Brazil spielt in einer dystopischen, durch Bürokratie bis ins kleinste diktierten Welt. Selbst die absurdesten Aktionen des täglichen Lebens werden durch seltsame Maschinen erledigt. Die Technik ist dabei furchtbar am Nutzer vorbei gestaltet. Zusammen mit der Bürokratie ist das Leben einfach nur umständlich und von ständigen kleinen Fehlschlägen begleitet. Sam Lowry (Jonathan Pryce) lebt in dieser Welt, arbeitet im Archiv des Ministry of Information (kurz M.O.I.) und ist in seinen Träumen ein geflügelter Held in schimmernder Rüstung, der eine schöne blonde Frau aus eben diesem Molloch zwischen grauen Hochhausschluchten befreit. Er erfährt nebenbei von dem Fall des unbescholtenen Bürgers und Familienvaters Buttle, der aufgrund eines simplen Druckfehlers für einen Terroristen gehalten und inhaftiert wird. Er wurde nie wieder gesehen. Seine Frau ist verstört, die Nachbarin und Truck-Fahrer Jill Layton (Kim Greist) meldet den Fall als Bürokratiefehler und wird aufgrund dessen zur Fahndung ausgeschrieben. Ein Fehler in unserem System? Unmöglich! Sam erkennt in ihr die Schöne aus seinen Träumen und sieht seine Chance gekommen sie nun zu retten und gerät dabei in die Individuen missachtende Maschinerie, der er sich vorher entziehen konnte, obwohl und gerade weil er mittendrin arbeitete.
„Brazil (1985) Official Trailer – Jonathan Pryce, Terry Gilliam Movie HD“, via Movieclips Classic Trailers (Youtube)
Terry Gilliams Groteske und Dystopie ist ein witziger Film voller irrer Ideen, mit einer bitteren Note. Dass war den Produzenten offenbar zu heiß und sie forderten von Terry Gilliam ein Happy-End. Er blieb aber seinem Kunstwerk treu und ließ das Ende wie es ist: düster. Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass Terry Gilliams Brazil 1985 erschien und an vielen Stellen sehr stark an George Orwells 1984 erinnert. Es fehlt eigentlich nur noch Newspeak, um das Bild abzurunden. Sam lässt sich um Jill zu suchen und zu helfen vom Archiv in die Abteilung für Informationwiederbeschaffung versetzen und beschafft sich notwendige Informationen. Seine Arbeitstage dort sind der groteske Höhepunkt des Films. Die Büros sind wie Zellen: fensterlos, eng, Grau in Grau. Der Chef läuft nur zufällig und geschäftig in einem irren Tempo durch die Gänge. Stets umgeben von einer Entourage an Angestellten in Schlips und Kragen, die umso lauter brüllen müssen, wenn sie etwas von ihm wollen. Terry Gilliam hat auf das alltägliche Leben geblickt und auf die Spitze getrieben. Leben wir schon in der Dystopie?
Brazil strotzt voller Details, die unserer Gesellschaft und ihren Widersprüchen den Spiegel vorhalten. Da gibt es Heizungsmonteure, die wie eine Mischung aus Indiana Jones und einem Spion Telefonleitungen abhören für Aufträge, weil sie dem Papierkram der staatlichen und städtischen Gremien entgegen wollen. Da lassen sich Frauen das Gesicht liften und mit Klammern feststecken. Da wird Hunden das Arschloch zugeklebt beim Gassi gehen. Es ist absurd. Aber irritierend verständlich. Sams Träume hingegen ein fantastischer und wunderbar gestalteter Eskapismus. Brazil ist so vieles, dass es eine Serie sein sollte um all die Details voll auskosten zu können. Denn das ist eben auch das Problem des Films: Er braucht so lange um die Welt vorzuführen, dass man den Konflikt um den armen Familienvater Buttle schon wieder vergessen hat, wenn Sam beginnt zu ermitteln.
Obwohl so unendlich viel passiert und man in jeder Minute eine andere, neue, abstruse Botschaft entdeckt, wirkt der Film fast lähmend langatmig. Das liegt an der Dichte an Informationen, Details, Gags und Gesellschaftskritik, die mit allen Sinnen wahrgenommen werden muss und müde macht. Hinzu kommt, dass man (außerhalb der Wertung) bei der deutschen Version Pech haben kann und eine auditiv schlecht abgemischte Version erwischt. Umgebungsgeräusche und Musik brüllend laut, Synchro super leise. So gesehen auf Amazon Prime Instant Video. Am Anfang des Films sagt Sam, dass er keine Träume, Wünsche und Ziele habe. Als er ihnen aber nachgibt, droht ihm bald schon ein Schicksal als Staatsfeind Nr. 1. So die düstere Realität des Films, die Botschaft und Lehre für uns: lasst uns eine Welt gestalten, in der wir atmen können, träumen dürfen und ein Leben führen, das nicht von außen diktiert wird. Brazil ist ein Film, für den man viel Atem braucht, aber auch ein Meisterwerk, der bis dato nichts an Brisanz verloren hat.
Brazil, UK, 1985, Terry Gilliam, 142 min
„Brazil (1985) Opening Scene“, via Movie Scene Provider (Youtube)
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆
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