Rings um die Berlinale hörte ich das erste Mal von „Gloria!“ und es klingelte als ich in den Plan eines unserer örtlichen Programmkinos schaute – da war er endlich. Und wäre „Gloria!“ nicht zwischendurch so ernst, dann wäre er wohl der Feelgood-Film des Jahres. Spoilerfrei.
Um 1800 lebt Teresa (Galatéa Bellugi) im Waisenhaus Sant Ignazio in der Region um Venedig. Aber anders als die anderen jungen Frauen ist sie dort nicht als heimatlose Waise aufgenommen wurden und darf nicht im Kollegium musizieren, in dem die anderen Kinder und jungen Frauen unterrichtet werden. Sie arbeitet dort als Magd und räumt anderen hinterher. Trotzdem bleibt sie von der Musik nicht unberührt. In ihrem Kopf formen sich alle Umgebungsgeräusche zu Melodien. Sie nutzt einfachste Mittel als Instrumente. Ein paar Etagen „oben drüber“ komponiert Lucia (Carlotta Gamba) eigene Stücke. Aber bleibt vom Schuldirektor und Pastor Perlina (Paolo Rossi) unbeachtet. Dann eines Tages rütteln zwei Geschehnisse den Heimalltag auf: 1. der Papst kommt und ihm zu Ehren soll Perlina eine neue Komposition mit seinem Chor aufführen. Und 2. dem Heim wird ein Piano forte gestiftet.
Wer hätt’s gedacht, aber Perlina versucht tatsächlich zu verheimlichen, dass er nicht oder nicht mehr komponieren kann. Zudem findet ausgerechnet die als „debil“ und stumm verkannte Teresa das Piano und bringt sich zu nächtlicher Stunde bei zu spielen. Lucia und ihre Freundinnen hören die Klänge und sie bilden eine Girl Group wider Willen. Aus ihnen bricht alles das hervor, was sie erlebt haben. Und wie wir nach und nach erfahren ist das eine Menge. Vor Allem Teresas Geschichte sorgt dafür, dass man den einen oder anderen stimmungstechnischen Hieb in die Magengrube erdulden muss. Nur gut, dass einem die Songs der jungen Frauen und ihre unkonventionellen Melodien aus diesem Tief stets wieder herausholen. Es ist ganz klar ein Kunstgriff, aber er wirkt: sie erfinden die Popmusik. Ihre Lieder werden ein ganzes System im kleinen Kosmos von Sant Ignazio einstürzen. Und man sieht nur zu gern zu.
Für manche mag Gloria! tatsächlich zum Feelgood Film des Jahres taugen. Dann aber meistert Feelgood meistens nie zu hart zu sein oder einen das Niederschmetternde gut vergessen zu lassen. Ich tue mich schwer zu vergessen was Teresa angetan wurde, den Machtmissbrauch Perlinas und anderer Männer im Film inklusive ihrer widerlichen Doppelzüngigkeit. Mein einziger Kritikpunkt an Gloria! ist tatsächlich auch, dass die Charakterzeichnung der männlichen Hauptfiguren denkbar einfachst und einseitig gestaltet ist. Aber es mag schon sein, dass man manchmal eben von rein erzählerischer Seite ein starkes Feindbild braucht, wenn man einen Punkt machen will. Und den Punkt macht Gloria!
Was man bei Gloria! eben nicht vergessen machen will ist wie Frauen zum Erstummen gebracht wurden. An einer Stelle wird Teresa (die übrigens sehr wohl sprechen kann) direkt gesagt, dass sie gefälligst stumm bleiben soll. Das ist ein Wink zu der vergessenen Leistung und den Kompositionen von Frauen, die vor dem (zumeist männlichen Auge) der Geschichte nicht genug vermeintliche Relevanz hatten. Wie man gegen Ende des Films erfährt waren Häuser wie Sant Ignazio von Einsparmaßnehmen in Folge napoleonischer Machtumwälzungen betroffen und wurden geschlossen. Waisen erhielten nicht mehr dieselbe Bildung und Umsorge wie zuvor, Frauen ebenso wenig. Der Film stellt die Frage: wo wären wir ohne (diese) Bildung? Wie viel großartiges wäre nie entstanden, vergessen, verkannt?
Gloria! schafft es all diese schweren Themen auszubalancieren und die Musik hallt noch lange nach, wenn man aus dem Kino schreitet. Übrigens führte die italienische Sängerin Margherita Vicario Regie – und singt auch den einen oder anderen Song. Wunderbar!
Gloria!, Italien/Schweiz, 2024, Margherita Vicario, 105 min, (9/10)
Habt ihr „Gloria!„ schon gesehen? Oder wollt das jetzt tun? Ich hoffe! Normalerweise bin ich mit meinem Empfehlungen nicht so offensiv, aber Gloria! möchte ich wirklich jeder:m an’s Herz legen. Ich weiß schon, dass es einer meiner Filme des Kinojahres 2024 wird.
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