Während sich Mike Flanagan zuvor mit Spuk in Hill House und Bly Manor Schauerliteratur widmete, die ich leider bis dahin nicht gelesen (aber nachgeholt) habe, bin ich hier mehr zuhause. Denn Edgar Allan Poes Werke waren in meiner Teenagerzeit die Art Geschichten, die ich verschlungen habe. Daher fieberte ich Flanagans Version vom „Fall des Hauses Usher“ entgegen. Spoilerfrei.
„Yet mad I am not…and very surely do I not dream.“
Setting the stage wird hier ernst genommen. Zu Beginn der Serie erfahren wir, dass alle sechs Kinder Roderick Ushers (Bruce Greenwood) in kurzer Zeit verstorben sind. Usher ist der CEO von Fortunato, einem Pharmakonzern. Trotz des Reichtums, des zu erwartenden öffentlichen Interesses und der makabren Abstrusität des gigantischen Verlusts, lässt sich kaum jemand bei der Beerdigung blicken. Nur Roderick Usher sieht seine verstorbenen Kinder voller Gram und Terror vor sich. Er lädt den Anwalt Auguste „Auggie“ Dupin (Carl Lumbly) dahin ein, wo die Geschichte des Hauses Usher anfing. Dupin ist verwirrt. Ihr letzter Rechtsstreit fand ein jähes Ende, es gibt nichts mehr zu sagen. Aber Roderick Usher beschließt ihm alles zu erzählen. Wie seine Kinder umkamen. Und im Laufe des Abends gar ein Geständnis abzulegen.
Was danach kommt ist die Geschichte des jungen Roderick (Zach Gilford) und seiner Schwester Madeline (Willa Fitzgerald, Mary McDonnell), die von einem Mittelstandshaushalt zu Pharmagiganten werden und dabei vielleicht ein Stück ihrer Menschlichkeit aufgeben. Auf jeden Fall ihrer Moral. Es ist ebenso die Geschichte des Pharma-Business und ihrer Opfer, vom Preis des Ruhms und davon unsterblich werden zu wollen (im übertragenen Sinne). Vor Allem erzählt es in acht Episoden den Untergang des Hauses Usher mitsamt seiner Nachfahren – einer nach dem anderen. Denn die sechs Tode können kein Zufall sein, oder?
„The external world could take care of itself.“
Poes Bücher sind in Flanagans „Usher“ eher lose adaptiert. Darauf welche Geschichten Poes hier Verwendung fanden, erhält man einige Hinweise. Darunter v.A. in den Schlüsselsymbolen und beispielsweise den Namen der Charaktere. In Ushers Rückblick darauf wie sein Sohn Napoleon Usher (Rahul Kohli) zu Tode kam, erkennen wir Poes Der schwarze Kater. Der Kater durfte hier sogar den Namen behalten: Pluto. In Prospero Ushers (Sauriyan Sapkota) Namen erkennen wir auch den des Prinzen aus Die Maske des roten Todes, während T’Nia Miller als Victorine LaFourcade Herzerkrankungen erforscht und wir Poes Das verräterische Herz erahnen – was sich allzu deutlich bestätigen wird. 😉 All diese Episoden werden verwoben zum Untergang des Hauses Usher mit Roderick und Madeline als Bindeglied wie auch einer mysteriösen Unbekannten (Carla Gugino), die bei allem ihre Finger im Spiel zu haben scheint.
Dass Flanagan hier erneut mit viel Spielraum modernisieren, verweben und adaptieren kann, hat sich quasi aufgedrängt. Schließlich hat Poe konsequent hauptsächlich Kurzgeschichten und Gedichte verfasst. Die zeugen zwar von einem großen Gespür für die menschliche Sinnsuche und Abgründe, aber sind eben v.A. zu kurz um alleine eine Miniserie zu füllen. Das titelgebende Der Fall des Hauses Usher ist dabei nicht mal unbedingt eine meiner persönlichen Lieblingsgeschichten. Flanagan hat aber eine ganze Masse an Werken aufgegriffen und macht Lust andere zu entdecken wie beispielsweise The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket, deren Hauptcharakter niemand geringeres als Mark Hamill portraitiert und die zu dem Familien-Anwalt und Cleaner der Angelegenheit der Ushers wird. Und oh, er hat eine Menge zutun. So sind Poes Werke sehr lose adaptiert und nicht alle behalten ihre angedachte Wirkung, den Ausgang oder die Botschaft. Am Ende aber kumuliert alles in einem Finale, das vor Allem einem Werk Poes (wirklich) Ehre macht: dem Raben.
