Serien-Besprechung: „Picnic at Hanging Rock“

Manche Filme, Serien oder Bücher lungern so in der Peripherie, am Rand der Wahrnehmung herum. Hört man ihren Namen, klingelt’s irgendwie. Der eine oder andere Blogger hat sicherlich schon mal darüber geschrieben, ich gelesen. Als ich das erste Mal von der Serienadaption von „Picnic at Hanging Rock“ hörte, war ich jedenfalls schnell angefixt, obwohl ich weder den zugrunde liegenden Roman von Joan Lindsay kenne, noch die Verfilmung von Peter Weir aus dem Jahr 1975. Leider tat man mir nicht den Gefallen die Serie in das Programm einer meiner abonnierten Streaminganbieter zu übernehmen. Mal wieder eine gute Gelegenheit die DVD-Sammlung zu erweitern. Besprechung ist spoilerfrei.

Was geschah am Hanging Rock?

Valentinstag 1900: Die Schülerinnen des Appleyard College sind in hellem Aufruhr. Sie dürfen das abgelegene australische Internat verlassen und machen anlässlich des Datums einen Ausflug zum Hanging Rock, so der umgangssprachliche Name des Mount Diogenes. Die dunklen Hallen zu verlassen, mal die Spitzenhandschuhe absetzen und es etwas weniger formal angehen zu können, macht sie alle wach, aufgekratzt und lebendig. Aber als die Kutsche abends wieder am Internat vorbeifährt, treten die Lehrerinnen und Erzieherinnen an ihre Chefin Mrs Appleyard (Natalie Dormer) mit einer schockierenden Nachricht heran: drei Mädchen und eine Lehrerin sind nicht mit ihnen zurückgekommen und am Hanging Rock verschollen.


„PICNIC AT HANGING ROCK Official Trailer (2018) Natalie Dormer, Series HD“, via ONE Media (Youtube)

Die Polizei sucht tagelang nach den Frauen und befragt andere Spaziergänger, die am selben Tag am Hangig Rock waren wie Mike Fitzhubert (Harrison Gilbertson), Sprössling einer reichen Familie. Die Ereignissen werden auseinander genommen, die Beziehungen der Frauen sowieso. Unter ihnen die freiheitsliebende und an dem eleganten Tamtam der Schule wenig interessierte Miranda (Lily Sullivan), die teils indigene Marion (Madeleine Madden), die etwas versnobte Britin Irma (Samara Weaving) und deren Lehrerin Miss McGraw (Anna McGahan). Mrs Appleyard hingegen vermutet in dem Verschwinden einen Vergeltungsschlag gegen sie und dass ihre Vergangenheit sie einholt. Was geschah am Hanging Rock?

„Where were they going? What strange feminine secrets did they share in that last gay fateful hour?“

Picnic at Hanging Rock ist wie ein Traum inszeniert. Eben noch waren wir alle beim Picnic am See unter dem Hanging Rock, schon bleiben die Uhren stehen. Ein seltsamer Ort ist das, raunen sich die Leute zu – das hat sicherlich irgendwas mit Magnetismus zutun. Ein Schlaf befällt sie, sie sinken in eine tiefe Trance. Irma, Miranda und Marion beschließen spazieren zu gehen und müssen als Gegenleistung dafür, dass sie sich von der Gruppe entfernen dürfen, ihre jüngere Mitschülerin Edith (Ruby Rees) mitnehmen. Angezogen wie ein Bonbon mit Schleifchen. Ihre Lehrerin Miss McGraw geht ihnen nach. Nur Edith kommt wieder – ohne Erinnerung daran, was mit den anderen passiert ist. Alle suchen Spuren – im australischen Wald oder in der Vergangenheit der drei Schülerinnen, die eine verschworene Gruppe waren. Sind? Oder doch waren?

