Just in time! Gestern abend habe ich den letzten Film meiner Horrorctober-Liste geschaut. Den hochgelobten „Hereditary“ habe ich mir für den Schluss aufgehoben – ob er er meine Erwartungen erfüllt habt, lest ihr in dem Artikel nach, genauso wie die noch ausstehenden Besprechungen und mein Fazit zum Horrorctober 2019.
The Wicker Man
Wieviele Menschen haben mir von Wicker Man erzählt. „Schau das, das ist so witzig! Und so schleeecht. Und die Szenen mit den Bienen!!“ Dann die ganzen Memes und Gifs. Und dann schaut man sich an die hundert Minuten von dem Nonsens an und dann fehlt diese verka&/%e Szene mit den Bienen. XD Da weiß man ja nicht, ob man lachen oder weinen soll, echt. Es gibt offenbar einen Extended Cut, der die Szenen mit den BEEES! enthält und eine Version ohne, dafür aber mit einem alternativen Ende mit James Franco. Joar. Ich bekam James Franco und das wir nicht so schlimm. Nur unerwartet. Es lohnt sich eben immer wieder vorher zu recherchieren wieviele Schnittversionen es gibt. Ansonsten war meine Lieblingsszene eigentlich die mit dem Bär – siehe unten. Was gibt es ansonsten zu sagen? Nic Cage ist ein traumatisierter Polizist, der von einer Ex-Freundin gebeten wird das Verschwinden ihrer Tochter auf der Insel Summersisle aufzuklären. Selbstlos wie er ist, fährt er hin und findet dort einen Kult vor, in dessen Fänge er gerät. Ganz subtil. Ist natürlich Riesen-Quark. Schon, wenn man mir gesagt hätte, dass es auf der ganzen Insel kein Telefon und keinen Mobilempfang gibt, dann wäre das Vorhaben schon erledigt gewesen. Aber Nic Cage sieht das anders. Eigentlich ist es ja ein Remake und das Original soll einer der besten Horrorfilme überhaupt sein – aber ich habe mich für das Remake entschieden, damit ich endlich die Bärenszene sehe. Und schließlich muss ich beim Horrorctober auch den Trash-Faktor hochhalten. Ein paar Punkte gibt es für „die Bemühungen“. Wer übrigens Geschichten von Kulturen an entlegenen Orten, Menschenopfern und Bären sehen will, kann auch einfach Ari Asters Midsommar gucken. Der ist ein ganzes Stück besser geraten.
The Wicker Man, USA/Kanada/Deutschland, 2006, Neil LaBute, 101 min, (4/10)
„Nicolas Cage Punches A Woman Whilst Wearing A Bear Suit“, via (Youtube)
„CLIMAX Trailer German Deutsch (2018)“, via KinoCheck (Youtube)
Climax
Das ist mein zweiter Film von Gaspar Noé dieses Jahr und das reicht dann auch. Nächstes Jahr kann man wieder darüber nachdenken was von ihm zu schauen. Nicht, dass Climax schlecht gewesen wäre, aber er fordert, braucht Nerven und Geduld. Und je nach Zuschauer einen starken Magen. Und Unempfindlichkeit gegenüber psychischer und physischer Gewalt. Er handelt von einer Gruppe von Tänzern, die nach dem Einstudieren und Probieren einer aufwändigen Choreografie eine After-Show-Party feiern. Am Anfang wird neben der dynamischen Performance auch in kurzen Gesprächen gezeigt, wie es um das soziale Gefüge der Tänzer und kreativen Köpfe steht. Wer mit wem nicht kann, wer schon eine Vergangenheit miteinander hat, etc. Während die Feier im Gange ist, merken die ersten, dass der Sangria mit einer Droge versetzt gewesen sein muss. Halluzinationen, Angstzustände, Orientierungslosigkeit, Gewaltbereitschaft – die Hölle bricht los. Alle kleineren Konflikte zwischen den Tänzern und Anwesenden spitzen sich gnadenlos zu. Und die Filmschaffenden halten drauf. Wie immer inszeniert Gaspar Noé den Film als brutales Kunstwerk und hat keine Angst davor die Zuschauer abzustoßen. So knallt er uns textuelle Botschaften in Blocksatz um die Ohren, blendet auch schon mal ein, dass dieser „Film stolz ist französisch zu sein“ und ist im Engtanz mit den Grenzen des guten Geschmacks. Ziemlich meisterlich ist die Choreografie schon – es wurden hauptsächlich „echte“ Tänzer gecastet, die keine Erfahrung als Schauspieler haben mit Ausnahme von bspw. Sofia Boutella. Große Teile des Films sind auch improvisiert – das liest man so. Ist das wahr, stelle ich es mir ausgesprochen schwer vor solche Long Takes zu komponieren wie der Film sie aufweist. Denn der besteht quasi aus langen, schnittlosen Sequenzen. Alle Achtung. Die Ausschweifung, der Exzess und die menschlichen Abgründe, die sich hier auftun sind trotzdem schwer anzuschauen. V.A. weil der Film all das durch seine Machart so auf die Spitze treibt. Einige der Takes sind beispielsweise auch gerne mal auf dem Kopf stehend gefilmt. Ist er ein Horrorfilm? Ja, aber ohne das was man üblicherweise als Horror bezeichnet.
