Das gehörte Wort … Hörbuch-Besprechung zu „Der geheimnisvolle Mr. Hyde“ von Craig Russell

Craig Russell macht sich (vielleicht) eine bekannte Figur der Schauerliteratur zunutze und lässt in seinem Roman den Polizisten Captain Edward Henry Hyde durch das Edinburgh Ende des 19. Jahrhunderts streifen. Ist er die Vorlage für Jekyll und Hyde? Und was ist dann seine zweite Natur? Gespannt war ich, griff aber auch erstmal zum Hörbuch wie ich es oft mache, wenn ich den Autoren noch nicht kenne – und wenn David Nathan das Hörbuch spricht. 😉 Die Besprechung ist spoilerfrei.

Captain Hyde und sein Team stehen um 1880 vor einem Rätsel. Es werden grausige Morde verübt, die bei der Bevölkerung Gerüchte um Banshees auslösen. Zusammen mit dem Verschwinden der Erbin eines großen Warenhauses und Unruhen durch schottisch-nationalistische Aufstände und Vereine, erweckt es den Eindruck einer Zeit voller Konflikt. Die Rolle der Polizei darin – zu schwach? Auf ihnen lastet gewissermaßen Druck. Außerdem stellt Hyde fest, dass er immer mehr Lücken hat. Ihm fehlt Zeit. Wacht manchmal an Orten auf, ohne zu wissen was er zuletzt getan hat oder wie er dort hingekommen ist. Er glaubt nicht an Banshees und Geistergeschichten, aber er glaubt an mentale Erkrankungen und Psychosen. Sein Vertrauen setzt er in seinen besten Freund, Dr. Porteous, der Gehversuche auf dem Gebiet der Psychologie macht und ihm vielleicht helfen kann, bevor die Aussetzer Konsequenzen auf die Ermittlungen haben. Doch nach und nach stellt sich die Frage, ob er Porteous vertrauen kann?

Natürlich denkt man sofort an eine Verbindung Hydes zu den Morden oder andere Spielarten, in denen unser aufrechter und missverstandener Captain in die Sache involviert ist. Aber das Buch weiß uns gut bei Lauen zu halten, indem Russell genug Hinweise in diverse Richtungen streut und andere Akteure und Gruppierungen auftreten lässt. Ist Hyde vielleicht gar ein Opfer von Experimenten oder ist jemand ganz anderes der oder die Mörderin? Es gab kurze Momente, da hielt ich quasi alle für potentielle Schuldige. Etwas gewollt ist das Spiel natürlich schon, aber gut umgesetzt. Das Auftreten Robert Louis Stevensons, des Autors von Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde, hätte ich gar nicht unbedingt gebraucht. Zumindest nicht in Person oder auch nicht mehrmals. Es ist zwar ein witziges Gimmick, aber eben auch eine überdeutliche Botschaft, die das Szenario entwirft dieser Hyde könne die Vorlage für Stevensons Hyde gewesen sein. Und das war es noch nicht mal mit dem Auftreten berühmter Autoren klassischer Literatur. Sprüh ein bisschen Fame drüber. Apropos Fame, Craig Russell kann fließend Deustch sprechen. 😀

Craig Russell über »Der geheimnisvolle Mr. Hyde«, Aufbau Verlage, Youtube

Neben diesem Muster gibt es andere, die ich für überstrapaziert und nicht mehr ganz gegenwärtig halte. Zum Beispiel, dass die Gerichtsmedizinerin bzw. Pathologin mit teils südasiatischen Vorfahren als „exotisch“ beschrieben wird. Ihr ganzes Auftreten und ihre Schönheit werden besonders hervorgehoben und sie quasi als ein „Wunder“ beschrieben. Natürlich muss man sich in Erinnerung rufen, dass eine Frau (und noch dazu eine schöne) als Ärztin nicht für uns oder für den Autoren so abwegig sein muss, aber vielleicht für den in ca. 1880 lebenden Hyde. Dennoch: von Kolonialisierung hat er sicherlich schon mal gehört? Auch wenn das damals anders bewertet wurde?

Von solchen aus der Zeit gefallenen Momenten und Sichtweisen abgesehen, ist das Buch spannend und hat gar Züge kosmischen Horrors, die an Lovecraft erinnern. Mal sind es die Visionen Hydes, mal die der entführten Erbin. All das verunsichert, ob sie noch in dieser Welt weilt!? Auch die schottische Folklore und Nationalhelden finden hier Erwähnung. Die Motive vermischen sich gekonnt und man weiß noch lange nicht, ob das Grauen hier irdisch oder überirdisch ist. War ich anfangs skeptisch, hat mich das am Ende des Hörbuches restlos begeistert. Sehr angenehm ist auch, dass man beim Hören des Hörbuchs schlauer wird. So lernt man aus der Geschichte Schottlands bzw. Großbritanniens z.B. über die Surgeons‘ Hall riots.

Total unerwartet war, dass ich das erste Mal in meinem Leben nicht mit David Nathan als Sprecher zufrieden bin. Russells Der geheimnisvolle Mr. Hyde liest er eher sehr schnell und in einem relativ ähnlichen Tonfall. Fast so als würde er eine ewig lange Aufzählung wiedergeben müssen, was den Eindruck eines Gehetzten vermittelt. Das mag auf die zeitkritische Ermittlung Hydes ja einerseits zu treffen, ist aber anstrengend zu hören. Ob die Schuld bei David Nathan zu suchen ist – immer fraglich. Wie war die Regieanweisung oder die Idee hinter der Aufnahme?

Kennt ihr das Buch bzw. Hörbuch? Und wenn ja wie hat es euch gefallen? Wann wart ihr zuletzt so hin- und hergerissen zwischen Inhalt und wie es gelesen wurde? Habt ihr schon mal wegen der Art wie es gelesen wird ein Hörbuch abgebrochen?

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