Es mag übertrieben klingen, aber die Verfilmung 2001: Odyssee im Weltraum war schon einer meiner Erweckungsmomente als Filmfan, obwohl er ein paar Geheimnisse für sich behält. Zumindest bis man die literarische Vorlage gelesen hat. Bisher schreckte ich eher vor dem Griff zu Clarkes „vierteiliger Trilogie“ zurück, denn der nicht nur guter Ruf über einige Inkonsistenzen eilte dem Voraus. Außerdem der Vorwurf zuviel zu erklären und damit zu „entzaubern“. Letzten Endes war es dann Sebastians Besprechung, die mich doch (wieder) neugierig gemacht hat. Das Aufschlagen der etwas ältlichen aber günstigen englischsprachigen Paperback-Ausgabe offenbart erstmal Ausschweifungen anderer Art. Drei Vorworte. Drei. Zu denen äußere ich mich später nochmal.
2001: A Space Odyssey ist ein vier Akte geteilter Science-Fiction-Roman, der erstmals 1968 veröffentlicht wurde. Der erste Akt hat erstmal gefühlt wenig mit einer „Space Odyssey“ zutun, denn er setzt zur Zeit der Urmenschen ein, die mit dem Sammeln, Jagen und Überleben beschäftigt sind bis ein mysteriöser Monolith auftaucht. Das Buch macht keinen Hehl daraus, das der Monolith eine direkte Wirkung auf die Urmenschen hat. Sie entwickeln sich weiter, als ob ein Licht angemacht oder ein Funke entzündet wurde. Kaum dass wir Zeuge dieses Entwicklungssprungs werden, setzt der zweite Akt die Handlung an einem Punkt fort, indem die Menschheit bereits das All bereist.
Der Wissenschaftler Dr. Heywood Floyd reist zur Mondstation Clavius um dort mit eigenen Augen den Fund eines weiteren solchen Monolithen zu sehen. Bisher wissen nur wir Leser*innen, dass das nicht das erste Mal ist, dass ein solcher auftaucht. Die Wissenschaftler entdecken, dass er ein Signal gesendet hat, dass sie ins Sonnensystem um die Region des Saturn verfolgen können. Sie beschließen eine Weltraumexpedition dorthin zu schicken um das Geheimnis des Monolithen zu entschlüsseln. Hier beginnt die eigentliche Space Odyssey.
Und damit der für mich spannendste Teil des Buches. Er handelt von den Astronauten Dave Bowman und Frank Poole auf dem „Discovery“ getauften Schiff, bei dem sie nur der Bordcomputer und Künstliche Intelligenz HAL 9000 begleitet, sowie Kollegen im Kälteschlaf. Bald schon gibt es aber seltsame Defekte an Bord, die sich niemand erklären kann und es kommen Zweifel daran auf, ob HAL oder die Austronauten noch „richtig funktionieren“ und den Erfolg der Mission garantieren können. Der Konflikt zwischen HAL und der Crew ist der wohl ikonischste aus Literatur und Film, der das Misstrauen und die Angst vor dem Kippen des Machtverhältnisses zwischen Mensch und Maschine abbildet. HAL ist hervorragend unheimlich, wenn er so höflich sagt „I’m sorry, Dave, but in accordance with special subroutine C1435-dash-4, quote ‚When the crew are dead or incapaticated, the onboard computer must assume control, unquote. I must therefore, overrule your authority, since you are not in any condition to exercise it intelligently.“ p.187 Neben dem kritischen Blick auf Technologie gibt es noch andere Motive, die auch heute noch relevant sind und für Diskussionen sorgen. So auch beispielsweise der quasi schöpferische Kickstart durch Monolith – d.h. durch eine außerirdische Präsenz?
Das liest man v.A. deswegen raus, weil das Buch tatsächlich ganz eindeutig sagt, was hier Sache ist im Gegensatz zu den hermetischen bis hin zu psychedelischen Szenen des Films. Was der Film einen Hauch zu wenig leistet, macht das Buch zuviel. Die Demystifizierung beginnt schon auf Seite 14: „They could never guess that their minds were being probed, their bodies mapped, their reactions studied, their potentials evaluated.“ Das sorgt schnell dafür, dass man das Buch als Spielverderber wahrnimmt, der dem Leser das Denken erspart. Es gibt ja oftmals so Meinungen wie „Das Buch ist immer besser als der Film“ (die ich schwierig finde und anders sehe). Hier muss man sagen: der Film hat es jedenfalls als visuelles Medium leichter als das Buch um den mystischen Charakter und Symbolträchtigkeit aufrecht zu erhalten. Solche Momente wie den ikonischen Schnitt vom Vormenschen-Werkzeug, dem Knochen, hin zu Raumschiff als modernes Werkzeug des Menschen, dass Dr. Heywood Floyd zum Mond bringt, kann Clarke im Roman nicht erzeugen. Seine Sprache und Wortgewalt aber kann schon mithalten. Auch wenn es mehr von einer Art messerscharfer Anekdotenhaftigkeit hat.
