Inhalt
Wann wart ihr das letzte Mal spazieren? Der Protagonist in Masayuki Kusumis Geschichte mit Zeichnungen des großartigen Jiro Taniguchi (Gipfel der Götter, Vertraute Fremde) macht eher unfreiwillig und zufällig einen Spaziergang und entdeckt dabei längst vergessenes in den Straßen Tokios. Nach diesem unerwartet schönen Entdeckungen platziert er immer öfter Spaziergänge in den eingetretenen Pfaden seines Alltags und teilt seine Entdeckungen mit uns in 8 Geschichten die das Flair der Nebenstraßen und unterschiedlichen Stadtteile Tokios einfangen.
Hintergrund
„Der geheime Garten von Nakano Broadway“ ist ein Manga – per Definitionen sind Manga japanische Comicformate. Der Stoff lässt sich am ehesten in das Genre Slice-of-Life einordnen und hat eine sehr ruhige, leicht melancholische, ab und zu witzige Atmosphäre. Das Gesamtpaket richtet sich demnach eher an erwachsenere Leser, die nicht immer Action und Tragik in ihren Unterhaltungsmedien brauchen. Das traurige an der deutschen Veröffentlichung ist, dass es unter der Bezeichnung „Graphic Novel“ erschienen ist. Es gibt keine „Graphic Novel Manga“ oder „Manga Graphic Novels“ – alle Comicformate in japanischem Stil bzw. aus Japan werden unter dem Begriff „Manga“ zusammengefasst. Grund für diese Umbenennung ist wahrscheinlich, dass die deutsche Leserschaft zu großen Teilen Manga noch mit Kinderkram gleichsetzt und dem Stoff wahrscheinlich keine Chance geben würde, wenn er als „Manga“ veröffentlicht worden wäre. So zumindest meine Interpretation. Das erscheint mir als äußerst nützlich für den Verlag, leider aber als äußerst schädlich um Manga in Deutschland zu einem besseren Ruf zu verhelfen. Traurig. Ein weiterer bedenklicher Nebeneffekt der deutschen Veröffentlichung ist, dass der Manga zu üblichen Graphic Novel-Preisen erscheint – aktuell kostet er 12€. Dabei ist die Seitenanzahl geringer als bei Mangas sonst üblich. Man hat das Buch in weniger als einer Stunde gelesen. Um den relativ kleinen Panels (Einzelbilder bzw. „Kästchen“ im Comicseiten-Layout) gerecht zu werden wurde das Buch in einem etwas größeren Format angelegt, was positiv ist. Nichtsdestotrotz hat man das Buch aber in knapp einer Stunde durch und blecht ca. doppelt soviel wie für einen normalen Mangaband (ca. um die 6€). Hinzu kommt, dass der Manga scheinbar gespiegelt wurde, um den westlichen Lesegewohnheiten gerecht zu werden. Normalerweise verbleiben Manga heutzutage in ihrer Lesereihenfolge, bei der man eben von rechts nach links blättern und lesen muss. Eben gemäß japanischer Leserichtung. Wieder eine Anpassung zugunsten der breiten Masse. Umstände, die ich kritisiere.
Ansonsten ist „Der geheime Garten …“ ein Glanzstück von einem Werk für anspruchsvolle Leser, die mal eine leicht-verträgliche Story genießen wollen. Im Anhang erfährt man viele Informationen von Masayuki Kusumi. So beispielsweise, dass ‚Der geheime Garten von Nakano Broadway‘ ihn auf die Idee zur Geschichte rund um die Spaziergänge brachte. Es sollte auf einem Hochhaus einen Garten geben, auf dem alte Leute ihre Hunde spazieren führen und nicht jeder Zugang hat. Das ist der Namensgeber – aber diese Geschichte wurde in den 8 Episoden tatsächlich gar nicht aufgegriffen, was den deutschen Titel zu einem McGuffin macht … zumindest wenn man den Anhang nicht liest. Daraus geht übrigens auch hervor, dass der Autor einige Anpassungen auf Wunsch der japanischen Redaktion vornehmen musste. Die Zielgruppe wären Hausfrauen, weswegen der Protagonist verheiratet sein sollte und seine Frau einige Auftritte bekommen müsste. Ja, in der japanischen Comicbranche wird kalkuliert, wenn auch sehr anders im Vergleich zur beispielsweise amerikanischen. Ich finde übrigens nicht, dass das Buch nur was für Hausfrauen ist. 😉
Meinung
„Der geheime Garten von Nakano Broadway“ ist leichte Kost, aber sehr gute Literaturkost. Die Slice-of-Life-Episoden haben alle einen etwas anderen Charakter, bleiben aber ohne große Tragik oder Emotionen. Actionverwöhnte Leser werden die Geschichte wahrscheinlich für banal halten, schließlich beobachten wir den Hauptcharakter bei Spaziergängen, in denen er interessante kleine Gaststätten entdeckt oder sich an Etappen aus seinem Leben erinnert. Wer aber ernstere und ruhigere Stoffe mag, weiß die Handlung zu schätzen. Dem Vorwurf der Banalität kann ich nur so begegnen: die Geschichte ist zwangsläufig so banal wie das normale Leben – und ich finde das normale Leben schon ziemlich spannend. Die wunderbar lebensnahen und detailverliebten Zeichnungen von Jiro Taniguchi sind ein guter Einstieg in die Materie für Leute, die noch nie einen Manga gelesen haben oder sich mit dem Kulleraugen-Stil nicht anfreunden können. Sicherlich war das ein weiterer Grund, um den Manga als „Graphic Novel“ zu veröffentlichen. Die Handlungsorte sind übrigens nicht die großen Touristenmagnete Tokios wie die Stadtteile Shibuya oder Akihabara, sondern eher die Nebenstraßen und Gassen die noch an vergangene Jahrhunderte erinnern. Und jetzt … habe ich richtig Lust auf einen Spaziergang.
Fazit:
Guter Einstieg in die Mangaszene für erwachsenere Leser. Und generell geeignet für anspruchsvolle Leser, die eine angenehme, unaufgeregte Geschichte mit einem Hauch Emotion, Erinnerungen und Tokio-Flair lesen möchten.
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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