Serien-Besprechung: „Bridgerton“ Season 1

Wenn sich die Natur rausputzt, die Sonne scheint und sich Menschengruppen um blühende Kirschbäume scharen, um ihre Smartphones zu zücken, dann weißt du: es ist Frühling. Dann passiert meistens auch mit mir etwas seltsames und ich tausche mein übliches Serien-Beuteschema gegen Romance. Und dieses Jahr bekam ich den Flitz auf den Bridgerton-Hype aufzuspringen. Ich war selber gespannt. Die Review ist spoilerfrei.

What the ton desires

Irgendwann zur Regency-Zeit, d.h. um 1800, lädt die High Society in London zu Bällen und Brautschau ein. Zu den Glücksuchenden gehören allen voran die Familien Bridgerton und die Featheringtons. Während die Söhne der Familie Bridgerton rund um den Ältesten Anthony (Jonathan Bailey) sich noch etwas Zeit mit der Familiengründung gönnen, erlebt Daphne (Phoebe Dynevor) als die älteste Tochter der Bridgertons ihr Debut. Und die höchste Ehrung! Denn Königin Charlotte (Golda Rosheuvel) bezeichnet sie als makellos und als den „Diamanten“ unter all den jungen Damen der Saison. Dem Hype gerecht zu werden ist aber nicht so einfach, v.A. wenn ihr Bruder Anthony es als seine Pflicht ansieht alle Interessenten zu vergraulen. Dessen bester Freund Simon (Regé-Jean Page), der Duke of Hastings, kehrt zurück nach London und würde Heiratswilligen lieber entkommen. Daphne und er schließen einen Pakt – sie täuschen gegenseitiges Interesse vor in der Hoffnung, dass Simon seine Ruhe hat und Daphnes Popularität wieder steigt.

Die Featheringtons hingegen versuchen gleich drei Töchter (darunter Nicola Coughlan als Penelope) und ein Mündel (Ruby Barker als Marina Thompson) zu verheiraten. Zwar stielt Marina allen die Show, allerdings hat die auch ein Geheimnis, das ihre Verheiratung in den Augen von Lady Featherington (Polly Walker) besonders dringlich macht. Nebenbei sorgt eine sich als „Lady Whistledown“ bezeichnende Autorin für eine Menge Buzz. Sie gibt regelmäßig eine Schrift heraus, in der nur wenige Geheimnisse der High Society (=“the ton“) sicher sind.

Bridgerton | Offizieller Trailer | Netflix, Youtube

For all your Austen Needs

Zu Beginn war ich schon etwas unangenehm überrascht wie billig alles auf mich wirkte. Ich gestehe: schon vorher hatte ich Vorurteile gegen Bridgerton. War das nicht eher die Vorstellung wie sich ein amerikanisches Publikum oder eine amerikanische Produktion die Regency-Ära vorstellt? Musste das sein mit den billigen CGI-Häusern? Sind die Kleider nicht etwas zu bunt, die Frisuren zu übertrieben und manches gar aus einer anderen Ära? Ich befürchte schon, aber eine Historikerin bin ich nicht. Das genau zu zerpflücken – den Gefallen haben mir zig andere Magazine, Blogs und Youtuber:innen getan. Trotzdem hatte Bridgerton so einen betont bunten Sahneüberzug, bei dem ich mir nicht sicher war, ob ich ich ihn mag.

Aber wie bei so vielem hilft es mindestens noch die zweite Episode zu schauen. Da lernt man, dass das „Bunte“ auch der Fluch Penelopes ist und einer der Gründe, warum auf die Familie Featherington etwas herabgesehen wird. Sie sind nicht die stilsichersten der Gesellschaft mit ihren kanariengelben, orangefarbenen und pinken Kleidern. Zum Anderen hat man spätestens jetzt verstanden, dass Bridgerton auch einfach nicht gemacht ist, um sich um den Preis als historisch näherungsweise korrekte Serie zu bewerben (das gibt es eh nicht), sondern einfach gefallen will.

Sie ist hervorragend als Komfortserie (manch einer würde Guilty Pleasure sagen), indem sie auf nahbare Charaktere, Wendungen und emotionale Verwicklungen setzt. Nicht alles davon ist neu. Bridgerton wirkt aus vielem Guten zusammengeklaut. In den Figuren und dem ganzen Setting erkennt man Regency Romance Romane wieder, zu deren größter und bekanntester Autorin ganz klar Jane Austen zählt. Wenn gegen Ende der Staffel eine der Schwestern der Bridgertons aus Bath wiederkehrt oder die zweitälteste Tochter der Bridgertons, Eloise (Claudia Jessie), sich darüber beschwert, dass Frauen mehr sein sollen als Schaustücke im sozialen Haifischbecken, dann hört man da doch förmlich Lizzie aus Stolz und Vorurteil, oder? Lady Whistledown ist darüber hinaus quasi das Gossip Girl der Serie. Kann das funktionieren? Das funktioniert ganz wunderbar. Und basiert selber auch bereits auf einer Romanreihe von Julia Quinn.

