… und vor Allem darüber, warum der koreanische Film in dieser Disziplin brilliert. Anlass zu diesem kleinen Diskurs gibt mir die Serienadaption zu „Snowpiercer“, die seit so ziemlich genau einer Woche beim Streaming-Giganten Netflix abrufbar ist. In Anbetracht des großartigen Films von Bong Joon-ho, der hier als Vorlage diente (und selber einen Comic gleichen Namens adaptierte), wirkt die Serienadaption doch höchst unnötig. Ohne sie gesehen zu haben, mutet das eher wie ein verzweifelter Versuch an abzubilden, worin die amerikanische Filmindustrie bisher großflächig scheiterte: authentische Filme über Klassenunterschiede.
Im Laufe der Zeit: Klassenunterschiede im Film
Jüngst gewann Bong Joon-ho mit seinem Film Parasite über Klassenunterschiede sowohl den Oscar für den besten Film, die beste Regie, das beste Drehbuch, als auch den besten internationalen feature film und schrieb damit Geschichte. Ein US-Remake ist ähnlich wie bei Snowpiercer bereits geplant. Natürlich. Das Motiv trendet, aber eigentlich ist es nicht neu. Schaut man sich mal eine Liste der Filme an, die den sogenannten Klassenkampf oder Klassenunterschiede betrachten, dann ist vor Allem auffällig, dass das mitnichten immer das Kernmotiv oder tragende Element des Films ist, obwohl es kaum kontroversere Themen gibt. Da gibt es klassische „Romeo und Julia“-Kopien wie Manhattan Love Story oder Dirty Dancing, die sich des schönen Motivs der Liebenden bedienen, die aus zwei Welten zu kommen scheinen und es mehr oder weniger schwer haben zueinander zu finden und als Paar in der Welt des jeweils anderen akzeptiert zu werden. Eins der wohl jüngeren Beispiele ist Crazy Rich (Asians), in deren Zuge zumindest im Film eine sehr generische Liebesgeschichte über Akzeptanz, Ansehen und Klasse angestrebt ist. Was die dann wirklich ist, ist eine Liebesgeschichte mit Hindernissen. Dass die sich wie ein Singapur-Imagefilm anschaut ist beeindruckend, aber verrät letzten Endes mehr über eingetretene Pfade als die chinesische Kultur oder Klassenunterschiede. Herrgott, man sieht ja nicht mal jemanden der ansatzweise struggled. Hunger Games hat da vielleicht mehr von Klasse erzählt. Dort kämpfen immerhin die Armen zur Belustigung der Reichen. Aber dort spielt auch noch soviel anderes eine Rolle, dass der Klassenkampf wohl eher in den Hintergrund gerät. Die Liste zeigt noch viel mehr Filme auf, in denen Klassenunterschiede ein Thema sind, aber nicht das Thema. Wer denkt beispielsweise bei Taxi Driver und 1984 als erstes an das Motiv der Klassenunterschiede? Ich nicht. Vielleicht ist die Liste schlecht? Vielleicht aber auch nicht.
Besonders in Zeiten, die mit Konflikten gesät waren, d.h. politischer und gesellschaftlicher Instabilität, wurden Filme hervorgebracht, die das Begehren der Masse adressierten. Und die Masse gehört üblicherweise nicht zu den oberen Zehntausend, die morgens mit dem symbolischen goldenen Löffel ihren Fair-Trade-Luxuskaffee umrühren. Metropolis (1927) zeigt den Menschen als Gefangenen in einem zermürbenden System genauso wie Chaplins Moderne Zeiten (1936). Zwischen Metropolis und Parasite liegen aber viele Jahrzehnte voller Manhattan Love Storys & Crazy Richs, d.h. von Filmen, in denen Klassenunterschiede ein Thema sind, aber nur als Mittel zum Zweck. Zu einem anderen Zweck. Filme, die nicht in die vollen Gehen und Jahrzehnte, in denen sich keiner getraut hat Klassenunterschiede anzusprechen. Seit 2013 ist da mehr Bewegung – und das auch im Rest der Welt (Elysium), aber vor Allem auf dem koreanischen Markt (Snowpiercer, Burning, Parasite). Vielleicht befinden wir uns in dem eben erwähnten Umbruch, vielleicht schwappt aber einfach auch nur das Bewusstsein für das Thema langsam nach Westen. Klasse ist jetzt „hip“. Aber kann das westliche Kino mit seinen morgens schon top-gestylt aus dem Bett steigenden Filmcharakteren wirklich das Thema bedienen? Denn das Thema Klassenunterschiede bedarf vor Allem eines ungeschönten Realismus und Ehrlichkeit.