„There was a sense of strain in the air – a feeling that, for the first time, something might be going wrong. Discovey was no longer a happy ship.“ p.170
Ähnlich wie der Name des Raumschiffes, den man gefühlt schon mindestens zehn mal als Namen anderer Raumschiffe in jüngeren Medien gehört hat, verhält es sich mit der Technologie im Buch. Soviele Jahre, Bücher, Serien und Filme nach Erscheinen von 2001: A Space Odyssey wirken die hier vermutlich erstmals erwähnten technischen Rafinessen und Visionen nicht mehr so „neu“. Vom Erzeugen von Gravitation durch bewegliche, in sich rotierende Schiffe; über Slingshot-Mannöver bis hin zu Cryo-Schlaf oder der schieren Distanz und verstrichenen Zeit bis Bowman und Kollegen mal am Saturn ankommen – all das ist für Science-Fiction bewanderte Leser*innen nicht mehr so neu und verursacht vielleicht kein Staunen mehr. Ruft man sich aber das Erscheinungsjahr ins Gedächtnis, wirkt das schon gleich visionärer. Und wie! Vielleicht sogar wie ein Meisterwerk, das wirkungsvoll den Zeitgeist des Raumfahrt-Wettrüstens um „Wer schickt zuerst bemannte Raumschiffe ins All/auf den Mond/etc.“ ausnutzte. Hier wird auch außerdem klar: Das Odyssey im Titel nimmt das Buch sehr ernst!
Klingt das nun zu durchwachsen, habe ich es nicht gern gelesen!? Doch, durchaus. Ich habe das Buch gern gelesen, aber aus oben genannten Gründen, wirkte es nicht so stark auf mich wie ich erwartet hätte. Man muss sich ein Stück weit Objektivität zurückholen, um das Genie hinter all den Konzepten und Ideen zu erkennen. Das meiste ist hinter neueren Science-Fiction-Büchern und -Medien verborgen, die aber ganz klar genau diese Space Odyssey zum Vorbild hatten. Das liegt glasklar auf der Hand. Die mitreißenden letzten zwei Drittel des Buches sind für mich auch spannend und Suspense pur. Mit wenigen Ausnahmen, in denen Clarke voller Weltraumromantik überlang die Wunder des Weltalls beschreibt. Nichtsdestotrotz ein gutes Buch, aber eines, dass mich mehr motiviert den Film nochmal zu schauen als die weiteren drei Bände zu lesen.
Bei den drei Vorworten handelt es sich in dieser Ausgabe übrigens um ein In Memoriam für Stanley Kubrick, den Regisseur des Films mit dem Clarke eng zusammenarbeitete. Tatsächlich ist es nämlich kein klassischer Fall von „Buch existierte und wurde dann verfilmt“, sondern viel mehr so, dass Kubrick Clarke beauftragte ein Drehbuch zu erarbeiten, das auf mehreren Kurzgeschichten Clarkes beruht. In Folge der kollaborativen Arbeit am Drehbuch entstand Clarkes Roman-Version von 2001: A Space Odyssey – diese hier. Zusätzlich gibt es dann noch ein Vorwort für die „Millenial Edition“, in die ich mehr Marker und Klebezettel gemacht habe als in den Rest des Buches, weil es so amüsant auf die Zusammenarbeit Kubricks und Clarkes eingeht, aber auch den Umgang der Menschen mit Technologie oder einfach Clarkes persönliche Gedanken. Auch im zweiten Vorwort: Clarke gibt hier an, dass HAL anders als alle annehmen nicht für IBM steht, p.116 offenbart: Heuristically programmed Algorgithmic computer. Hm, schade. 🙂 Das dritte ist das klassische „originale“ Vorwort. Alle drei kann man getrost eher am Ende lesen, zumal sie Teile der Handlung vorgreifen.
Anbei noch ein paar spoilerbehaftete Gedanken zum Ende – zum Lesen bitte ausklappen.
Zwei Zitate, die wie ich finde die Stimmung des Buches gut wiedergeben sind leider sehr spoilerhaft. Und wie folgt:
„Then he waited, marshaling his thoughts and brooding over his still untested powers. For though he was master of the world, he was not quite sure what to do next. But he would think of something.“ p.287
„In their explorations, they encountered life in many forms, and watched the workings of evolution on a thousand worlds. They saw how often the first faint sparks of intelligence flickered and died in the cosmic night. And because, in all galaxy, they had found nothing more precious than Mind, they encouraged its dawning everywhere. They became farmers int he fields of stars; they sowed, and sometimes they reaped. And sometimes, dispassionately, they had to weed.“ p.244
Ich bin mir sehr unschlüssig, was ich daraus machen soll. Von den fantastischen Aliens haben wir nicht soviel mitbekommen, was wohl dazu animiert die restlichen drei Teile zu lesen. Sehr konkret wird es trotz obiger Ausführung nicht, was die Motivationen der außerirdischen Intelligenz ist. Ich stelle mir einen gelangweilten Gott vor (auch wenn Gott hier für mehrere Individuen steht). Eine verpasste Chance sehe ich in der Rolle HALs. Warum ist HAL nicht auch ein Produkt der Maßnahmen von außen eine Weiterentwicklung zu beeinflussen? Wie wäre es, wenn HAL sich weiterentwickelt und über die Menschen behauptet hätte, nachdem auch ihn der schöpferische Kickstart geküsst hat? Vielleicht nicht mittels Monolith, sondern Signal? So wie einst die Urmenschen? Stattdessen wird HALs Fehlfunktion mit einem Konflikt in seinen Weisungen erklärt. Hier wirkt das Potential etwas verschenkt auf mich. Da ich mich aber selber (aus Neugier) gespoilert habe, weiß ich, dass da vielleicht noch was kommt. Trotzdem glaube ich aktuell, dass ich die Trilogie nicht weiterlesen werde.
„No trilogy should have more than four volumes, so I promise that 3001 is indeed the final Odyssey!“ p.xviii
Fazit
Science-Fiction-Roman, der seiner Zeit voraus war, aber heute vermutlich für eine Mehrzahl der Leser*innen nicht mehr die gleiche Sogwirkung entwickeln kann.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-0-451-45799-8, Penguin Random House Verlag
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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