Netzgeflüster: Game-Review ‚Journey‘ (PS4)

‚Journey‘ ist das Spiel weswegen ich eine Playstation gekauft habe. Tatsächlich war es dann aber das zweite, das ich spielte. Inzwischen zum sechsten Mal. Oder sogar noch öfter, falls ich nicht so gut mitgezählt habe. Es ist kein Spiel für Leute, die auf etwas schießen wollen oder auf open worlds setzen, aber es hat einen bemerkenswerten visuellen Stil und eine Botschaft und entschleunigende Eigenschaften.

Journey, 2012 © Thatgamecompany, Sony Interactive Entertainment

Eine untergegangene Welt

Du wachst auf, allein. Unser Avatar ist ein in einen roten Mantel gehülltes, filigranes Wesen. Ruhig, keine Mimik, keine Gestik. Um uns herum ist nur Wüste. Lediglich am Horizont sieht man einen Berg umringt von Licht. Es ist das einzige Anzeichen eines Ziels. Also gehen wir los. Es gibt in Journey keine Kommunikation mit Worten, keine Erklärung oder Prolog im üblichen Sinne, keinen Sprecher aus dem Off. Nur die Reise, die Welt um uns herum. Und obwohl es keine Wort gibt, erschließt sich sehr natürlich, was hier passiert. Nach und nach findet man Reste einer Zivilisation und lernt seine wenigen Controls kennen. Wir können einen elfenhaften Ruf ausstoßen und fliegen oder viel mehr gleiten, sofern unsere Energie dafür ausreicht. Es gibt Artefakte in dieser verlassenen Welt, die man sammeln kann um seine Energie aufzustocken und somit länger gleiten zu können. Und es gibt andere stille, vogelartige Bewohner dieser Welt, die uns „aufladen“ und optisch ähnelt. Man ahnt nur: wir gehören zu dieser Welt, derselben Welt. Und desto länger wir dort umher streifen, desto bewusster wird uns, dass wir durch eine gefallene Zivilisation laufen. Der Gedanke ist deprimierend, die Landschaft ist es nicht. Die Wüste voll schimmerndem Sand; eine prachtvolle, verlassene Stadt; ein unterirdischer Tempel, dessen quallenartige Wesen es wie den Meeresboden wirken lassen – die Landschaften sind vielseitig und wunderschön. Überall erwecken wir mit unserer Präsenz Lebewesen, quasi Reste dieser Zivilisation. Aber desto näher wir dem Berg kommen, desto gefährlicher wird die Reise. Niemand hat behauptet, dass dieser Weg ein leichter wäre.

Ohne Worte

Okay, so ganz ohne Erklärung ist unsere Reise dabei nicht. Es gibt in jedem Level einen Abschnitt, an dem uns ein „Ältester“ begegnet, ein Geist. Und uns in einer Vision in Bildern nach und nach zu verstehen gibt, wie die Zivilisation zusammenbrach und zu den vom Sand der Zeit begrabenen Tempeln wurde. Schnell wird klar, dass wir der Fackelträger dieser untergegangenen Zivilisation sind und das Feuer im wahrsten Sinne des Wortes erhalten und weitergeben müssen. Und es ist fast tröstlich, dass wir dabei nicht zwingend allein sein müssen. Zufällig wird einem maximal ein anderer Spieler zur Seite gestellt – unsere Kommunikation besteht dabei nur aus den Rufen, die wir ausstoßen können. Keine Worte, keine Gestik und Mimik. Aber es funktioniert. Man bekommt schnell mit, ob dieser andere zum Berg will oder nur ein paar Ziele besucht um Trophäen zu sammeln. Oder ein bisschen fliegen und durch die Landschaften gleiten will. Aber insbesondere in den düsteren Kapiteln ist es tröstlich nicht alleine zu sein, denn Journey entwickelt eine Sogwirkung und trotz des einfachen Spielprinzips sorgt es dafür, dass sich der Puls beschleunigt. Es ist tatsächlich einen Tick einfacher es in diesen fortgeschritteneren Kapiteln zu zweit zu spielen, denn so kann man sich gegenseitig die Energie aufladen. Übrigens ist es nicht beeinflussbar, wer mit einem spielt. Trotzdem oder gerade deswegen kann man Begegnungen machen, die im Gedächtnis bleiben. Als ich das erste Mal Journey spielte, begegnete ich einem anderen Spieler mit einem weißen Mantel. Und während ich mich noch fragte wie man zum weißen Mantel kommt, wurde klar, dass dieser Spieler wahrscheinlich alle Ecken kennt und alle Trophäen gesammelt hat und mich nicht so einfach gehen lassen will. Der andere wartete auf mich, wenn ich „Rookie“ nicht so schnell hinterherkam oder den Weg nicht kannte. Rief mich, zeigte mir alle versteckten Ecken und letzten Endes spielten wir es bis zum bitteren Ende gemeinsam durch. Nach der Endroll werden einem die Nicknames der Mitspieler angezeigt, die man getroffen hat. Auch wenn sie nur einmal an einem vorbeigegangen sind. Mehr hat man nicht von dieser Begegnung, man könnte meinen sie hat nicht stattgefunden. Aber ist es nicht seltsam, dass ich Gänsehaut habe, wenn ich darüber nachdenke wie der andere, mir unbekannte Menschen den Weg bis zum Ende mit mir gegangen ist?

