Bücher, die ein bisschen anders sind

Diese Woche öffnet die Leipziger Buchmesse ihre Pforten und versetzt die schöne Stadt Leipzig in den Ausnahmezustand rund um das geschriebene und übersetzte Wort, Hörbücher und den Comic- und Manga-Kult. Und das ist noch lange nicht alles. Die Leipziger Buchmesse ist für mich stets eins der Highlights des Jahres und führt mich oftmals mit wunderbaren Menschen aus der Bloglandschaft zusammen. 🙂 Anlässlich des Ereignisses brennt es mir unter den Nägeln auch hier Literatur zu feiern und zwar diesmal mit Büchern, die ein bisschen anders sind. Die ihr Erscheinungsbild variieren, mit der Sprache spielen oder sich trauen, was sonst keiner tut. Denn anders ist gut.

„House of Leaves“ Mark Z. Danielewski

Danielewskis Buch handelt von einem unmöglichen Haus, einem Labyrinth und dem nicht minder unergründlichen menschlichen Verstand. Das Buch ist ein perfekter Spiegel all dessen. Die Textkörper sind irreführend, manchmal durch unabhängigen Text aufgebläht oder labyrinthisch angeordnet. Die Fußnoten sind manchmal so umfangreich, dass sie eine ganze Seite einnehmen oder einzelne Wörter setzen sich farblich ab. Manchmal sind ganze Seiten leer und es gibt einige parallele Handlungen, die uns das Buch in Frage stellen lassen. Um ehrlich zu sein habe ich mir bis heute nicht eindeutig eine Meinung gebildet, ob alles, was man hier liest, wirklich so passiert ist (im Buch-Kanon), oder ob es die Hirngespinste einer einzelnen Seele sind. Eine Warnung an der Stelle: es ist nicht einfach das Buch zu lesen, aber einfach sich darin zu verlieren.

„Horrorstör“ Grady Hendrix

Grady Hendrix‘ Schauergeschichte spielt in einem skandinavischen Einrichtungsfachgeschäft, das gewollt an IKEA erinnert und auch wie ein Katalog der Firma gestaltet ist. 🙂 Ein ziemlich cooler Gag, der durchweg durch das ganze Buch aufgegriffen wurde. Auch wenn die Horrorgeschichte an sich einen nicht vom Hocker (oder sollte ich sagen vom Pöang) reißt, ist es eine ziemlich coole Idee und ein Buch voller wunderbar schräger und charmanter Charaktere.

„Monstress“ Marjorie Liu, Sana Takeda

Marjorie Liu und Sana Takeda fanden sich zusammen um eine Graphic Novel mit einem sehr komplexen World Building zu gestalten, die vom Stil her an Anime und Manga erinnert. Die vollfarbig und sehr aufwendig gezeichnete Novel hat eine durchgehend hohe Qualität und entführt uns sofort in eine Welt voller magischer Kreaturen und Hexenorden, die sich gegenseitig bekämpfen. Irgendwo mitten drin ist Maika, die mit einem dunklen Macht untrennbar verbunden ist. Das besondere an Monstress ist, dass alle Charaktere einfach mal weiblich sind. Ein schöner Gegenbeweis zu den zahlreichen männlichen Protagonisten in Literatur, Film und Fernsehen; denn: die Heldinnen hier sind sehr tough!

„Kleines Wörterbuch für Liebende“ Xiaolu Guo

Xiaolu Guo erzählt in Kleines Wörterbuch für Liebende die Geschichte der jungen Chinesin Zhuang, die zum Auslandsstudium nach London geht. Die kulturellen Unterschiede, Umgangsformen und Weltbilder, Liebe und Sex und der Alltag als Ganzes verarbeitet sie in diesem Tagebuch, das nicht wie ein Tagebuch geschrieben ist. Die Kapitel beginnen stets mit einer Vokabel und ihrer Definition und erzählt werden Alltagsgeschichten, die damit zusammenhängen. So als ob Zhuang etwas erlebt hätte und danach die Wörter nachgeschlagen hat, die ihr fehlten. Denn der besondere Kniff des Buches ist, dass er in gebrochenem Deutsch (bzw. Englisch in der Originalausgabe) geschrieben ist. Und Überraschung, desto länger Zhuang in London lebt, desto besser wird die Sprache. Ihre Anekdoten sind erhellend, entlarvend, wunderbar und konfrontieren uns mit der Realität derjenigen, die in einem Land leben, dessen Sprache sie gerade erst lernen.