Climax, Frankreich, 2018, Gaspar Noé, 93 min, (6/10)
Jacob’s Ladder – In der Gewalt des Jenseits
Der Vietnam-Veteran Jacob Singer (Tim Robbins) wird von Albträumen aus dem Krieg geplagt. Neu daran ist, dass ihn die Albträume bis in den Wachzustand begleiten. Er sieht monströse Gestalten, scheint zu halluzinieren und ist sich oftmals nicht sicher, ob er wach ist oder träumt. Als Veteranen-Kumpels von ihm ähnliches berichten und einer gar Opfer eines Anschlags wird, wittert Jacob eine Verschwörung. Hat man an seiner Truppe und ihm Experimente gemacht? Was sich der Zuschauer genauso fragen kann ist: leidet Jacob an einer Posttraumatische Belastungsstörung in Folge seiner Zeit in Vietnam? Oder wurde die ausgelöst durch den verdrängten Tod seines ältesten Sohnes und Jacobs Schuldgefühle? Der Film beginnt damit, dass Jacobs Ex-Frau ihm Familienfotos schickt, darunter das letzte Foto eben jenes verstorbenen Kindes. Im Laufe eines Lebens sammelt man eine Menge an Gepäck – es werden nicht die zwei letzten Deutungsmöglichkeiten für Jacobs Horrortrip bleiben. Andere Filme könnten daran ersticken oder an Symbolen überlaufen, Jacob’s Ladder findet aber einen guten Mittelweg, lässt den Zuschauer solange er möchte seine eigene Theorie verfolgen. Gekleidet ist das ganze in einen urbanen Horrortrip, durchzogen von Erinnerungen an Krieg im Dschungel. Besonders in Erinnerung bleiben mit Sicherheit die Zeitraffer-Sequenzen und wahnhaften Gesichter, die Jacob (und der Zuschauer) immer nur für kurze Momente sieht. Solche organischen Body Horror Szenen wirken umso stärker im Kontrast zur anonymen, kalten, schmutzigen Stadt, ihre verlassenen U-Bahnhöfe und industriellen Settings. Einzig die Auflösung lässt sich nicht mit allen der präsentierten Handlungsfäden erklären – ob das angesichts des Endes „stört“ und unvereinbar bleibt, muss der Zuschauer für sich entscheiden. Zumal sich der Film gegen Ende mit dem Einblenden eines erklärenden Textes selber widerspricht und eine fadenscheinige Aussage trifft, auch wenn mit guter Intention geschehen.
