücke, über die man schreiben könnte, aber das muss für ein Zwischenfazit reichen. Kennt ihr das Buch und seine Verfilmungen oder Adaptionen? Auf Netflix soll übrigens noch dieses Jahr eine weitere Verfilmung erscheinen. Es scheint ein gutes Jahr für den Stoff zu sein. So plane ich mir die Verfilmung von Hitchcock, das Musical in Magdeburg und den Netflix-Film zu genehmigen und wieder einen kleinen Vergleich zu machen. Sehr spannend! Wie steht ihr zu dem Stoff und dem Frauenbild bzw -bildern!? Kennt ihr andere Werke du Mauriers? Und welche könnt ihr empfehlen?

6 Antworten

  1. Ich habe das Buch vor 1000 Jahren gelesen und aufgrund der Atmosphäre sehr geliebt. Ich glaube ich ahnte schon, ein Wiederlesen würde schwierig werden. Daher belasse ich es bei meinen Eindrücken aus der Jugend 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ist vielleicht wirklich besser so! XD Zwar finde ich es wirklich wunderbar geschrieben (und übersetzt), aber der romantisch verklärte Hauptcharakter sorgt bei emanzipierten Geistern doch für Zündstoff. Vielleicht nochmal den Film gucken? 🙂 Nehme ich mir jedenfalls für demnächst vor. Und auf Netflix soll auch eine neue Adaption kommen.

  2. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Ich kenne das Buch nicht, aber es klingt interessant. Das die Autorin bewusst und immer wieder dem Leser so direkt die aus Selbstablehnung, mangelnder Selbstständigkeit und sozialen Erwartungen resultierende Unterwürfigkeit vor Augen führt, wäre in meinen Augen zumindest eine geeignete Methode um bestehende Rollenbilder aufzubrechen. Verhaltensweisen – erst recht wenn diese aus der frühen Kindheit stammen – lassen sich nicht leicht dauerhaft ablegen. Emanzipation sollte von einer menschlichen Gesellschaft gefördert werden, gründet aber letzten Endes im Einzelnen. Mit dem Wunsch nach Gesellschaft wächst wohl immer auch die Bereitschaft der Aufgabe eigener Positionen.
    Ich denke gerade in der Größe dieses Wunsches wird man ganz klare Unterschiede zwischen den Geschlechtern sehen können.

  3. Das bewundernswerte Tempo erklärt sich nur mit durch außergewöhnlich viele Zugreisen in diesem Monat. 😉

    Mir hat die Atmosphäre auch sehr gefallen: altes Herrenhaus, der nachmittägliche Tee pünktlich serviert, Kleider, Jagen, Reiten, hach, ich war mittendrin.

    Zum Musical schaffe ich es leider leider nicht; habt ganz viel Spaß dabei! Ich will mir bei Gelegenheit mal eine Verfilmung (schwanke noch zwischen Hitchcock und der späteren) anschauen.

  4. […] 01.02.20               Ankündigung von Kathrin 19.02.20               Zwischenfazit von Steffi […]

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