ausgelesen: Tomer Gardi „Eine runde Sache“

Eigentlich will ich ja nicht böse sein. Aber dieses Mal muss es raus: Klappentext und Umschlaggestaltung werden dem Buch nicht gerecht. Klar, Umschlaggestaltung kann ich mir hininterpretieren. Klappentext sagt irgendwas von „zwei Künstlern“, „sprachlichen und kulturellen Räumen“. Das ist wahr – darum geht es. Aber wenn man das liest, klingt das ein bisschen trocken und verschweigt, dass Tomer Gardis Roman unheimlich witzig, interessant, tragisch und gesellschaftskritisch ist. Er erzählt die Geschichte zweier Künstler aus verschiedenen Jahrzehnten und Orten, die sich nie begegnen werden. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit Migration und Diskriminierung sind sie aber entgegen Zeit und Raum miteinander verbundene, trotzige Glücksritter.

In der ersten Hälfte des Buches ist es eine fiktionalisierte Version von Autor Tomer Gardi selber, der in eine etwas unglückliche Situation rutscht. Eigentlich wollte er nur den Abend mit einem Bier, einem belegten Brot und einer Zigarette ausklingen lassen, da hat er sich im nächsten Moment ohne sein Zutun mit dem Intendanten des Theaters angelegt. Während er noch darüber nachdenkt wie er aus dem Schlamassel wieder rauskommt, wird er von einem Fremden auf eine Yacht eingeladen und freut sich über die Zerstreuung. Zu dumm nur, dass der Fremde nie „Yacht“, sondern „Jagd“ gesagt hat. Klingt zugegebenermaßen ähnlich. Und was da gejagt wird, merkt Tomer bald, ist er selber.

„Das Schmerz kommt und geht. Die blaue Auge auch. Das sind doch Kleinichkeiten. Das ist ja nichts. Was hier geschah war viel ernstes. Das Leben hat die Kunst beleidigt. Die Kunst wird Rache nehmen. Und der Schlachtfeld bin ich.“

p. 8

Der Autor wird in dieser Geschichte also Gegenstand einer surrealen Jagd, später einer Flucht, danach einer Reise, die immer schräger wird. Sie ist voller Metaphern auf die deutsche Kultur. Wie Tomer sich da durchschleust ist ein irres und satirisches Werk, das ganz mit der Frage spielt, ob das wirklich so passiert sein soll. 😉 Bei jedem Umblättern fragt man sich, was als nächstes vor ihm steht, ihn bewertet. Fun-fact: der Erlkönig zählt u.a. dazu. Geschrieben ist dieser erste Teil quasi in Mundart, d.h. in dem akzentbehafteten Deutsch ähnlich dem, das der in Israel geborene Autor Tomer Gardi selber spricht. Das „gebrochene Deutsch“ ist ganz klar eine Entscheidung, ein Wink zu Gardis Buch Broken German und ein wichtiger Bestandteil des Buches. Sprache wird insbesondere hier eine große Rolle spielen, wo doch die wenigsten ein akzentfreies, modernes Deutsch sprechen, außer die deutsch-deutschen Sittenwächter, die später in der Handlung auftreten werden und es sich sehr leicht machen Tomer Gardi auch noch als „ewigen Juden“ zu bezeichnen. Uff.

Trotz der vielen Verweise auf deutsche Gemütlichkeit, Rassismus und das „Land der Dichter und Denker“ ist der erste Teil so unfassbar witzig, dass es fast ein bisschen weh tut. Erkennt man doch all die metaphorischen Figuren denen Gardi begegnet. Eher weniger witzig ist die zweite Erzählung im Buch, die Gardi in Hebräisch verfasst hat und die von Anne Birkenhauer übersetzt wurde. Sie ist dementsprechend akzentfrei und handelt vom javanischen Prinzen und Künstler Raden Saleh Syarif Bustaman, der zusieht wie seine Heimat von niederländischen Kolonialherrschern eingenommen wird. Er nimmt das Angebot seine Fähigkeiten als Maler in den Niederlanden mit dortigen Mentoren zu vertiefen an und trifft auf mehr oder wenige freundliche Gönner. Immer mit dabei: ein Hauch Fremdeln und Abschätzigkeit. Raden Saleh will sich irgendwann von all diesen Abhängigkeitsbeziehungen lösen und nimmt sein Glück selber in die Hand. Mit zwischenzeitlich überraschendem Erfolg.

„Saleh wusste, er konnte sich dem nicht entziehen, er war schließlich niederländischer Bürger und hatte seinem Staat zu gehorchen. Doch er wusste, er konnte sich auf eine Art und Weise verhalten, die jedem, der einmal unter kolonialer Herrschaft gelebt hat, geläufig war: Ja sagen und das Gegenteil tun.“

p. 162

Der zweite Teil von Eine runde Sache ist ein fiktionalisierter Take auf den Maler, der tatsächlich gelebt hat. Der Erzähler ist hier ein Museumswärter, der großes Interesse an Raden Saleh hat. Der (bittere) Witz ist aber auch hier, dass beide Erzähler keine zuverlässigen sind und wir uns nicht sicher sein können, ob das erzählte überhaupt so stattgefunden hat. Im Falle von Tomer Gardis witziger, aber auch gefährlicher und entmenschlichender Reise durch „deutsche Leitkultur“ ist es naheliegend, dass das nicht so passiert ist, sondern ausgedacht. Raden Salehs vom Museumswärter erzählte Geschichte hat er sich aus den Erzählungen verschiedener Personen zusammengestückelt, die bei Museumstouren über den Künstler sprechen.

Beide Figuren oder Geschichten lassen tief blicken, egal wie „wahr“ sie sind. Beide Personen geraten in ein System, in dem sie überleben wollen, aber nur begrenzt selbstbestimmt sein können. Der Autor reißt das Ruder in der ersten Geschichte auf clevere Weise rum, der Künstler Raden Saleh versucht das. Trotz der ganz anderen Umstände und Zeiten machen sie sehr ähnliche Erfahrungen. U.a. dass ihr künstlerisches Schaffen enteignet wird. Raden Salehs Bilder werden einmal übermalt, unter anderem auch mal verbrannt. Er malt irgendwann „exotische“ Motive, weil das so gewollt ist, nicht weil das seine Heimat zeigt wie sie tatsächlich ist.

Das sind aber längst nicht die einzigen Gemeinsamkeiten der zwei Charaktere und Geschichten, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemeinsam haben. Beide werden irgendwann als „ewiger Jude“ angesprochen bzw. damit verglichen, obwohl Raden Saleh beispielsweise kein Jude ist. Allein der Fakt migriert zu sein, löst ganz bestimmte Verhaltensmuster ihnen gegenüber in ihren Mitmenschen und dem Kulturbetrieb aus. Lügen werden ein Mittler für Beide, um sich diesem bitterbösen Klamauk zu entziehen. Und die sind wiederum für uns höchst witzig wie auch entlarvend. Das Buch hat damit eine Menge Stoff für uns zum Nachdenken darüber was wir von anderen verlangen, wie wir unsere Kultur definieren und wie wir mit den Geschichten anderer umgehen.

Fazit

In der Tat eine runde Sache.

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-442-77331-2, btb Verlag

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

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