Jacob’s Ladder – In der Gewalt des Jenseits (OT: Jacob’s Ladder), USA, 1990, Adrian Lyne, 108 min, (8/10)
Hereditary – Das Vermächtnis
Hereditary hat mächtig viele Vorschusslorbeeren genossen. Es gibt Stimmen, die behaupten, dass er „der beste Horrorfilm der letzten fünfzig Jahre“ wäre – Moment, was? Das klammert aber die meisten Horrorfilme aus, die ich kenne. Hohe Erwartungen können schaden, was ich aber nach Hereditary tatsächlich bekommen habe, waren einige wache Minuten, bevor ich einschlafen konnte. Wirkung nicht verfehlt. Hereditary handelt von Annie (Toni Collette), deren Mutter vor Kurzem verstorben ist. Die Beziehung der Beiden war schwierig und dass Annies Tochter Charlie (Milly Shapiro) eine engere Beziehung zu ihrer als manipulativ beschriebenen Großmutter hatte, ist umso schwieriger. Annies Mann Steve (Gabriel Byrne) und ihr Sohn Peter (Alex Wolff) scheinen was das betrifft emotional außen vor zu sein. Zumindest noch, denn nach dem Tod der Großmutter geschehen der Familie Dinge, die an Tragik und Mystery kaum zu überbieten sind.
„HEREDITARY Trailer German Deutsch (2018)“, via KinoCheck (Youtube)
Jetzt, wo ich den Film gesehen habe, weiß ich, warum niemand mehr als das zur Inhaltsangabe sagt. Alles weitere sind herbe Spoiler, die Schlüsselmomente und Schocker des Films vorwegnehmen würden. Also belasse auch ich es dabei. Hereditary strotzt nur vor jump scares und leiseren, aber tückischen Gruselszenen, die in die letzten Windungen unseres Hirns vordringen und wiederkommen, wenn wir das Licht ausgemacht haben. Wer gore nicht mag, muss außerdem bei zwei, drei Szenen stark sein. In punkto Grusel und Horror hat Hereditary also alles richtig gemacht. Narrativ ist das schwieriger. Zwar gibt es eine ganze Menge Vorausdeutungen, aber bestimmte Elemente verlieren ihre Wirkung. So ist Annie beispielsweise eine Künstlerin, die Miniaturen herstellt. Viele ihrer Tableaus bleiben aber unerklärt und werden nur sehr unzureichend in die Handlung eingebunden, obwohl sie offenkundig eine Rolle spielen sollen. Ebenso schwierig ist die Glaubwürdigkeit des Dargelegten und der emotionale Unterbau der Geschichte. Der Zuschauer bekommt ständig Informationen über die Familie und die Handlung durch die Charaktere und durch Hörensagen. Annie und andere machen ständig Angaben wie etwas geschehen sei, ohne dass der Zuschauer es sieht. Es gibt bspw kein Flashback in Annies Kindheit, das das Verhalten ihrer Mutter zeigt. Annie findet auch keine Beispiele dafür, wann genau ihre Mutter sich furchtbar verhalten habe oder was genauso sie getan hat. Dadurch basiert ein großer Teil des Films auf Annahmen und dem, was sich der Zuschauer zurechtstrickt. Anderes Beispiel: in einer Schlüsselszene gibt Annie an, dass sie für eine Séance einen bestimmten Spruch aufgesagt hätte. Das aber bevor der Zuschauer die Szene „betritt“. Der Fakt wird später nochmal wichtig. Durch Situationen wie diese steckt Hereditary voller kleiner Ungereimtheiten. Warum hinterfragt beispielsweise niemand die kleinen Texte, die an den Wänden auftauchen, obwohl sie sie bemerken? Annie baut sie sogar in ihre Miniaturen des Hauses ein. Die Metapher ist klar. Die Familie sind quasi „Puppen“ in einem konstruierten größeren Ganzen. Aber durch die „absolute“ Auflösung, die keine anderen Deutungsweisen als die gezeigte zulässt, wiegen diese kleinen Ungereimtheiten zumindest so schwer, dass Hereditary für mich zu dissonant wirkt als dass er für mich der Horrorfilm der letzten fünfzig Jahre sein könnte. Auch wenn er seine Wirkung nicht verfehlt und offenkundig eine smarte und schockierende Geschichte erzählt.
