Als ich ein Kind war, schien Die Brücken am Fluss ein echter Liebesfilm-Klassiker zu sein und es wurde erstaunlich viel darüber gesprochen. Gesehen habe ich ihn erst mit 28 Jahren, bin aber in der Erwartung herangegangen, dass der Film der Liebesfilm sein muss. Überraschenderweise ist die IMDB-Wertung (Stand 04.06.17) bei gerade mal 7,5; was meinem Empfinden nach einem guten, aber nicht herausragenden Film entspricht. Tatsächlich ist Die Brücken am Fluss für mich ab jetzt aber wirklich der Prototyp des guten Liebesfilms.
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Robert James Waller und wurde von Clint Eastwood inszeniert, der auch gleichzeitig die männliche Hauptrolle spielt. Sein Robert Kincaid ist Fotograf und beauftragt ein Portrait über die Brücken in der Gegend zu machen und verläuft sich auf die Farm von Francesca Johnson (Meryl Streep). Die ist zweifache Mutter und Ehefrau, ihre Familie ist unterwegs und sie alleine zuhause. Francesca ist eigenständig, extrovertiert, aber in ihrer Hausfrauenrolle nicht sie selbst. Kaum ist Ruhe im Haus eingekehrt, fühlt sie sich nicht wohl. Kincaid ist fremd, aber sie merkt schnell, dass er in Ordnung ist. So willigt sie ein ihm den Weg zu den Brücken zu zeigen. Sie unterhalten sich, sie lädt ihn zum Essen ein, sie reden. Sie scheinen sich gegenseitig in die Seele blicken zu können. Da ist Chemie und ein Gefühl, das ihr sagt: das passiert nur einmal im Leben, dass man jemanden trifft und es schlägt ein wie eine Bombe. Aber ihr Mann? Ihre Kinder? Ihre Familie? Im Laufe eines Wochenendes muss sich Francesca der schwierigen Frage stellen: should I stay or should I go? Wie entscheidet man sich, wenn man egal wie man sich entscheidet, Menschen damit verletzt?
„Die Brücken am Fluss – Trailer (1995)“, via DerFilmReZenSenT (Youtube)
Die realistische Frage und ebenso schnörkellose Antwort ist es was Die Brücken am Fluss so greifbar macht. Das Szenario ist etwas verträumt und fast zu nett um wahr zu sein. Dass Francesca quasi der Mann ihres Lebens einfach auf den Hof fährt. Schon fast zu einfach. Aber das ist es eben nicht. Francescas Dilemma ist, dass ihr das passiert, als sie schon eine Familie großgezogen hat und in einer Beziehung mit einem Mann ist, den sie ebenso liebt. Es ist wie die Entscheidung zwischen zwei Leben, wenn man betrachtet, was Francesca an Kincaids Seite erwartet. Dazu kommen zwei weitere Faktoren, die dafür sorgen, dass der Film kein 0815-Vorabend-Liebesfilm ist. Die Charaktere. Meryl Streep spielt Francesca deutlich als eine selbstbewusste Frau, die vielleicht das erste Mal seit langem einen Grund hat unsicher zu sein. Streep gibt Francesca viele, kleine, nuancierte Mimiken und Gestiken, die nicht wie bei zig anderen Darstellern von Film zu Film recycelt werden. Tipp: den Film im Original schauen und Meryl Streeps italienischen Akzen hören. Man kann die im Raum hängenden unausgesprochenen Worte zwischen Francesca und Robert lesen und ein bisschen schmachten. Gut, nicht nur ein bisschen. Und die Szene im Regen ist vielleicht eine der längsten und herzzerreißendsten, die ich jemals gesehen habe. Ja! Es gibt eine Szene im Regen! Das ist es was ich meine. Prototyp des Liebesfilms. Eines erwachsenen Films, der nicht außer Acht lässt, dass es neben all den Träumereien noch ein echtes Leben gibt. Aber bei all dem Lob schäme ich mich nicht für die Frage, ob der Altersunterschied zwischen Meryl Streep und Clint Eastwood nicht vielleicht etwas zu groß war?
Die Brücken am Fluß (OT: The Bridges of Madison County), USA, 1995, Clint Eastwood, 135 min, (9/10)
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆
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