Neulich fand ich im Rückblick auf das Filmjahr eine Frage nach meinen „Guilty Pleasures“ des Jahres. Erstmalig strich ich das Wort. Eine liebe Kollegin sagte letzte Woche in unserem Buchclub, dass sie ja mehr so Guilty Pleasures lese und sich dachte, jetzt lese ich mal was der Buchclub liest. Aber warum ist das eine besser? Oder schlechter? Was ist überhaupt „guilty“ am „pleasure“ ein Buch zu lesen auf das man Lust hat? Oder wenn man mal eine Serie guckt, die nicht für 5 Preise in der Kategorie Best Drama nominiert ist? Ich benutze den Begriff „Guilty Pleasure“ nicht mehr. Und das ist warum…
Schuldig
Gehen wir nochmal drei Schritte zurück. Der Begriff Guilty Pleasure wurde erstmalig im Jahr 1860 von der New York Times verwendet und beschrieb dort ein Bordell [2]. Vor Allem in der jüngeren Geschichte wird der Begriff nun für alle möglichen Vergnügen benutzt, mit denen wir etwas lasterhaftes, wenig ernsthaftes oder peinliches assoziieren. Etwas, weswegen man sich schuldig fühlen müsse. Sami Schalk beschrieb es gegenüber der New York Times im Jahr 2019 so:
„A guilty pleasure is something that we enjoy, but we know we’re either not supposed to like, or that liking it says something negative about us“ [1]
Meine Kollegin sagte, dass es ein Guilty Pleasure wäre, dass sie gern mal so eine richtige Schnulze liest. Als ich vorletztes Jahr anfing wieder Supernatural zu schauen, nannte ich das mein Guilty Pleasure. Mein Freund hat mich dazu überredet irgend so einen Reality-TV-Quatsch zu schauen, den ich eh für geskriptet halte und eigentlich einen Bogen darum mache. Ich finde es furchtbar schlecht, aber wir gucken es weiter. Es hat eine seltsame Anziehung, auch wenn ich weiß, dass das alles geskriptet ist und Realität nur vorgaukelt. Es ist irgendwie schräg und unterhält auf eine facepalm-weise. Es ist ein Guilty Pleasure. Ich habe den Eindruck, dass einige meiner Kollegen erst damit herausgerückt haben, dass sie Pokémon spielen, nachdem ich mal gesagt habe, dass ich wieder eine Pokémon-Edition spielen will. Vielleicht haben sie es nicht angesprochen, weil es ihnen peinlich ist!? Ist doch was für Kinder? Halt ein Guilty Pleasure. Aber ist es? Wir alle spielen es! Sind wir jetzt alle schuldig!?
Unschuldig
Das ist natürlich überspitzt. 😉 Im Grunde ist mir der Begriff egal. Wenn er sich eben so eingebürgert hat, ok. Aber ich frage mich schon: warum sollte ich mich wegen irgendetwas schuldig fühlen, das mir gefällt oder mich gerade unterhält? Guilty Pleasure konnotiert, dass es vor dem Auge der Öffentlichkeit nicht ok ist, wenn ich diese Medien konsumiere. Weil sie banal sind und mir peinlich sein sollten. Wir fürchten uns nicht davor die Medien zu konsumieren, schrecken aber davor zurück öffentlich darüber zu reden. Arbeitskolleg*innen sollen denken, dass ich nur Emmy-prämierte Serien schaue und einen erlesenen Geschmack voller Geheimtipps und Perlen habe. Warum schließt das eine das andere aus? Als Film-Blogger*in/Podcaster*in/Setze-Begriff-ein kann ich natürlich nur das beste vom Besten schauen. Und jetzt stelle ich die Frage: ist das glaubwürdig? Ist das echt? Nein, ist es nicht. Es entmenschlicht und verzerrt das Bild.
Stattgegeben
Natürlich kann man die Frage stellen, ob man grundsätzlich alles besprechen muss oder will. Als ich Supernatural weiterschaute und darüber auf Twitter und im Blog schrieb, hatte ich schon die Befürchtung, entfolgt zu werden oder dass mich die Hälfte stummschaltet. Aber Überraschung: es bekannten sich doch einige dazu die Serie zu kennen und es entstanden unter den Beiträgen ein paar lebhafte Diskussionen. Ganz sicher kann ich mir natürlich nicht sein, ob die einen oder anderen nicht die Nase rümpfen und doch auf „stummschalten“ oder „entfolgen“ geklickt haben. Ist es nicht nur menschlich, dass ich auch mal etwas schaue, um „einfach nur“ unterhalten zu werden oder den Kopf zu entspannen? Es kann mir keiner erzählen, dass du (ja du!) das nicht tust. 🙂
Vielleicht redest du nicht drüber und findest es deswegen gaga, dass andere das machen. Warum schlechte Filme oder Serien überhöhen!? Naja. Das ist eben der nächste Haken. Will man in die Kritik gehen, dann muss man auch bereit sein Abstand zu nehmen und zu einer Form der Objektivität finden oder zumindest mit der Subjektivität ranzugehen, die man (idealerweise) immer an den Tag legt. Was ich damit sagen will: immer dasselbe Maß zur Bewertung zu benutzen. Meine Supernatural-Besprechungen sind nicht verlegen darum auch mal zu sagen „wow, die Staffel war so schlecht“. Wenn ich alles klasse fand, problematische Inhalte und Schwächen ignoriere und darüber lange Absätze schreibe wie toll alles ist, dann ist das fangirling und auch ok, solange man nicht behauptet, dass keine anderen Meinungen existieren dürfen. („Also ICH fand DEN Film ja TOTAL KLASSE. Wer etwas anderes behauptet, der …“)
Die einen finden das Outfit peinlich, die anderen haben es im Schrank. Irgendwas schlimm daran?