Hereditary – Das Vermächtnis (OT: Hereditary), USA, 2018, Ari Aster, 128 min, (8/10)
Fazit
Zeit zurückzublicken auf dreizehn Filme in einunddreißig Tagen. Das klingt zwar nicht viel, aber für mich war es das schon. Geknackt habe ich die Challenge aber und es hat wie alle Jahre Spaß gemacht. Vor Allem war ich dieses Jahr zufriedener mit meiner Auswahl als letztes Jahr. Der Tiefpunkt war, wie kann es anders sein, Wicker Man. Ich kann nicht den Finger drauf halten woran es liegt, seltsame Regieanweisungen, künstlerische Freiheit der Darsteller, ambitionierte Produzenten?? Wir werden es wohl nie erfahren. Aber das Overacting an manchen Stellen und Underacting an anderen gepaart mit der Story ist schon so daneben wie alle sagen. Trotzdem hat der Film aber so seine ein, zwei Momente. Bei Happy Deathday hingegen kam gar nicht erst richtig Gruselstimmung auf. Der Film ist dann doch mehr Comedy. Climax hat wahrscheinlich je nach Zuschauer auch nicht unbedingt was in der Horrorecke zu suchen, aber er triggert ein sehr ähnliches Reizzentrum. Ist aber durch das experimentelle Feeling Geschmackssache. Auch Monsters ist nicht der typische Horrorfilm, ist er doch mehr ein Drama und eine Gesellschaftsstudie, in der zufällig „Monster“ auftauchen. Trotzdem ist er einer der Filme, die mir mit Abstand am besten gefallen haben. Dazu zählt auch Jacob’s Ladder, der einige großartige Effekte hat. Hereditary hat mich nicht so stark begeistert wie viele andere, aber die Gruselaspekte sind richtig gut gelungen. Obwohl ich einiges am „Wie“ des Films auszusetzen habe, ist er der einzige aus der Liste, bei dem es mich wirklich gegruselt hat und ja, ich habe bei einem jump scare geschrien. Ich gestehe. 😉 Der wohl aber beste, leider aber auch härteste Film war Funny Games – für diesen leider zu realen Horror braucht man Nerven. Nicht zu unrecht kontrovers. Solide und gut gemacht ist Ghost Stories – ich möchte gar sagen, dass das ein klassischer Halloween-Film ist.
Neben all den relativ aktuellen Filmen, muss es natürlich auch immer einen Klassiker geben, den ich schon ewig nachholen wollte. Dieses Mal war das Nightmare on Elm Street und meine tatsächlich erste Begegnung mit Freddy Krueger. Hat mich aber nicht so richtig begeistert. Der älteste Mysteryfilm war dann aber Bis das Blut gefriert und die erste Verfilmung von Shirley Jacksons Roman The Haunting of Hill House. Nicht schlecht, aber auch nicht das Beste was man aus dem Stoff herausholen kann. Vom Thema her ein Horrorfilm, von der Umsetzung her weniger: Das siebte Zeichen, hat mich auch nicht so richtig gekriegt. Cam könnte ich mir gut als Indie-Hit vorstellen, wäre da nicht das furchtbar sinnlose Ende gewesen. Bei Apostle ist der Funke leider auch nicht so ganz übergesprungen. Unterhaltsam waren aber natürlich alle von diesen dreizehn Filmen, die auszogen Menschen das Fürchten zu lehren. Ich schau mir jetzt den Sangria, den ich trinke auch ganz genau an. Ähem. Der Horrorctober 2019 war gut, aber es kam auf Twitter unter dem Hashtag nicht zu besonders viel Interaktion. Liegt’s an mir oder ist das eingeschlafen? Findet das jetzt vielleicht vorrangig wo anders statt? Auch hatte ich den Eindruck, dass viele das mit der Challenge irgendwie anders auslegen. Beispielsweise schon im September anfangen. Wie habt ihr das wahrgenommen? So oder so: mir hat’s Spaß gemacht, nächstes Jahr gerne wieder. 🙂
Zu den bisherigen Artikeln
Ankündigung und Filmliste
Wochen 1 und 2 mit „Apostle“, „Cam“, „Ghost Stories“
Woche 3 mit „Das siebte Zeichen“, „Bis das Blut gefriert“ & „Monsters“
Woche 4 mit „Happy Deathday“, „Funny Games“, „Nightmare – Mörderische Träume“
Das war’s! Wie war euer Horrorctober 2019? Was war für euch der Höhepunkt bzw Tiefpunkt? Oder habt ihr euch evtl auch abseits der Filmchallenge Horror gegönnt? Nach der Filmchallenge ist ja aber bekanntermaßen vor der Filmchallenge 😉 Wer macht mit beim Noirvember?
Schreibe einen Kommentar