Serien-Besprechung: „The Night Of“

Dass ich „The Night Of“ schauen will ist das Nachholen eines Versäumnisses. Die Blogosphäre und überhaupt die Serien-Szene hat „The Night Of“ schon gefühlt vor Jahren gesehen und besprochen. Meine Riz Ahmed Werkschau ist aber noch frisch in zumindest meiner Erinnerung und ich hatte das Gefühl die Serie jetzt einfach nachholen zu müssen. 🙂

„I didn’t do it!“

Als Nasir „Naz“ Khan (Riz Ahmed) beschließt das Taxi seines Vaters (Peyman Moaadi) „auszuleihen“, um zu einer Party zu fahren, ist das der Anfang einer verheerenden und mehr als unglücklichen Verkettung von Ereignissen. Dass er sich verfährt ist gar nichts gegen all das was passiert als die hübsche Andrea (Sofia Black-D’Elia) zusteigt. Naz wirft sie nicht raus, eben weil sie hübsch und ein bisschen traurig aussieht. Sie fahren durch die Nacht, sie unterhalten sich, fühlen sich zueinander hingezogen. Andrea gibt ihm Drogen, die Naz anfangs ablehnt, aber sich irgendwann beschwatzen lässt und zum Schluss landen sie in ihrer Wohnung und schlafen miteinander. Als Naz die Augen aufschlägt und sich zu seiner Überraschung in Andreas Küche wiederfindet, geht er zurück zu Andrea und findet sie tot auf. Das Schlafzimmer ist quasi in Blut getränkt. Naz rennt in Panik weg, wird aber kurze Zeit später festgenommen. Alles spricht gegen ihn. DNA-Spuren, Überwachungskamera-Aufnahmen. Und sogar Augenzeugen, die beide vor Andreas Wohnung gesehen haben.

Was die Polizisten und auch wir Zuschauer*innen sehen, wenn wir Naz anschauen ist aber v.A. wie verängstigt und verstört er selber ist. Das spürt auch Detective Dennis Box (Bill Camp) und schwankt sichtlich. Will er das Psychogramm und die Geschehnisse rund um Andrea und Naz verstehen oder ihn einfach taktisch in ein Geständnis zu quatschen? Naz selber macht einige offenkundige „Fehler“, bei denen man vor schierer Betroffenheit fast von der Couch fällt. Heute wissen wir vielleicht besser als 2016 als The Night Of erschien, warum er so gehandelt hat. Warum er beispielsweise ein Messer vom Tatort entwendet hat. Weil daran wegen eines blöden Trinkspiels seine DNA war und er wusste, dass es so aussehen würde als ob er Andrea getötet hätte. Das ist auch der Grund, warum er vom Tatort abgehauen ist. Und dass er so überstürzt abgehauen ist ist auch der Grund für viele weitere Fehler. Aber was sind Fehler angesichts einer solchen Situation? Der Konfrontation mit Tod, Mord und Gefahr? Leider auch lebensbedrohlich.


„The Night Of – Trailer – Official HBO UK“, via HBO UK (Youtube)

„No fee till your free!“

Der Anwalt John Stone (John Turturro) wirbt mit „No fee till your free!“ und zieht üblicherweise Klientel an, bei dem sich die Frage gar nicht mehr stellt, ob der Fall vor einer Jury landet. Als er Naz mit hängendem Kopf und der Gewissheit, dass sein Leben vorbei ist auf der Wache sitzen sieht, bietet er ihm seine Hilfe als Verteidiger an. Für Beide ist das eine Begegnung, die vieles verändern könnte. Stone wittert seine Chance auf einen Fall, der es ausnahmsweise mal bis vor ein Geschworenengericht schafft. Und Naz todunglücklicher Gesichtsausdruck erledigt wohl den Rest. Als sich Stone umhört, was Naz getan haben soll, wird ihm das ganze Ausmaß erst klar. Naz selber kann sich nicht erinnern was passiert ist zwischen dem Sex und bevor er Andrea tot aufgefunden hat.

Was folgt ist ein Gefängnisdrama, Krimi und eine Gerichtsserie. Nachdem Naz verweigert wurde gegen Kaution freizukommen und er vorerst in Verwahrung bleiben muss, wird er als strebsamer College-Student in ein Gefängnis eingewiesen, in dem man ihm nach dem Papierkram bereits „Viel Glück“ wünscht. Als Andreas Fall und seine Festnahme in den Nachrichten und Boulevardblättern landen, ist seine Familie im Kreuzfeuer und er im Knast in Gefahr. Beide parallelen Handlungsstränge werden stets gegeneinander gehalten. Einerseits wie Naz im Gefängnis einen Spießrutenlauf durchlebt, das Trauma um Andreas Tod verarbeitet oder es zumindest versucht. Soll er sich letzten Endes doch irgendeiner Clique im Gefängnis anschließen, um zu überleben? Dabei gerät er an den ehemaligen Profiboxer Freddy Knight (Michael K. Williams), der ein florierendes „Geschäft“ in Rikers betreibt. Draußen versucht Stone soviel wie möglich über die Nacht, Andrea und Naz herauszubekommen.