„Parasite – Official Trailer (2019) Bong Joon Ho Film“, via IGN (Youtube)
Unschick?
Nachdem sich seit der 2010er Jahre langsam der Realismus in das westliche Kino einschleicht, gibt es einige Positivbeispiele oder zumindest teilweise Positivbeispiele aus der westlichen Welt. Ziemlich beste Freunde wird beispielsweise in vielen Listen gar nicht geführt, geht das Thema aber eindeutig an – und das nicht nur als Randnotiz oder gar um das eigentliche Thema des Films oder etwaige Klischees zu befüttern. Was tut man Übersee? Remaken. The Upside heißt das Stück. Und lief bei uns entsprechend schlecht im Kino an. Wenn man den schaut, könnte man meinen, dass er vor Allem zur Alexa-Schleichwerbung gedreht wurde. In The Joker und Knives Out sind Klassenunterschiede schon etwas deutlicher gewählt worden um den Charakteren eine Geschichte und einen Hintergrund zu geben, aber bei beidem reicht es nicht mal dafür aus, den Film damit im Trailer zu bewerben. Dass die normalsterbliche Pflegerin und Tochter illegaler Einwanderer in Knives Out die eigentliche Hautprolle spielt wird irgendwie hinter dem über Donuts rätselnden Daniel Craig versteckt. Mein Eindruck ist: insbesondere die amerikanische Filmindustrie sieht ja, dass das Thema trendet, aber irgendwie ist das doch unschick. „Am Ende fällt noch jemandem auf, dass es Klassenunterschiede gibt. Eieieiei. Lassen wir das lieber.“ Immer mal wieder kommt dann ein Snowpiercer oder Ziemlich beste Freunde daher, die solche Erfolge sind, dass der Westen davor nicht die Augen verschließen kann. Und halt denkt, dass man das am besten nochmal verfilmt. Kam ja schon einmal gut an.
„Ziemlich beste Freunde – Trailer (deutsch/german)“, via Universum Film (Youtube)
Gewollt und nicht gekonnt ist dabei vielleicht etwas böse gesagt 😉 Denn es gibt ein paar mutige. So gesehen beispielsweise in den Filmen Hustlers oder Jordan Peeles Wir. Peele bedient sich da gar eines Motivs, dass wir ähnlich bei Parasite gesehen haben. Indem er die sogenannten „Tethered“ als Untergrund-Gesellschaft unter den „Anderen“ leben lässt, schafft er eine starke und bedrückende Metapher auf Klassenunterschiede. Springt der oberirdische Erdenbewohner, tut es auch seine „Kopie“. Soviel zu den Positivbeispielen. Aber irgendwie hat der koreanische Film noch einen stärkeren Wirkunsgrad. Neben Snowpiercer und Parasite, denke ich da vor Allem auch an Burning.
