Es gibt viele fehlerlose Denkweisen, warum „A Series of Unfortunate Events“ bzw „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“ Zuschauern nicht gefallen könnte. Fans der Bücher versuchen eventuell vergeblich Facetten der geliebten Reihe in der Serie zu erkennen, die sie partout nicht finden und die nicht mit dem übereinstimmt wie sie sich das Geschehen und die Charaktere während des Lesens vorgestellt haben. Manch einer kann mit dem Humor und den zahlreichen Wortspielen nicht. Die rationalen Denker da draußen finden keinen Gefallen an den vielen frappierend drolligen und sehr sehr überraschenden Wendungen, die die Beaudelaires ständig von einer Misere in die nächste stürzen und vermeintliche Feinde dämlichster Natur immer wieder gewinnen lassen. Aber wer auch nur ein wenig ein kauziges Gemüt hat, hat so seine vielgestaltige Freude dank der Serie. Ich hatte sie. Reviews sind spoilerfrei für die Staffel, die ich reviewe. Nicht spoilerfrei für vorangegangene Staffeln.
„Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“ Season 2
Netflix hat wie versprochen seine Eigenproduktion konsequent fortgesetzt und in drei Staffeln abgeschlossen, womit es bei der Verfilmung von ??s Buchreihe weiter gekommen ist als der damalige Film, der ein Einzeltäter blieb. Jedes Buch der Reihe wurde in zwei Episoden verfilmt und Netflix muss an der Stelle gelobt werden, dass es damit zwar sicherlich einiges ausgelassen hat und vorrangig so vorgehen musste, damit ihnen die Kinderdarsteller nicht aus dem Rollenalter herauswachsen wie aus „ill-fitting pants“, aber vor Allem hat es einen gängigen Fehler vermeiden: eine Endlosserie zu produzieren, die letzten Endes keiner mehr schauen will, sondern eine Serie mit einem verdient-finalen desillusionierten … Ende!
Nach dem bitteren Hieb in die Magengrube im Finale der ersten Staffel war nun also klar, dass die toughen Eltern, nicht die der Beaudelaires sind. Aber der Beginn der zweiten Staffel in der Schule des Schreckens bringt wie so ziemlich alle Geschichten über die Beaudelaires immer neue Verzweiflungen, aber auch neue Verbündete und Hoffnung (entgegen dem, was Lemony Snicket behauptet) – meist, um ihnen diese kurz danach wieder zu nehmen (so ähnlich wie das was Lemony Snicket behauptet). So treffen sie neben impertinenten intrigierenden Lehrern und einem furchtbar flachen Direktor auch andere Kinder, denen es ähnlich geht wie ihnen und eine toughe Bibliothekarin. Allerdings werden sie auch zum Sport genötigt (Uff) und irrsinnigerweise Waisen nicht als mitleidenerregend, sondern Menschen zweiter Klasse und Spottobjekte verhöhnt. Von Lehranstalten und anderen Kindern erwartet man humaneres. Aber das ist der schwarzhumorige „Spirit“ der Serie. Die weitere Reise führt die Beaudelaires über die dunkle Allee, das düstere Dorf, das schaurige Spital und den grausigen Jahrmarkt an einen neuen Tiefpunkt, wenn sie sich letzten Endes als Mörder und Brandleger verunglimpft sehen. Ja, richtig – es wird wirklich noch schlimmer – sie werden des Mordes bezichtigt.
Obwohl es also scheinbar abwärts für die Beaudelaires geht und das trotz der wahnwitzigen Gags und recht offensichtlichen Eskapaden und Pläne Count Olafs, die von den Umstehenden mal mehr mal weniger durchschaut werden, wird die Serie nicht langweilig, weil die VFD auf den Plan tritt. Die Geheimorganisation, der sowohl die Eltern der Beaudelaires angehörten als auch Count Olaf bekommt einen Namen. Und weitere vitale, formidable Darsteller. So ganz hilflos ist die Organisation nicht, aber sagen wir mal so: sie haben zu kämpfen. Das hält ganz gut bei Laune und reiht eine wahnwitzige Idee an die nächste, wofür VFD steht. Dabei muss man das Tempo abkönnen. Es verlangt dem Zuschauer doch nach mehr und mehr Offenbarungen und vor Allem schnelleren. Dabei ist Entwicklung da, aber die Staffel krankt an dem Mittlerer-Film-Syndrom wie man es von Trilogien kennt. Es passiert ja, was, aber es reicht noch nicht, um vollends, fulminant, dankend abzuholen.
