Fantastischer Film: Millennium Actress

Inhalt

Chiyoko Fuji­wara ist die titelgebende Mill­en­nium Actress. Sie war über Jahrzehnte hinweg eine gefeierte Schauspielerin und lebt nun abgeschieden von der Öffentlichkeit. Der Dokumentarfilmer Genya Tachibana und der Kameramann Kyōji Ida suchen sie auf und möchten eine Dokumentation über ihr Leben drehen. Als Chiyoko beginnt aus ihrem Leben zu erzählen, beginnt anders als erwartet die sehnsuchtsvolle Geschichte auf der Suche nach ihrer großen Liebe. Dabei verschwimmen in ihrer Erzählung die Grenzen zwischen Realität und Fiktion – ihrem Leben und den Rollen, die sie spielte. Die Rollen die Chiyoko verkörperte sind in allen historischen Epochen Japans angesiedelt und während wir mit ihr leiden und eifern, ob sie dem Mann ihres Lebens wieder begegnen wird, beginnt für uns eine Reise durch das historische Japan, die Nackriegszeit und die Moderne.

Hintergrund

Millennium Actress stammt aus der Feder von Satoshi Kon, der hier ebenfalls Regie führte. Der leider bereits 2010 verstorbene Japaner zählt als ein Meister seines Fachs. Auf sein Konto gehen sehr viele innovative Animationsfilme, die allesamt beweisen, dass Animation kein Kinderkram ist. So bescherte er uns u.a. den Psychothriller Perfect Blue, das Obdachlosen-Drama Tokyo Godfathers oder auch das Mindfuck-Movie Paprika – selbstverständlich alle animiert. Zu seinen großen Bewunderern zählt u.a. der Regiesseur Darren Aronofsky (Black Swan, Requiem for a dream).

Das Bild der Millennium Actress, die über Jahrzehnte ein Idol war, ist angelehnt an das Leben der japanischen Schauspielerinnen Hideko Takamine und Setsuko Hara. Man erkennt im Film insbesondere Haras Biografie wieder – eine Schauspielerin, die lange als Idealbild der japanischen Frau und Sinnbild von Frömmigkeit galt und sich später zurückzog.

Meinung

Millennium Actress ist ein Melodram, das in einem sehr realitätsnahen Stil gezeichnet ist und durch die Darstellung der vielen japanischen Epochen als bildgewaltig bezeichnet werden kann. Der Film demonstriert damit auf wunderbare Art und Weise, was Animationsfilme leisten können, wenn man die Materie richtig anzupacken weiß. Die Erzählung und Chronologie folgt dabei eigenen Gesetzen und wie in anderen Werken Satoshi Kons verschmelzen Realität und Fiktion. Die grenzen zwischen Rahmenerzählung (Chiyokos Geschichte für die Dokumentarfilmer) und Erzählung in der Erzählung (ihr Leben) wird ab und zu durchbrochen, indem die Dokumentarfilmer plötzlich mitten in der Geschichte reinplatzen und Rollen in Chiyokos Vergangenheit einnehmen. Man sollte sich einfach davontreiben lassen und diese schwimmenden Grenzen genießen – und mit Chiyoko zittern, ob sie ihr Glück finden wird. Und hier liegt auch die andere große Stärke des Films: Kon hat sich mehr getraut als zig Hollywood-Drehbuchschreiber und Regiesseure. Es ist bekannt, dass oftmals vor weiblichen Hauptrollen bei Kassenschlagern zurückgeschreckt wird, weil das Publikum angeblich auf männliche Helden und Weltretter besser anschlägt. Nicht nur, dass Satoshi Kon oftmals weibliche Heldinnen hat, nein, er zeichnet hier das Bild einer Frau, die wir durch ihr komplettes Leben begleiten und sie in so vielen Rollen kämpfen sehen. Und: es ist ein Tribut an japanische Schauspielerinnen und Stars der 50er und 60er Jahre, die einen Symbolcharakter bis zur Selbstaufgabe aufrecht erhielten.

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

10 Antworten

  1. Oh, sehr schön. Ich liebe Satoshi Kon. „Tokyo Godfathers“ ist ein wunderbarer Weihnachtsfilm 😀 und „Paprika“ ein toller Mindfuck, der sogar „Inception“ locker in den Schatten stellt. „Millennium Actress“ habe ich noch nicht gesehen… aber wird demnächst dann hoffentlich mal nachgeholt…

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Oh ja, das weckt Erinnerungen. Tokyo Godfathers muss ich Weihnachten unbedingt mal wieder schauen. Und Paprika! Ich kann mich noch erinnern, dass es irgendwann mal hieß, dass es eine Realfilm-Adaption geben soll, sogar unter prominenter Regie (Steven Spielberg oder so???). Habe aber ewig nichts mehr davon gehört – vielleicht wieder nur so ein Gerücht, was der Kumpels eines Cousins eines Freundes eines Produzenten gehört haben will,… . Fand es auch sehr schön wie in diesen Kino-Szenen in Paprika die anderen Satoshi-Kon-Filme einen „Gastauftritt“ haben. Hach … schade, dass er uns abhanden gekommen ist. Satoshi Kon hätte noch viele schöne Filme gemacht. 🙁 Umso mehr plädiere ich dafür, dass du Millennium Actress guckst. 🙂

  2. Hands down der beste Anime-Film, der je gedreht wurde.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Amen. 🙂

  3. Der steht bei uns im Schrank, bislang ungeguckt – ich weiß gar nicht warum. Da werden wir den wohl mal anschauen müssen. Hast Du schon den neuen/letzten Ghibli-Film gesehen? Den fand ich auch sehr toll.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Meinst du mit „dem letzten“ Prinzessin Kaguya? Den ihr auch besprochen habt? Den habe ich leider noch nicht gesehen. :-/ Muss ich aber unbedingt nachholen, u.a. wegen dem handgezeichneten Pinselstrich-Look. Bin ja so ein handgezeichnet-Verfechter.
      Ich komme immer total durcheinander bei den Veröffentlichungs-Daten, weil da so ein Riesen-Delay zwischen Japan und Deutschland ist. Der zuletzt veröffentlichte in Japan war glaube ich Marnie – den möchte ich auch gern sehen. Seufz … soviele schöne Filme. 🙂

  4. […] ich mich für einen ent­schei­den muss, dann wähle ich bei mei­ner heu­ti­gen Gefühls­lage Mill­en­nium Actress. Aber ich kann nicht garan­tie­ren, dass das noch genauso ist, wenn du mich nächste Woche fragst […]

  5. So liebe Miss,
    ich habe heute den Film geschaut und muss dir nochmal herzlich danken. Mein erster von Satoshi Kon, muss ich gestehen.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Jetzt spannst du mich aber auf die Folter 😀 Uuuuuund? Hat er dir auch gefallen oder war nicht dein Ding?

  6. […] Eine ganz große Film­liebe von mir. Eine geal­terte Schau­spie­le­rin erzählt von ihrem Leben und der Suche nach ihrer gro­ßen Liebe. Dabei ver­mi­schen sich ihre Lebens­sta­dien mit den Rol­len, die sie gespielt hat und geben einen Ein­blick in die ver­schie­de­nen Zeit­al­ter Japans. Mit­rei­ßend, dra­ma­tisch, wit­zig, wun­der­bar ani­miert — ein Meis­ter­werk! Mehr dazu […]

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