Colourful in every way

Der Charme von Bridgerton und Quinns Romanen ist nun ganz offenkundig, dass moderne Ansichten und Aspekte ihren Platz finden. Beispielsweise ist es ein wiederkehrendes Thema der ersten Staffel wo die Babys herkommen. 😉 Denn sexuelle Aufklärung gehörte wohl nicht zum guten Ton. Es ist regelrecht lächerlich wie wohlmeinende Mütter hier daran scheitern ihren Töchtern vor der Hochzeitsnacht mitzuteilen, was (damals) unter „ehelichen Pflichten“ verstanden wird. Das sorgt im Umkehrschluss für einiges an Leid und viel Unsicherheit. Hier ist Bridgerton plötzlich ganz stark: welches Format hat sich mal getraut darüber zu sprechen und das in Bilder zu packen?

Im Gegensatz zur Romanreihe Julia Quinns (übrigens ein Pseudonym) sind die Charaktere hier angeblich „colour-blind“ gecastet. Ganz so colour-blind war das übrigens nicht, denn spezifische Rollen und deren Hautfarbe wurden tatsächlich geskriptet. Allen voran Königin Charlotte. Es wird in der Serie betont, was auch den Serienschöpfer Chris Van Dusen zu dem Szenario inspirierte. Hätte Erasure von PoC in der High Society früherer Epochen nie stattgefunden, wenn sich ein „gemischtes“ Paar mit großer Strahlkraft gefunden hätte? So wie hier in der Serie der (weiße) König und seine (farbige) Königin? Hätten dann Persons of Color der High Society den ihnen zustehenden Platz einnehmen können und wären auch natürlicherweise überlieferter Teil der Geschichte gewesen? Ein spannender Gedanke. Denn es gab natürlich adlige PoC.

So oder so ist colour-blind oder color-conscious Casting für mein Empfinden immer lohnenswert, wenn auch nur eine Person dadurch denkt „ok, ich hätte also einen Platz in dieser Welt“. Allerdings hat das offensichtlich auch einen Haken – denn wer hat wohl die Edelsteine aus dem Stein gehauen, den die feinen Damen und Herren um den Hals tragen? Natürlich lässt Bridgerton als vorrangige Romance- und Komfortserie gesellschaftliche Themen wie Rassismus, Kolonialismus, etc. aus. Wer sich mehr zur Colorblind-Casting-Debatte belesen will, findet in den nachfolgenden Quellen Futter:

Darüber hinaus gibt Bridgerton dankbarerweise einem ganzen Spektrum an menschlichen Eigenschaften Platz. Ich denke da an Penelope als Plus Size Lady oder an den zarten Ansatz der LGBTQ+ Community Raum zu geben. Hier wird dann das Was-wäre-wenn Van Dusens nicht weiter ausgebaut. Auch hier ist es (wie damals) gefährlich zu lieben wie man liebt, wenn es nicht heterosexuell ist. Nimmt man das alles zusammen – wie kann das Fazit lauten?

Natürlich ist Bridgerton absolut in your face. Die Art und Weise wie Cliffhanger und Wendungen wie auch Komplikationen zwischen den sich Liebenden gesetzt werden ist beispielhaft, um Menschen dazu zu bringen wieder einzuschalten. Höchst dramatisch, manchmal herzzerreißend, sehr gewollt, aber auch handwerklich mehr als nur geschickt. Trotzdem geht Bridgerton dankbarerweise nicht immer den Weg der allzu offensichtlichen Entscheidung. Hinzu kommt, dass die Serie von Minute eins an spicy ist und mehrere „gazes“ bedient – den male und female gaze. Vielleicht ist es Teil der Anziehung er Serie, das hier eben nicht alles so klinisch und unsexuell bleibt wie es die wirklichen Romane der Ära vorgeben. Leidenschaft ist hier mindestens so sehr ein Teil der Formel wie auch das fast gewaltsam vorgeschobene Motiv des „true love match“. Daphne wie auch einige andere (aber bei weitem nicht alle) zielen darauf ab es eben nicht so zu machen wie die meisten. Nicht wegen der finanziellen Absicherung allein oder aus Prestige zu heiraten. Ein schöner Gedanke. Und schön, dass uns Bridgerton diesen Gedanken einfangen und mitfiebern lässt, gerade weil wir wissen, dass das nicht die Realität der Regency Ära war. Manchmal will ich Serien einfach nur gucken, um zu träumen und die Daumen zu drücken, das sich findet, was sich finden soll. (8/10)

Sternchen-8

Header image uses a photo by Masako Ishida maco-nonch★R on Unsplash

Ein bisschen überflüssig fühlt es sich ja schon an über eine Serie zu schreiben und sie ernsthaft zu besprechen, wenn man dermaßen late for the party ist. Aber ich halte es so wie ich es schon bei Star Trek gehalten habe: no spoilers, much comfort. Habt ihr euch vom Bridgerton-Hype anstecken lassen? Oder findet ihr „Hype“ gar nicht gerechtfertigt?

Eine Antwort

  1. […] mich die erste Staffel von „Bridgerton“ auf den zweiten Blick doch noch sehr für sich einnahm, schaute ich […]

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