„Nevermore“
Für den letzten Teil seines Flanaverse aus Schauerliteratur-Adaptionen hat sich die Crew einen Abgesang mit Paukenschlag, Reichtum und Aufsteigertum als zentrale Motive ausgesucht. Zwar spielten bisher alle Serien des Flanaverse in großen Häusern, die „klassische“ gothic horror tales verkörperten, aber die Hauptpersonen waren meist sehr bodenständige Typen. Hier hingegen ist das Haus (vorrangig) metaphorisch, die Personen dürfen dieses Mal in Dekadenz baden. Mehr noch – sie sind vulgär, sie nehmen Substanzen aller Couleur zu sich, sie sind verschwenderisch, ausschweifend und egoistisch. Das Motiv der zu Reichtum gelangten Familie und des moralischen Verfalls wie auch der beliebten Redewendung, Geld würde nicht glücklich machen, folgen (fast) alle Figuren. Schauspieler:innen, die wir in früheren Serien und Filmen Flanagans bereits sahen, dürfen hier erstmals in Reichtum baden, Marken gründen, Angestellte schikanieren und Pop-up-Clubs eröffnen. Irgendwie ist es schön die bekannten Darsteller:innen wie Kate Siegel, Samantha Sloyan und Rahul Kohli mal in Glanz und Glamour im Flanaverse zu sehen. Das Problem dabei ist nur, dass die Formel der Dekadenz zu gut aufgeht. Sie portraitieren eben alle (Ausnahmen bestätigen die Regel) ziemliche Arschlöcher, mit denen es schwer fällt Empathie zu empfinden.
Ich bin es nicht gewohnt bei Flanagan-Storys vor dem Bildschirm zu sitzen und mich zu fragen wie wohl der oder die nächste ein Ende finden wird. Denn manche der Tode sind gewissermaßen schaurig und sehr visuell. Man findet sich wieder in der Rolle Zuschauender, die auch ein bisschen richten, wenn auch nur moralisch. Das ist nicht immer bequem. Am wohl unbequemsten ist aber, dass wir die Ushers kaum eine Träne wegen ihrer verstorbenen Kinder verlieren sehen. Das trägt für mich noch so viel mehr dazu bei, dass ich mit der Serie erst fast am Ende überhaupt warm geworden bin. Nicht, dass ich immer Lichtgestalten brauche, denen ich gern folge und für die ich die Daumen drücken möchte. Dann würde ich mehr „happy“ Serien gucken. Nein, aber Charakterentwicklung habe ich schon gerne. Die ist mir auch in den Rückblicken auf Roderick und Madeline Usher in ihrer Jugend als unangenehm abwesend aufgefallen. Viel blieb da neben dem feinen Rätselraten über Hinweise auf Edgar Allan Poe Geschichten anfangs nicht, dass mich als Zuschauende hielt.
Was die Serie aber sehr gut kann ist Kritik an unserem Lebensstandard zu üben. Uns den Spiegel vorzuhalten und zu fragen, was wir bereit sind in Kauf zu nehmen für eine Welt ohne Schmerz, für Reichtum und Anerkennung. Das Motiv wird nochmal umso stärker als Roderick und Madeline Usher beginnen gegen Ende der Serie auf ihr Lebenswerk zurückzublicken und sich vor (mindestens) sechs Gräbern und einem einstürzenden Kartenhaus wiederfinden. Hier ist die Serie dann so stark, dramatisch, düster und bitter wie ich sie mir von Anfang an gewünscht hätte. Plus: es gibt eine wahnsinnig gute Rede über Zitronen und Limonade sowie einen angenehm-bitteren Seitenhieb auf KI-generierte Inhalte. (7/10)
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Die Zitate, die ich für die Überschriften verwendet habe, stammen aus den englischen Versionen von Poes Kurzgeschichten „Der schwarze Kater“, „Die Maske des roten Todes“ und dem Gedicht „Der Rabe“, die neben vielen anderen in der Serie verarbeitet wurden. Punktemäßig war es nicht mein Favorit von Flanagan, aber ich habe die Serie besonders gegen Ende trotzdem gern geschaut. Wie ging es euch damit?
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