„Haus hat zwei Stockwerke und ist gewohnt von kantonesische Familie: Hausfrau und ihre Mann, der arbeitet als Koch in Chinatown, und sechzehnjährige Sohn mit britische Akzent. Ist, wie wenn sie machen auch hier weiter Ein-Kind-Politik. Garten ist aus Beton. Ganz ohne Grün. Oft kleine wilde Gras wächst aus Spalte in Beton, aber sofort Hausfrau es zieht raus und vernichtet Gras. Sie ist Graskiller.“ S. 49

„Der Wolkenatlas“ David Mitchell

Der Wolkenatlas ist tatsächlich eins der Bücher, die ich las, obwohl ich den Film schon gesehen hatte. Und beide sind für mich unterschiedlich genug, um sie beide sehr zu lieben. Mitchell ging bei dem Buch in die Vollen und präsentiert uns sechs Geschichten, die alle miteinander verbunden sind und über tausend Jahre Menschheitsgeschichte abbilden. Vergangenes wie auch künftiges. Dabei adaptiert er den Stil der vergangenen Jahrhunderte, was schon eine Leistung ist, kreiert aber auch für die Geschichten, die in der Zukunft spielen, einen ganz eigenen. Dass auch jede Geschichte einem anderen Genre angehört, ist nur noch ein weiterer von vielen Trümpfen dieses außergewöhnlichen Buches. Im Folgenden mal ein paar Beispiele für die unterschiedlichen Stile der einzelnen Geschichten, die sicherlich auch den Übersetzern einiges abverlangten. Ihr könnt ja mal raten, ob die Ausschnitte eher aus der Vergangenheit oder menschheitsgeschichtlichen Zukunft stammen. 😉

„Cpt. Molyneux, so viel ist durchgesickert, leidet an medicinischen Beschwerden, die, so sie nicht behandelt werden, seine Tauchfähigkeit beeinträchtigen könnten, welche für die Ausübung seines Dienspostens erforderlich ist.“ S. 28 „Das Pacifiktagebuch des Adam Ewing“

„Als erfahrener Lektor lehne ich Rückblenden, vorausgreifende Andeutungen und raffinierte Kunstgriffe ab, sie gehören wie Examensarbeiten über Postmoderne und Chaostheorie in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts.“ S. 198 „Das grausame Martyrium des Timothy Cavendish“

„Ich zog tief an Wolt seiner Feife un die vier Tage Marsch von unser frein Luvseite zu den Kona ihre Leeseite kamn mir vor wie vier Milljonen, ja, das Selichkraut machte mich mit Babbaliedern dösich, aber dann ging das große Trommeln los, weil jeder Stamm hat nemmich seine eignen Trommeln dabei.“ S. 386 „Sloosha’s Crossin‘ un wies weiterging“

„Gute Nacht, Punpun“ Inio Asano

Inio Asanos Manga stehen für realistische, melancholische und manchmal sehr schonungslose Geschichten über das Zusammenleben der Menschen. Gute Nacht, Punpun ist eine ebenso schwelgerische Coming-of-age-Geschichte eines Jungen, der Punpun genannt wird. Punpun wird dabei stets als kleiner Vogel in comichaft-abstrakter Form dargestellt, während sein Umfeld meistens realistisch bzw im Mangastil dargestellt wird. Aber auch seine Tagträume und Fantasien bekommen Raum und geben einen Aufschluss darüber wie erschreckend, schön und verwirrend es ist erwachsen zu werden.

Honourable Mentions

Die wunderbare Graphic-Novel-Reihe Love von Federico Bertolucci und Frederic Brremaud kommt ganz ohne Text aus. Protagonisten sind hierbei stets Tiere, die ein Abenteuer erleben, bei dem es nicht selten um Leben und Tod geht und einen alles verändernden Tag aus Sicht dieses Erdenbewohners erzählen. Da es keinen Text gibt, kann man zwar relativ schnell durch die Bände blättern, aber die detaillierten Zeichnungen laden dazu ein, dort länger zu verweilen. Die Geschichten sind, da sollte man sich keine falschen Hoffnungen machen, aber meistens brutal und traurig-schön.

Es gibt ja so einige Tricks und Kniffe, dank derer sich Bücher abheben und aus ihren Eigenschaften und Stilmitteln mehr machen. Beispielsweise den allwissenden, den unzuverlässigen Erzähler oder namenlosen Protagonisten. Aber die hier aufgezählten Bücher haben für meinen Geschmack einen besonderen Kniff. Sie passen die Aufmachung ihres Buchs, ihrer Seiten dem Inhalt an. „House of Leaves“ beispielsweise handelt von einem Labyrinth und ist selber eins. Oder sie variieren ihre Sprache gekonnt wie in „Kleines Wörterbuch für Liebende“ oder „Der Wolkenatlas“. Es gibt eine große Vielzahl an solchen Kniffen und wenn jemand über den blanken Text hinausgeht, beeindruckt mich das jedes Mal. Fallen euch weitere Beispiele ein? Kennt ihr die oben genannten Bücher vielleicht und wie haben sie euch gefallen?

