Mitten im dunkelsten und tiefsten Kino-Sommerloch fragte eine liebe Freundin, ob wir nicht mal in den Dokumentarfilm gehen sollen. Ohne Jonas Deichmann zu kennen oder den Trailer zu gucken, schien der Gedanke von dem Menschen, der nur mit eigener Kraft und Ausdauer die Welt umrundet, auf’s angenehmste zu entführen. Eskapismus und Fernweh ahoi. Warum nicht?
Wie was? Nur mit eigener Muskelkraft und Ausdauer? Um die Welt? Und die Ozeane? Ja hier liegt schon der Knackpunkt. Natürlich wird Deichmann auf Transport angewiesen sein, zumindest über die Weltmeere. Das selbst erklärte Ziel Jonas Deichmanns ist es die Welt im Triathlon zu umrunden, d.h. schwimmend, laufend und per Rad. Auf das Flugzeug soll verzichtet werden. Segeln bzw. Schiffverkehr allgemein wären akzeptabel, aber nur, wenn es nicht anders geht. Was Zusammenfassung und Trailer bereits vorwegnehmen ist, dass seine Weltumrundung während der Corona-Pandemie startete und in Konsequenz die Gesetze mitunter soweit verschärft wurden, dass viele Länder ihre Grenzen dicht machten. Kann der Kraftakt gelingen?
„Trailer Film: Jonas Deichmann – Das Limit bin nur Ich. (Official)“, Jonas Deichmann, Youtube
Es ist enorm beeindruckend zu sehen wie Jonas Deichmann davon spricht täglich 100 km auf dem Rad hinter sich legen zu müssen, bevor sein Visum abläuft. Dass er über 400 km im Adriatischen Meer schwimmen will, usw. Und er tut es! Man weiß kaum, wovon man mehr begeistert sein soll. Den Naturaufnahmen und Stadtansichten oder dem schieren Ausmaß an sportlicher Leistung. Den Komplikationen mit denen er gerechnet und geplant hat oder denen, die sein Unterfangen fast verhindern und plötzlich auf seinem Weg auftauchen. Die Menschen, denen er begegnet und wieviel Gastfreundlichkeit er entgegen gebracht bekommt, stellt den Glauben an die Menschheit wieder her. Man beginnt wieder an die große, globale Menschlichkeit und Empathie zu glauben. Dann ist er aber auch (vermutlich Anfang 2021) in der Ukraine und Russland unterwegs. Da sieht man die Ukraine, die heute ein Kriegsschauplatz ist. Deichmann fährt durch das damals noch intakte, heute zu großen Teilen zerstörte Charkiw. Freundliche, russische Menschen helfen ihm, während er später in Sibirien unterwegs ist, nichtsahnend, dass der Staat durch den er hier fährt knapp ein Jahr später einen anderen angreifen und unschuldige Menschen töten wird.
So faszinierend diese Zeitreise und die Reise um die Welt ist, so sehr ich auch von Deichmanns Leistung und Plan beeindruckt bin, so schön es auch gefilmt ist, ist der Dokumentarfilm ist eben auch stellenweise unreflektiert. Das Narrativ konzentriert sich hauptsächlich auf die Hürden und den enormen Sportsgeist, wie Deichmann als „German Forrest Gump“ bekannt wird und reißt sein Aufwachsen an. Was es aber nicht aufgreift ist was diese Reise möglich macht. Man sieht, dass Deichmann social media betreibt, erahnt Sponsoring und Influencer-Laufbahn. Es fallen die Worte Held und Abenteurer. Das klingt schon cool und er ist der richtige, sympathische Protagonist dieses Abenteuers und Films, sodass man das gar nicht hinterfragen möchte. Aber das Wort Privileg steht im Raum, bleibt unadressiert. Was bedeutet es, wenn Menschen sehen, was möglich ist; sich aber nicht fragen, ob dass für alle möglich ist?
Nicht nur dass dämpft das Erlebnis des Abenteuers, aber auch die Frage, warum der Film nicht darauf eingeht, dass einige der klimaneutralen Vorhaben geplatzt sind. Ob man die Militärs in Mexiko oder dubiose hinter Jonas herfahrende Gruppen kommentieren muss, die „sehen wollen, ob er das richtige filmt“ kann man zur Debatte stellen. Eine Dokumentation unterscheidet sich zu einer Reportage dadurch, dass sie keine Meinung vorgeben, nicht werten und objektiv(er) sein soll. Sagt man. Aber da es auch um die Person Jonas Deichmann und ein konkretes Vorhaben geht, hätte ich erwartet, dass darauf eingegangen wird. Schließlich war es Eröffner des Films und Vorhabens. All das schmälert nicht Deichmanns Leistung, aber sind Denkanstöße und kritische Betrachtungen zum Film. Was er geleistet hat ist eine Hausnummer und ja, motiviert die eigenen Grenzen zu hinterfragen und zu erwägen, ob das Ausbrechen aus dem Alltag für einen selber möglich, wenn nicht sogar notwendig, ist.
Jonas Deichmann – Das Limit bin nur ich, Deutschland, 2022, Markus Weinberg/Steffi Rostoski, 105 min, (6/10)
Kanntet ihr Jonas Deichmann? Und habt möglicherweise sogar den Film gesehen? Was ist eure Meinung? Und was sagt euer Sportsgeist dazu? Wo wärt ihr an eure körperlichen Grenzen gekommen, wo an die eurer Komfortzone? Wer sich das ganze übrigens in kürzerer Form anschauen möchte, findet beim ZDF Sportstudio eine 10-Minuten-Zusammenfassung von Deichmanns Vorhaben. Seid gewarnt: das ist dann natürlich der ultimative Spoiler, ob Deichmann die Aktion so geschafft hat wie angekündigt. Übrigens hat der Film mein Fernweh nur minimal getriggert, weil ich nie so eine reduzierte und körperlich anstrengende Tour schaffen würde. Das hat mich gelinde gesagt mehr beschäftigt.
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