Schnell gehen Gerüchte um, was ihnen zugestoßen sein könnte und nachdem Mrs Appleyard es nicht mehr vor den Eltern geheim halten kann, nehmen erste Familien ihre Töchter von der Schule. Die Rückblicke zeigen, dass sie einiges zu verbergen hat und einen steinigen Weg gehen musste bis sie sich dieses Leben aufbauen konnte. Auf ihr lastet nicht nur den Ruf der Schule aufrecht zu erhalten, sondern auch dabei möglichst unentdeckt zu bleiben. Sie lebt eine Fassade als strenge, englische Gouvernante. Ab und zu fällt sie aber in einen Akzent und Habitus, der so gar nicht fein ist. Die Rückblicke in die Zeit der drei Schülerinnen und Lehrerin zeigt aber vor Allem auch, dass sie in einer Zeit aufwachsen, in der sie sich zahlreichen sozialen und gesellschaftlichen Zwängen beugen. Wie das Leben der jungen Damen durchdefiniert und vorherbestimmt scheint ist so grotesk wie der Umstand in australischer Hitze viktorianische Kleidung tragen zu müssen. Schicht für Schicht für Schicht. Ein Korsett, das einem die Luft zum Atmen nimmt, aber mit Würde getragen werden soll. Zumindest, wenn es nach der Mehrheit geht.

Die Handlung wird begleitet von ätherischen, surrealen und traumhaften Szenen. Manchmal wirkt es so, als ob einem Sand in die Augen gestreut wird und man ist sich nicht sicher, ob man eine Szene des tatsächlichen Hergangs sieht oder einen Traum, wenn die naturverbundene Miranda ihre Hand in Erde gleiten lässt und es so aussieht, als würde der lose, mit Laub versetzte Boden atmen. Dazu kommen ätherische Klänge, unerwartet moderne oder das zarte Klingen von Glöckchen. Zeitlupen der drei Schülerinnen in intimen Momenten, Blenden auf ein alptraumhaftes Aufwachsen Hesters bzw Mrs Appleyards, effektreich eingesetztes, dramatisches Licht, wenn sich die Mädchen von Ediths Schrecken erzählen lassen – die Serie zielt alle Register der Sinneswahrnehmung und Cinematografie um eine surreale, traumartige Atmosphäre zu schaffen. Aber die auch dankbarerweise für Szenen zu unterbrechen, bei denen man sich sicher sein kann, was man sieht.

„Everything begins and ends at exactly the right time and place“

Nach der Veröffentlichung der Serie sprach die medienaffine Öffentlichkeit plötzlich deutlich weniger über sie als zuvor. Die Besprechungen der ersten Episoden waren durchaus gut, die Reviews der gesamten Staffel überwiegend mittelmäßig bis negativ und die Kanäle danach eher schweigsam. Tatsächlich ist Picnic at Hanging Rock viel Style und Atmosphäre und nicht soviel Plot wie es wohl mancher Zuschauer erwartet. Es wird oft kritisiert, dass die Serie den eigentlich Kriminalfall und das Verschwinden außer Acht lässt. Aber tut das Buch das nicht noch viel mehr? Das Verschwinden der Mädchen mag der Aufhänger der Serie sein, aber der Kriminalfall ist keinesfalls der Fokus des Ganzen. Wir können noch eins draufsetzen: vor seiner Veröffentlichung wurde entschieden, dass das Buch ohne das letzte Kapitel und damit ohne Auflösung gedruckt wird. Jahre später erschien das letzte Kapitel als eigenständige Ausgabe. Vielleicht war es in seinem Surrealismus zu kontrovers für die damaligen Leser. Oder das wurde zumindest so angenommen. Die Serie findet einen Kompromiss dazu – aber man muss zwischen den Zeilen lesen können.

So ganz kann man den Vorwurf des Style over Substance nicht wegdiskutieren. Vielleicht ist die Serie ab und zu etwas girly mit den Close-Ups auf puppenhafte, bildschöne Gesichter und Mädchen in viktorianisch-angemessener Anzahl Tüll-, Leinen- und Samtschichten. Aber auch dem Rohrstock, der Züchtigung, dem engen gesellschaftlichen Korsett. Tatsächlich habe ich mich gut unterhalten gefühlt und selten so atmosphärische Bilder in einer Serie gesehen, sei es mal in The Expanse oder The Handmaid’s Tale. Es fühlt sich wie ein manchmal düsterer, manchmal mit Glitzer bestreuter Traum an.