11 Antworten

  1. Ich kenne keins der Bücher, finde das aber super interessant. Mir würden dazu noch „Raum“ von Emma Donoghue (geschrieben aus der Sicht eines 5-Jährigen, auch mit dessen Sprache) und die Bücher von Walter Moers einfallen. 🙂

    1. Oh ja, Moers‘ Zamonienbücher gehören definitiv in eine solche Sammlung. Vor allem „Die Stadt der träumenden Bücher“ oder die farbige Ausgabe von Käpt’n Blaubär sind Ausnahmebücher. 🙂

  2. Aaaw, ist das fies von dir: Unmittelbar vor der Buchmesse erinnerst du mich daran, dass ich die Love-Reihe noch immer nicht geholt habe. 😉

    Aber im Ernst: eine tolle Idee für einen Blogbeitrag! Ich mag es, wenn die Optik oder Textfluss an den Inhalt derart extrem angepasst ist wie bei „House of Leaves“ … auch wenn solche Geschichten inhaltlich dann oft so verwirrend-genial-komplex sind, dass es schwer ist, ihnen zu folgen (oder auch unmöglich). Ich hatte mir mal vor Jahren ein Buch geholt dessen Textgestaltung an Musik angelehnt war (die Schrift verlief dann z.B. mal im Kreis wie auf einer Vinyl; Textpassagen wiederholten sich wie bei einem Refrain …) – aus irgendwelchen Gründen musste ich die Lektüre aber damals unterbrechen und seitdem liegt das gute Stück hier ungelesen auf dem Grund des SUB. :-/

  3. „Horrorstör“ klingt so skurril, dass es mir richtig gut gefallen könnte.

  4. Ich liebe das „House of Leaves“ (hier ein Mini-Bericht dazu: https://bingereader.org/2016/12/05/day-5-book-a-day-challenge-cant-stop-talking-about-it/) und „Cloud Atlas“ kann ich auch nur empfehlen, David Mitchell ist ein ganz besonderer Autor. Liebe Grüße 🙂

  5. „Kleines Wörterbuch für Liebende“ von Xiaolu Guo habe ich damals als Debüt erlebt. Allerdings war der Titel glaube ich auf Englisch, wobei ich mich daran nicht mehr wirklich erinnern kann. Muss 2015 gewesen sein. Wahnsinn wie die Zeit verfliegt. Fand es sowohl damals als auch heute noch grandios.

    Ebenso wie der „Wolkenatlas“, wenn man sich endlich mal aus dem sich dahinziehenden Anfang mal rausgelesen hat…

    „House of Leaves“ klingt von der Idee und der Story her echt toll. Nur habe ich noch „Das Schiff des Theseus“ zu Hause rumliegen… Ich bin sicher du kennst es, mal eben schnell weglesen ist bei diesem Buch unmöglich.

    „Horrorstör“… Gab es dazu nicht einen Horrorfilm mit derselben Thematik?

    Ach… Ich habe ein Herz für Graphic Novels. Momentan fällt mir Lesen aus Konzentration, Lust und Zeit gründen extrem schwer. Da helfen Graphic Novels, zumindest habe ich dann das Gefühl, dass ich überhaupt etwas lese.

    Ich liebe „Love“ und ich bin echt froh, dass ich nicht die Einzige bin. Kurze Frage: Ist eig. ein Band 5 geplant? Ich bin absolut nicht auf dem neusten Stand.

  6. Hallöchen,

    von den Büchern habe ich nur „Wolkenatlas“ gelesen, welches ich wirklich sehr sehr gerne gelesen habe. Ich kann mich da immer noch nicht entscheiden ob ich den Film oder das Buch besser finde.

    Als Buch mit dem etwas besonderen fällt mir „Extrem laut und unglaublich nah“ ein. Darin gibt es eine Art Daumenkino, das auch im Buch eine Rolle spielt. Gegen Ende des einen Kapitels wird die Schrift immer kleiner, Es gibt eine Doppelseite auf der nur „Ja“ und „Nein“ steht. Und noch einiges mehr. Und alles was es als „zusätzliches Extra“ gibt, spielt auch eine Rolle in dem Buch.

    Viele Grüße
    Abigail

  7. Huhu!

    „House of Leaves“ liegt hier auch in genau der Ausgabe, die habe ich vor ein paar Monaten im öffentlichen Bücherschrank gefunden und will sie seitdem lesen!

    Auch „Monstress“ und „Der Wolkenatlas“ warten schon, allerdings in anderen Ausgaben.

    „Horrorstör“ steht alleine schon wegen der Aufmachung auf der Wunschliste, die Idee ist einfach klasse.

    „Kleines Wörterbuch für Liebende“ muss ich wohl auch mal auf die Wunschliste setzen, ich finde interessant, dass sich die Sprache im Laufe des Buchs verändert.

    Unzuverlässige Erzähler gehören zu meinen absoluten Lieblingen, wenn sie gut geschrieben sind. 🙂

    Ich habe diesen Beitrag HIER für meine Kreuzfahrt durchs Meer der Buchblogs verlinkt.

    LG,
    Mikka

  8. Wirklich spannend! Mich interessieren vor allem die Bücher, die vom Layout her anders sind. Ich hatte mal ein Seminar zur Buchhaftigkeit und da sind mir am meisten „Der Fuchs“ (sorry, der Autor fällt mir gerade nicht ein – aber der Text war den Zeitebenen gemäß gesetzt und wenn die Handlung zusammenkommt so auch das Layout, wirklich faszinierend) und „Die Leinwand“ von Benjamin Stein in Erinnerung geblieben (dieses Buch beginnt von beiden Covern aus 2 verschiedenen Perspektiven, man kann anfangen wo man will oder auch hin und her lesen, in der Mitte trifft sich der Text und auch die Handlung).

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