Freispruch
Niemand hat das Recht jemand anderem vorzuschreiben wie man seine Freizeit gestaltet, welche Medien man konsumieren darf. Oder vorzuwerfen, dass man schlecht ist, weil man schlechte Serien schaut. So funktioniert das nicht. Unterhaltung ist je nach Kopf auch zur Entspannung da. Deine Entspannung ist einen Hermann Hesse Roman zu analysieren? Okay! Auch darf niemand den Geschmack eines anderen wegen Unterhaltung in Frage stellen. Wir bekommen schließlich auch selten das „full picture“ einer Person. Urteilen wir früh ist das in erster Linie unser Problem. Der Geschmack der anderen ist es nicht. Ich verurteile auch niemanden, der den Begriff Guilty Pleasure nicht schlimm findet und verwendet. Mach! Aber ich habe angefangen ihn schlimm zu finden und werde meinen Medienkonsum oder die Literatur, die ich lese nicht schmälern. Schießlich tun sie etwas ganz essentielles, wofür ich mich nicht schämen werde. Sie tun mir gut. Sie machen mir Spaß.
Okay, diese eine Reality-TV-Serie tut mir nicht gut, aber sie schadet mir auch nicht. Supernatural hat aber beispielsweise mehrere Komfort-Charaktere wie Castiel, mit denen ich immer und immer wieder mitfiebere und die mir einfach immer gute Laune machen, egal wie doof der Rest der Episode ist. Oder Jaskier in The Witcher – ein Charakter, der sehr vertraut ist, weil er wie wir in dieser Welt manchmal etwas aufgeschmissen ist und sich statt auf Zauberkräfte auf seinen Verstand verlassen muss. Er bringt Humor in die Serie und ich glaube ich würde sie signifikant schlechter finden, wenn es ihn nicht gebe. Wenn ich also Guilty Pleasure nicht mehr sage, dann sage ich Komfort-Serie und Komfort-Charaktere, weil es das ist, was sie mir bieten. Weniger guilt, mehr Komfort. Ja. Auch für Fangirling, Shipping, Fandoms, Cosplay und FanFiction. Es tut gut.
Liest man ein bisschen und schaut sich etwas um, dann sind die ach so guilty Guilty Pleasures offenbar auch nichts schlimmes. In [3] bei der BBC heißt es gar, dass wenn wir kontrolliert nachgeben und konsumieren, was uns Freude bereitet, wir später in der Außenwelt besser funktionieren und ausgeglichener sind. All diese großen Worte wie Ausgeglichenheit, Produktivität, Selbstbeherrschung, derer wir gern mächtig wären, hängen letzten Endes davon ab wie erholt wir selber sind und wie eins mit uns selbst. Und ein Teil dieser Erholung besteht eben darin, sich mit positiven Einflüssen zu umgeben, auszuruhen und zu entspannen. Nix guilty daran. Und „Du sagst mir, was du im Fernsehen schaust und ich sage dir, wer du bist“ ist schlichtweg Unsinn. Also weniger guilty, mehr Komfort. Jetzt.
Quellen
[1] „‘Guilty’ Pleasures? No Such Thing“, The New York Times, 1. Juli 2019
[2] „Against “Guilty Pleasure”“, The New Yorker, 9. Dezember 2013
[3] „Psychology: Why does guilt increase pleasure?“, BBC, 30. Dezember 2014
Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht auch weiterhin über die Symbolistik in Villeneuves „Enemy“ abnerden können. Oder was auch immer. Doch, natürlich, bitte, bitte. Ich finde bloß, dass wir uns nicht schuldig fühlen müssen für das, was wir schauen, lesen, spielen. Und natürlich steht es jedem frei das für sich zu behalten. Auch ich erzähle euch nicht alles. 🙂 Aber ich werde zumindest meinen Drang nicht unterdrücken auch mal über Supernatural oder einen Boys-Love-Manga zu schwatzen, wenn mir danach ist. Vielleicht interessiert es ja doch wen, vielleicht gibt es doch mal einen wohlwollenden Kommentar. Und wenn du mich deswegen für „guilty“ hältst und stummschaltest, dann ist das nicht mein Problem, weil ich gerade sehr glücklich Pokémon spiele. Yasss. Was bedeutet der Begriff für euch? Wann habt ihr in zuletzt benutzt? Was ist denn euer Komfort-Charakter? Oder eine Komfort-Serie? Schämt ihr euch noch oder habt ihr schon aufgehört euch zu schämen?
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