Positiv ist vor Allem aber auch, dass sich die Serie ein bisschen mehr trauen kann als die Vorlage. So gibt es mehrere Charaktere, die Aboriginals sind bzw von welchen abstammen. Die Beziehungen sind vielschichtig: Neid, Bewunderung und Anziehung sind manchmal schwer zu unterscheiden. Das kaum luftdurchlässige homosoziale Umfeld des Mädcheninternats ist dafür der perfekte Nährboden. Das beiderseitige Verständnis (und mehr?) zwischen Mike Fitzhubert und Albert, einem Angestellten seiner Familie, nur eines von einigen weiteren Beispielen für komplexe Beziehung. Und Material zum shippen. Oder anders formuliert: Die Serie bietet einiges an homo-, hetero- und bisexuellem Subtext. Wonach alle diese Personen Streben ist Freiheit und Selbstbestimmung(srecht). Während Irma, Miranda und Marion die herbeisehnen und ahnen, dass sie sie nie bekommen; versucht Hester sie mit aller Macht festzuhalten. Sie können nicht mal flüchten, es sei denn sie verschwinden einfach von der Erdoberfläche. (Verstehste?) Und der ist ganz klar im Zentrum der Serie – nicht der Kriminalfall. Tatsächlich stört mich eher, dass sich etwas Profanität in den Stoff einschleicht mit Hester Appleyards in der Adaption hinzugedichteter Geschichte – war das wirklich notwendig? Hat die Darstellung der Mädchen nicht gereicht? Man würde es ihr wohl auch so abkaufen, dass ihre Existenz und Freiheit durch das Verschwinden der Mädchen bedroht ist. (7/10)

Sternchen-7

Man kann also feststellen, dass mir „Pinic at Hanging Rock“ besser gefallen hat als vielen anderen da draußen. Zwar kenne ich die Literaturvorlage nicht, aber die Änderungen wirken nach ein bisschen Recherche durchaus gerechtfertigt. Bei Hester Appleyard – nun das ist wohl Geschmackssache, aber in jedem Fall was zahlreiche andere Charaktere betrifft. Mit Maske, Landschaft und Kostümen ist eine wirklich gute historische Serie, die sich sicherlich surreal und traumhaft, manchmal mädchen- und märchenhaft anfühlt, aber trotzdem sehr modern inszeneiert ist. Die DVD hingegen hätte neben dem zwanzig-minütigen Making-Ofs ruhig noch ein paar mehr Extras haben dürfen. Kennt ihr die Serie, den Film oder das Buch? Ich weiß noch nicht, ob ich das Buch lese, aber den Film hole ich definitiv bald nach.

6 Antworten

  1. Das Buch war mein Lieblingsbuch 2018, würde dir sehr empfehlen, es zu lesen 😉
    Ich mochte die Serie auch und habe mich an dem Hinzugedichteten nicht gestört. Es ist eben eine Adaption, bei der das Buch nur als Grundlage dient und ich finde es durchaus interessant, was sie daraus gemacht haben. Es gibt ja ganz großartige Adaptionen, die besser sind als die Vorlage (mein Paradebeispiel: der Film „Logan’s Run“).
    Das ist hier definitv nicht so, aber mir hat es gefallen. Ich schließe aus dem, was du schreibst, das du das ursprüngliche Ende nachgelesen hast? Was hältst du davon? Ich finde es gut 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ich kann mich mich meine ich auch noch daran erinnern, dass ich in deinem Blog etwas darüber gelesen habe. Wusste nur so gar nicht mehr, ob über die Serie oder über das Buch, aber vielleicht war es ja demzufolge über beides?? 😉 Tatsächlich tue ich mich etwas schwer damit das Buch zu lesen, nachdem ich den Film oder die Serie geschaut habe. Aber da mir die Serie gut gefallen hat, werde ich vielleicht nach einer angemessen Zeitspanne doch mal dazu greifen. Ich bin jetzt schon sehr gespannt wie sich die Mädchen und Mrs Appleyard verglichen zur Serie unterscheiden. Wie hast du das empfunden? Fandest du das eine erlebenswerter als das andere?