Struktureller Rassismus, anyone?

Die Entwicklung der Beiden ist rasant. Naz berührt anfangs dadurch wie nachfühlbar verzweifelt er ist und versucht sich in einem lebensfeindlichen Umfeld zurechtzufinden. Als er sich der Gefängniskultur anpasst, ist er bald schon kaum als der junge, strebsame und verängstigte Mann von Beginn der Serie zu erkennen. Stone währenddessen wird mehr und mehr als empathischer, aber erfolgloser Anwalt charakterisiert. Er kann niemanden zurücklassen. Nicht Naz, nicht die Katze in Andreas Wohnung. Er nimmt sie mit, obwohl er allergisch ist. Ein fieses Exzem und allergisches Asthma machen ihm das Leben schwer genauso wie die Abschätzigkeit mit der ihn Menschen deswegen behandeln, wenn sie seinen Ausschlag sehen. Eine Gewissheit hat er aber: dass er ein verdammt guter Anwalt ist und der Fall ihm die Aufmerksamkeit gibt, die ihm bisher verwehrt blieb. Auch Naz rauszuboxen ist ein Anliegen, dass zusätzlichen Nährboden darin findet, dass er seinen eigenen Sohn (nicht viel älter als Naz) selten sieht. Bittere Ironie, dass Stress und Katzenhaare ihm seine großen Momente letzten Endes gehörig vergellen werden.

Ich habe während der gesamten Serie auf der Sofakante gesessen und konnte es mindestens ab Episode 3 vor Spannung kaum erwarten die jeweils nächste Episode zu sehen. Der Kampf großer Gewalten zwischen Staatsanwältin Weiss (Jeannie Berlin), Stone und Verteidiger-Kollegin Chandra (Amara Karan) ist ein Krimi an sich. Naz Überleben im Gefängnis und v.A. die Frage zu welchem Preis ist eine weitere Geschichte in der Geschichte und zeigt brutal auf wie der Überlebenswille hier aus dem Unschuldigen letzten Endes erst einen Kriminellen macht. Auch die Polizeiarbeit und deren manchmal schaurig nüchterne Realität zwischen Überstunden, Tatorten und Routinen und v.A. der zwischen den Stühlen sitzende Detective Box sind spannend und ernüchternd zugleich. Stets ist da die Hoffnung: geht es für alle besser aus als erhofft? Wer landet am Ende wo? Wer wählt welchen Weg und was sind die Folgen?

Hier bleibt wenig Platz für Wunderheilungen. Auch Naz Familie wird von Rassismus bedroht und nicht alle können weiter an Naz‘ Unschuld glauben. Die beiden Dinge an denen es in der Serie mangelt sind aber das Aufgreifen des Begriffs des strukturellem Rassismus. Sollen die überwiegend farbigen Insassen auf Rikers Island die Realität abbilden? Ich kann mich kaum entscheiden, ob das hilfreich oder alles andere als das ist. Überraschend: The Night Of ist das Remake der britischen Serie „Criminal Justice“, genauer der ersten Staffel in der Ben Wishaw die Rolle des zu Unrecht angeklagten spielt. Das Remake durch HBO ist jedenfalls gritty, lässt vielschichtige Charakterisierung erkennen, geadelt durch fantastisches Schauspiel und prägnante Szenen und Schnitte.

(9/10)

Sternchen-9

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Übrigens wurde ich bei der letzten Folge durch einen technischen Defekt des Streaming-Anbieters maximal getrollt und gespoilert. Obwohl ich die letzte Folge bisher nicht gestartet hatte, begann der Player sie ab dem Punkt abzuspielen, wo Naz‘ Schicksal und die Verkündung des Gerichtsurteils bereits klare Sache ist. Da der Timecode bzw. Zeitstrahl der Episode beim Abspielen nur angezeigt wird, wenn man explizit auf „Pause“ (o.ä.) geht, dachte ich zuerst, dass es normal der Anfang der Episode wäre und die scheinbar das Ende vorweg nimmt, nur um dann den Gerichtsfall danach zu erzählen, was mir doch arg antiklimaktisch erschien. Ihr könnt euch mein Gesicht vorstellen als ich doch mal auf Pause gedrückt habe und sah, dass die Episode bei über einer Stunde Spielzeit startete. Richtig mies. Ist euch sowas auch mal passiert? Und bevor ihr fragt: nein, ich bin nicht beim Schauen eingeschlafen 😉 Kennt ihr die Serie? Wie hat sie euch gefallen?

Eine Antwort

  1. […] The Night Of beklemmender Krimi (nicht nur) um Racial Profiling, Riz Ahmed ist großartig […]

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