Der basiert auf einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami und es geht überraschenderweise viel weniger um das Abbrennen von Gebäuden als ich dachte. Vor Allem handelt der Film vom Arbeiter Lee Jongsu (Yoo Ah-in), der gern Schriftsteller werden möchte. Er trifft eine Klassenkameradin von früher wieder und verliebt sich in sie: Shin Haemi (Jeon Jong-seo). Haemi kommt aber aus dem Urlaub mit einem neuen Freund zurück – dem reichen, immer entspannten und gelangweilten Ben (Steven Yeun). Konfrontiert mit dem Unterschied zwischen seinem und Bens Leben, kommt sich Jongsu schnell abgeschrieben vor. Es ist frappierend mit was für Mitteln Ben gesegnet ist, aber nichts wirklich in seinem Leben hat. Er scheint die Leere wegzulächeln und es liegt auf der Hand, dass er etwas kompensiert oder Allmachtsfantasien auslebt, wenn er erzählt, dass er regelmäßig alte Gewächshäuser abbrennt. Jongsu sieht etwas, dass Haemi nicht sieht – dass sie für Ben und seine reiche Klicke nur wie ein Äffchen im Zoo ist. Etwas drolliges, das man beobachtet und sich manchmal darüber wundert. Vielleicht ist sich Haemi dessen aber doch bewusst? Irgendwann verschwindet Haemi. Bis dahin mäandert Burning zwar sehr lange vor sich hin und je nach Zuschauer wird das wohl mal gut, mal schlecht ankommen. Aber die Kernbotschaft und (offene) Frage um Bens etwaige Schuld an Haemis Verschwinden und seine frappierende Gelassenheit das Leben anzugehen sind eine ausgesprochen interessante Mischung mit der Lee Chang-dongs Film eine regelrechte Sogwirkung entwickelt.
„BURNING Trailer Deutsch German (2019)“, via Moviepilot Trailer (Youtube)
Was da los, Korea?
Korea gilt als ein Land, dass verhältnismäßig schnell von arm zu wohlhabender driftete und eine entsprechende strukturelle Ungleichheit auf dem Weg zurückgelassen hat. Aber ist das wirklich so stark ausgeprägt, dass es eher Korea ist als irgendein anderes Land ist, dass diese pointierten Filme über Klassenunterschiede schafft? Man könnte jetzt mutmaßen, dass die Klassenunterschiede in Korea besonders stark auseinanderdriften. Aber ist das? Ich bin da kein Experte, sehe aber überall, dass angebliche soziale Klassen polarisieren und ein Thema sind. Nicht nur in Korea. Vielleicht kann mich der eine oder die andere Korea-Kundige*r in den Kommentaren erhellen. 🙂 Bis dahin bin ich überzeugt davon, dass es mehr ein Ausdruck kompromisslosen Kinos ist, nicht aber zwingend der koreanischen Kultur, Gesellschaft und Geschichte allein. (Die Asian Review hat dazu eine etwas andere Meinung.)
Hat der asiatische Film sich nicht schon viel öfter getraut drastische Motive anzusprechen? Da sehe ich das Thema der illegalen Einwanderung in Sea Fog oder den Druck der Arbeitslosigkeit und von Status selbst innerhalb einer Ehe in Bong Joon-hos ebenso exzellenten Film Hunde, die bellen beißen nicht. Selbst der feine Realismus koreanischer Horrorfilme, der selten ein Happy-End zulässt, ist wohl ein Ausdruck dieser Kompromisslosigkeit, die dafür aber zu wirklich feinen, aufrüttelnden Film führt. Dafür braucht es eben den Mut seine Charaktere nicht schon aus dem Bett aufstehen zu lassen, perfekt geschminkt und mit adrett gelegten Locken wie Constance Wu in Crazy Rich, dafür braucht es ein bisschen mehr gritty, ein bisschen mehr real und vor Allem eine Filmindustrie, die macht das die Leute sehen, was sie kennen. Nicht sehen, was sie sehen sollen und zu diktieren wie sie sein sollen. Es ist wohl eben doch eine Frage des Mutes und beim Zuschauer des Bewusstseins sich nicht einlullen zu lassen. Manche Industrien werden es schwerer haben als andere jemals da anzukommen, was das koreanische Kino vorlegt.
Was meint ihr? Springe ich da zu hart mit den US-Remakes und der westlichen Filmindustrie um? Wie seht ihr das? Welche Filme kennt ihr die das Thema Klassenunterschiede meisterhaft oder besonders schlecht adressieren? Findet ihr das Motiv im Film überhaupt lohnenswert?
Schreibe einen Kommentar