      Eigentlich bin ich auch ganz und gar keine Vertreterin der Ansicht, dass die Adaption genauso wie das Buch sein soll. Das widerspricht sich ja, denn es ist faktisch nie dasselbe, weil es ein anderes Medium ist. Aber hier hatte ich den Eindruck, dass Mrs Appleyards Geschichte das irgendwie etwas reißerischer aufpeppen will, was der Stoff denke ich nicht nötig hat.

      Und ja! Ich habe aus Neugier mal nachgelesen wie das letzte Kapitel denn endet und finde, dass das toll klingt! Sehr surreal, sehr mutig für die damalige Zeit. So mancher Kritiker würde bestimmt behaupten, dass der Ausgang und die Lösung zu einfach ist, weil sie sich Logik und Erklärungen entzieht, aber ich glaube mir hätte das gefallen. Nur schade, dass sie es nicht direkt in das Buch aufgenommen haben. Meinst du die fanden das zu mutig? 😉

      1. Ja, die Geschichte um Miss Appleyard und die einiger Mädchen ist dazuerfunden. Gestört hat es mich persönlich nicht, das Buch hätte sonst sicher keine ganze Serie hergegeben. Gerade bei dieser Adaption fällt es mir nicht schwierig, beides zu getrennt zu sehen. So ging es mir auch mit der neuesten Version von „Krieg der Welten“, die auch was ganz Neues aus dem Stoff gemacht hat, auch da hat es für mich durchaus funktioniert, für viele andere wohl eher nicht. Das ist immer eine Gratwanderung, was Fans der Vorlage jeweils schlucken können.
        Ich finde das ursprüngliche Ende auch klasse. Vielleicht haben die Editoren mit dem offenen Ende das Buch zugänglicher machen wollen, aber vielleicht ahnten sie auch, dass so das Mysteriöse erhalten bleibt. Der Effekt ist ihnen ja durchaus gelungen, vor allem der eng am Buch gehaltene Film hat ja sehr viele Anhänger. Ich denke, das ist Geschmackssache. Mir hätte das urspüngliche Ende jedenfalls auch sehr gut gefallen, und ich denke, da wir wissen, was Lindsay im Sinn hatte, dürfen wir uns auch für dieses als das wahre Ende entscheiden 😉

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Weise Worte 😉

  2. Hi,

    ich kannte das Buch nicht, wollte es aber in der Komplettfassung noch lesen, also mit dem erst Jahre später erschienenen letzten Kapitel. Einzig die Erstverfilmung aus den 70ern, und hier muss ich sagen, dass mir die Serie weitaus besser gefallen hat, weil sie den einzelnen Charakteren viel mehr Spielraum gibt.

    Das sehr langsame Erzähltempo hat mich weniger gestört. Ich hatte die Serie bei der Erstausstrahlung auf BBC2 aufgenommen, weil ich einige Abende keine Zeit zum Schauen habe. Jetzt würde ich mir sie glatt nochmal ansehen.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hi Ulrike,

      ich glaube wenn ich es lese, würde ich mich auch um eine Ausgabe mit dem berühmten letzten Kapitel bemühen. Es ist auch etwas schade, dass sie es nicht von vornherein mit veröffentlicht haben. Aber das machte es vielleicht noch interessanter . wer weiß? 🙂
      Den Film aus den 70ern werde ich mir wahrscheinlich auch nochmal anschauen, aber ich erwarte nicht mehr allzu viel davon, wenn du sagst, dass der sich nicht soviel Zeit für die einzelnen Charaktere nimmt. Darin und in dem Geheimnis um das Verschwinden liegt doch irgendwie der Reiz.

      Falls du es tatsächlich nochmal schaust, wünsche ich dir viel Spaß 😉

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