(7/10)
„A Series of Unfortunate Events Season 2 | Official Trailer [HD] | Netflix“, via Netflix (Youtube)
„Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“ Season 3
In der letzten Staffel der Serie findet die unglückliche Reise der Beaudelaires ein Ende nach einem dieses Mal sehr kurzen Spießrutenlauf über einen rutschigen Abhang und durch ein schauriges Hotel in nur sieben Episoden ein Ende. Was die potentiellen Zuschauer der dritten Staffel wohl am meisten interessiert: werden alle offenen Fragen beantwortet und findet die Serie zu einem würdigen Abschluss? Ja und nein. Zwar gibt es ein Ende, das entgegen der Erwartungen aller doch weniger düster ist als gedacht, aber es werden diverse Fragen offen gelassen und Andeutungen gemacht, denen man nicht weiter nachgehen kann. So bleibt beispielsweise die Frage im Raum stehen, was aus zig der zwielichtigen Charaktere geworden ist, die wir in den drei Staffeln kennen gelernt haben. Auch wird eine Andeutung gemacht, dass gar nicht Count Olaf derjenige ist, der die Eltern der Beaudelaires auf dem Gewissen hat. Antworten: keine? Das heißt aber nicht, dass die letzte Staffel eine Enttäuschung wäre. Wie man hier und da nachlesen kann, bietet sie sogar eigentlich mehr Antworten an als es die Bücher tun.
Gemäß dem bisherigen Ton der Serie steckt sie voller Anspielungen und anderer, wenn auch weniger gewichtiger Offenbarungen. Beispielsweise, dass Prufroc Prep ja auch noch einen Direktor haben muss, wenn die Knalltüte die dort das sagen hat nur der Vize-Direktor ist. Sunny ist inzwischen quasi des Sprechens mächtig und gibt umso entlarvendere Kommentare ab, die auch die Serie selber adressieren 😉 Auch die Handlung macht deutliche Fortschritte, indem die Moral der Handlanger Olafs langsam nachlässt und zusammengeführt wird, was zusammengehört – Esme und Carmellita beispielsweise. Zwei Ausgeburten vermeintlich feiner Daseinsarten, die aber letzten Endes nur faule Figuren sind, die sich gegenseitig verdient haben. Auch schafft die Serie ein spannendes moralisches Dilemma und führt in einem Quasi-Finale nochmal quasi alle Charaktere der bisherigen Staffeln zusammen und hält einerseits denen den Spiegel vor, die den Beaudelaires eher weniger geholfen haben, genauso wie den Beaudelaires selber, die, nicht vergessen: auch Feuer gelegt haben. So werden die Grenzen zwischen Gut und Böse aufgeweicht und Grauschattierungen sichtbarer. Die heimliche Botschaft, die die Serie langsam aufgebaut hat. Nämlich, dass „a wicked thing to do for a noble reason“ meist der langsame Abstieg auf das moralische Niveau ist, gegen das man doch eigentlich einstehen wollte. Dabei liefert die Serie dafür viele facettenreiche Darstellungsformen anhand der witzigen und tragischen Charaktere, die lieber wegschauen und süße Sorglosigkeit genießen („loooook awaaaaay, looook away“ *sing*) als stetig stolz zu hinterfragen, sich zu bilden und über den Tellerrand zu schauen. Außerdem stellt die Serie die Frage wie gut die Absichten und Ziele VFDs sind, wenn der Riss innerhalb ihrer Gruppe so viele Waisen und Terror nach sich gezogen hat und auch offenbart, was Olaf so gemacht hat wie er ist. Und das ist rückblickend, trotz des ausbleibenden von mir persönlichen gewünschten Rundumschlag-Happy-Ends, besser als erwartet.
(8/10)
Und weil es so schön war und sich die Serie mit ihrem Finale selber treu bleibt, jetzt alle nochmal laut mitsingen …
„Netflix A Series of Unfortunate Events – ‚That’s Not How the Story Goes’“, via Connor Leonard (Youtube)
Der aufmerksame Leser dieser Review hat vielleicht fatal destruktive Tendenzen in meinem Bloggingstil erkannt, da ich das eine oder andere Mal VFD in den Text eingebaut habe. Aber wie könnte ich diesem verbal-frivolen Durst widerstehen? 😉 Jetzt aber Schluss damit. Es war jedenfalls eine geniale Vorlage um den Geist der Serie hier einzubringen. Auch wenn ich nicht jede Folge, jede Anspielung oder Idee in der Serie gut oder witzig oder zweckdienlich fand, hat sie doch einen eigenen Stil entwickelt, der sich durch die ganze Serie, Handlung und Aufmachung zieht. Die Alliterationen liebenden Antagonisten und Definitionen diktierenden humanen Helden haben mir viel Spaß gemacht und ohne die Bücher zu kennen, würde ich doch vermuten, dass all das im Sinne der Bücher ist. Oder? Vielleicht kennt ihr ja die Bücher und könnt das besser bewerten? Wie hat euch die Serie gefallen? Und kennt ihr ähnliche Produktionen, die ihren speziellen Stil durch alle erklecklichen Eigenschaften ziehen? Jetzt ist aber wirklich Schluss mit den wirren Wortspielen …
Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei :).
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