Journey, 2012 © Thatgamecompany, Sony Interactive Entertainment

Sinnreise

Es liegt an dem Charakter des Spiels. Egal, ob man es zu zweit oder alleine spielt, es ist eine spirituelle Reise. Der wunderbare Score von Austin Wintory und das Abhandensein von Worten üben einen ganz speziellen Reiz aus und holen einen aus dem Alltag. Es ist der Anblick der in die Brüche gegangenen Zivilisation und der Geschichte, die wir erfahren. Und es ist eine erschreckend schöne untergegangene Welt. Schimmernder Sand im Schein einer untergehenden Sonne; mystische Wesen, die im goldenen Schein zwischen Türmen eines unterirdischen Tempels schweben, quallenähnliche Wesen in einer verlassenen, unterirdischen Stadt, die sie wie eine Unterwasserwelt anmuten lassen – man fühlt sich als würde man mit jedem Level einen Schatz entdecken, obwohl das Gameplay minimalistisch und geradlinig ist. Es gibt keine Abweichungen: nach vorn oder man bleibt eben wo man ist. Aber die Level sind vielseitig. In der Wüste entdeckt man bald, dass man sich in den Dünen heruntergleiten lassen kann und in späteren, mehr abschüssigen Leveln geht das mit soviel Geschwindigkeit, dass man sich wie in einem Jump and Run oder Rennfahrspiel fühlt. In anderen Leveln fliegt und gleitet man träumerisch durch Tempelanlagen, muss versteckte Symbole suchen und in wieder anderen sich vor Beobachtern verstecken und stealthen. Es ist ein abwechslungsreicheres Spiel als es anfangs wirkt. Aber desto näher man dem Ziel, dem Berg kommt, desto näher kommt man dem, was die Zivilisation provoziert hat. Und das Ende des Spiels und die Botschaft ist eine erschreckend harte und bittersüße. Welche Bedeutung hat unser Leben, wenn unser Ende doch vorbestimmt ist? Wenn es keinen Ausweg gibt? Liegt die Schönheit darin das Feuer am Leben zu halten und weiterzugeben? Das Spiel gibt eine Antwort. Oder bringt uns zum nachdenken.

Journey, 2012 © Thatgamecompany, Sony Interactive Entertainment

Live. Die. Repeat.

Journey hat einen in sich abgeschlossenen Charakter, je nachdem wie man es betrachtet, ist es aber auch eine Endlosschleife. Dadurch, dass es einem keine Geschichte fest vorgibt, sondern man alles deuten muss, kann das Spiel fast alles sein, was ihr wollt. Trotz des sehr geradlinigen Gameplays. Ein spirituelle Suche nach dem Sinn des Lebens, eine Quest oder eine Trophäenjagd. Was das betrifft, setzt das Spiel machbare und spannende Ziele, die einen Easter Eggs anderer Spiele von Thatgamecompany (dem Studio hinter Journey), entdecken lassen. Und Gimmicks, mit denen es noch viel mehr Spaß macht zu spielen wie dem weißen Mantel, mit dem man quasi die ganze Welt fliegend erkunden kann, weil sich die Energie selber wieder auflädt. Es gibt nach dem ersten Durchspielen auch einen Einstiegspunkt mit dessen Hilfe man zu seinen jeweiligen Lieblingsleveln springen kann. Manchmal kann eine interessante Botschaft, ein reduziertes Spielprinzip und ein paar Bonbons in Form von spannenden Trophäen viel ausmachen. Wenn ihr Journey spielt und euch begegnet ein anderer im weißen Mantel, bin das vielleicht ich, die es zum siebzehnten Mal spielt.

Müsste ich ein Fazit schreiben, dann fühle ich mich dazu hingerissen zu schreiben, dass es das beste Spiel ist, was ich bisher gespielt habe. Und durch die bittersüße Botschaft des Spiels hat es einen bleibenden Eindruck hinterlassen und irgendwie eine Ecke meines Herzens erreicht und sich dort festgesetzt. Obwohl das Spiel übrigens aus dem Jahr 2012 ist und damit schon einige Jahre auf dem Buckel hat, hat es seinen Reiz nicht verloren. Die Shader, die uns u.a. den goldenen, schimmernden Sand und das Cruisen durch Licht und Schatten bescheren sind meines Erachtens immer noch große Kunst, während man dem Rest schon ein wenig sein Alter ansieht. Durch das reduzierte Spielprinzip und das schöne Design fällt es aber kaum ins Gewicht. Ich bin gespannt, was das Studio „Thatgamecompany“ noch so rausbringt. Die Spielzeit ist übrigens sehr überschaubar. Beim ersten Durchlauf dauert es vielleicht etwas länger, aber danach schafft man locker das ganze Spiel in eineinhalb Stunden. Oder man verweilt und genießt etwas länger – es bietet sich an.

Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen rund um IT, Forschung, Netzwelt, Internet und eben auch Gerüchten widme. 🙂

2 Antworten

  1. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Ich bin neulich über GRIS gestolpert und musste dabei sehr an Journey denken, wobei es leider eine Dimension weniger hat.

  2. Avatar von Sebastian
    Sebastian

    Hallo Miss Booleana! Ich habe „Journey“ gerade zum ersten Mal gespielt. Anschließend hatte ich genau denselben Begriff im Kopf, mit dem du hier dein Spielerlebnis beschreibst „spirituelle Reise“. Danke für den sehr lesenswerten Blog-Beitrag – schön, dass wir in dieser Welt nicht alleine sind.

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