Netzgeflüster: Film-Besprechung „Alles ist Eins. Außer der 0.“

Die Pandemie versaute mir meinen ersten Besuch des CCC (Chaos Communication Congress). Tröstlich ist, dass man sich die Formate und Vorträge online anschauen kann und man letztes Jahr zumindest digital hätte teilnehmen können. Vielleicht ist die Reihenfolge aber auch ganz gut, denn in einem Film, der nun jüngst in die Kinos kam, konnte ich der Gründung des CCC rückblickend beiwohnen. Wie hat’s angefangen mit Hackerethik, Blinking Lights, Spionage und dem „Ich bin drin“?

Tuwat

Der Dokumentarfilm ist über weite Strecken ein Zusammenschnitt aus Archivmaterial, das v.A. durch die Tonspur von Peter Glaser (Schriftsteller und ehemaliger Chefredakteur von Die Datenschleuder) zu einem Rundumschlag über die Geschichte der Netzkultur in Deutschland verdichtet wird. Und dankbarerweise fängt sie am Anfang an. Als HTTP noch ein schöner Wunsch ist, gründen einige Pioniere rund um Herwarth Holland-Moritz alias „Dr. Wau“ Holland den CCC, den Chaos Computer Club. Er und Steffen Wernéry gehören zu denen, die für den Umgang mit IT sensibilisieren. Und frank und frei die Einladungen schlechter IT-Sicherheit annehmen.


„ALLES IST EINS. AUSSER DER 0. Trailer Deutsch | German (2020)“, via Polyfilm Verleih (Youtube)

„I ❤ your computer“

So rollt die Doku einige Hacks des CCCs auf, die manchmal nur das Erraten des Passworts erforderten. Der Witz ist auch heute noch nicht alt, es steht immer mal wieder bescheiden um IT-Sicherheit und Sensibilisierung dafür, je nachdem wo man hinschaut. Durch das Archivmaterial erleben wir rückblickend durch den CCC selber durchgeführte Hacks und Demonstrationen wie den BTX- oder NASA-Hack und auch ihre Konsequenzen. Aber auch Hacks, die nicht durch die Mitglieder des CCC ausgeübt wurden wie den KGB-Hack, der auch prominent in dem Film 23 – Nichts ist so wie es scheint aufgegriffen wurde. Mit der Aufmerksamkeit durch die Öffentlichkeit, der Inhaftierung Steffen Wernérys und v.A. dem Tod des Hackers Hagbart alias Karl Koch musste der CCC seine Rolle umdenken. Eben noch sensibilisierten sie selber für einen verantwortungsvollen Umgang mit IT, Programmierung und Daten, scheint die Welt ein paar Schritte übersprungen zu haben und sie finden sich nun inmitten eines Spionagethrillers wieder.

Zur durch Wau Holland und den CCC aufgestellten Hackeretherik gehört es Autoritäten zu hinterfragen, Daten zu schützen, aber auch die Forderung, dass Informationen frei sein sollen. Denken heute viele bei IT zuerst an ihre nervige Software auf Arbeit, an Instagram, Influencer oder ihr Smartphone, waren doch die Anfänge bewusst und zeitgeistig auch politischer Natur. Hat unser Land seine Rolle in IT verstanden? Überwachung, Staatstrojaner, PRISM, Snowden, Assange. Facebook, Google und unser eigener gläserner Mensch sind Diskussionen und Schlagworte denen der CCC voraus war, was die Doku eindrucksvoll beweist.

„Wir hacken zurück“

Mit dem Fortschreiten auf dem filmeigenen Zeitstrahl nähern wir uns der IT und dem CCC wie wir ihn heute kennen. Moderne Gesichter des CCC wie Constanze Kurz kommen zur Wort, die Aufgabe bleibt dieselbe. Wer ist nicht jüngst über die Offenlegung zahlreicher Probleme mit der pandemiebedingten Kontaktpersonennachverfolgung durch u.a. die Luca-App gestolpert? Wie oben genannt – es fängt mit der Vergabe eines smarten Passworts an oder überhaupt der Frage wo man sich anmeldet und ob überhaupt. Aber es endet noch lange nicht dort. Dafür sensbilisiert auch der Dokumentarfilm und ist nebenbei eine Zeitreise durch die Geschichte der IT in Deutschland, Modem-Knirschen inklusive.

Untermalt wird das ganze von Zeitgeist, Rio-Reiser-Songs, IT-Grunge und ebensolchen Bildern. Sogar Cat Content gibt es – wie ginge es auch ohne? Dem Mauerfall, dem Leben der CCC-Ikonen wie Wau Holland, den Stürmen unserer jüngsten Vergangenheit. Die Geschwindigkeit kann je nach Zuschauer*innen fordernd sein, nicht alles bekommt soviel Aufmerksamkeit wie es hätte bekommen können. Beispielsweise die Bedeutung von Science-Fiction ist zu kurz geraten. Insgesamt ist es ein Must-See – für alle. Vor Allem aber für diejenigen, die „irgendwas mit IT machen“. Beeindruckend und anders als das übliche Bild, das die Gesellschaft zeichnet und die Informatiker zu selten brechen ist die letzte Aussage Wau Hollands, bevor die Closing Credits rollen: Hacker, Informatiker und v.A. Informatikpioniere verstecken sich nicht mehr in der virtuellen Cave. Die Botschaft lautet: geht raus, schaut Menschen ins Gesicht. Seht das, was IT bewirkt.

Alles ist Eins. Außer der 0., Deutschland, 2021, Klaus Maeck/Tanja Schwerdorf, 90 min, (9/10)

Sternchen-9

Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂

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