Als Fan „schöner“ Bücher und begeisterte Serien-Guckerin bin ich schnell angefixt, wenn ich mal ein Buch über eine Serie sehe. Es gibt halt schon echt schöne Stücke mit willkommenen Einblicken in den Prozess der Serienschöpfung. Ähnlich gern wie ich die Making-Ofs und Setberichte in den Extras der BluRays oder DVDs schaue, blättere ich gern durch solche Bücher. Da steckt ein bisschen die Sehnsucht der Außenstehenden drin, die irgendwie gern zu dieser Welt der Film- und Serienschaffenden gehören würde, aber eben ganz wo anders gelandet sind. Als ich letztes Jahr die für mein Empfinden sagenhafte gute Serie Hannibal (nochmal) geschaut habe, legte ich mir das Buch zu und tauchte nochmal tiefer in die Symbolik, Motive und den Schaffensprozess der Serie ein. Seriennostalgie reloaded.
Das Buch erweckt den Eindruck, als ob es nichts an der Serie Hannibal gäbe, dass nicht durchdacht, geplant und bewusst gestaltet wurde. Und so ist es auch gestaltet: hier gibt es nichts überflüssiges, nichts das vom Stil der Serie oder ihren Inhalten abweicht. Jesse McLeans bei Titan Books veröffentlichtes Buch ist im Geiste der Serie gegliedert in Apéritif und Entrée mit einleitenden Worten und Reflexionen wie die Idee zur Serie entstand. Die Kapitel handeln beispielsweise von der ersten Idee oder davon wie Bryan Fuller der Showrunner und kreative Impulsgeber wurde. Danach folgt Main Course mit drei großen auf die Hauptcharaktere zentrierten Themenblöcken und den abschließenden Kapiteln Sorbet, Dessert und Digestif. Dessert widmet sich den Finishing Touches zur Serie in Form von Schnitt und Soundtrack (vom großartigen Brian Reitzell). Digestif enthält Danksagungen des Autors.
Die Gliederung mit den in Gänge unterteilten Themen ist naheliegend, aber bei genauerem Hinsehen erschließt sich mir der Inhalt nicht immer. Auch fällt mir etwas unangenehm auf, dass als die in Main Course gelisteten Hauptcharaktere neben den klaren Hauptdarstellern Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) und Will Graham (Hugh Dancy) auch Jack Crawford gelistet wird. Nichts gegen das Drehbuch oder Laurence Fishburns Darstellung – alle haben einen ausgezeichneten Job gemacht. Aber hätte hier nicht genauso gut die von Caroline Dhavernas dargestellte Alana Bloom stehen können? Leider fokussiert das Buch keine der Frauen. Während zu den männlichen Charakteren interessante Details veröffentlicht wurden, erfährt man beispielsweise über Gillian Anderson als Bedelia du Maurier oder eben erwähnte Alana Bloom eher Details, die man schon weiß, wenn man die Serie geschaut hat und ihnen wird maximal eine Seite gewidmet. Nichts darüber hinaus. Das ist etwas schade. Auch erschließt sich nicht immer, warum in Main Course bestimmte Fälle oder Episoden den drei Hauptcharakteren zugeordnet werden. Auch das Kapitel Sorbet fällt etwas aus dem geschaffenen Rahmen, da es sich mit einem bestimmten Mordfall innerhalb der Serie auseinandersetzt, während andere Fälle in den Unterkapiteln über die Charaktere gefeatured werden. Trotz Erklärung im Text, hebt es sich für mich nicht besonders von anderen Fällen ab. Zumindest nicht so, dass man dem ein eigenes Kapitel widmen müsste. Vielleicht hat man hier zu krampfhaft versucht das Buch als ein Menü aufzubauen wie es Hannibal Lecter lettert und mit seinem Essen adrett anrichtet. Vielleicht suche ich auch nur immer zu krampfhaft kohärente Muster. Das sind aber auch schon die einzigen Kritikpunkte an dem ansonsten tadellosen Schmuckstück.
Ich möchte sogar behaupten, dass von allen Büchern über Serien und Filme und deren Schaffensprozess, die ich besitze oder je gelesen habe, das hier das umfassendste und ausführlichste ist. Hier gibt es nicht nur hübsche Fotos, Schauspielerportraits und Interviews mit dem Haupt-Cast, sondern auch tiefgründige Betrachtungen über das Handwerk. So wird u.a. auf die Herausforderungen der „Murder Tableaus“ eingegangen und auch mal diejenigen genannt, die sonst abgesehen von der Endroll leider zu oft ungenannt bleiben, aber maßgeblich dazu beitragen die Illusion zum Leben zu erwecken. So beispielsweise François Dagenais und Mindwarp FX, die Prothesen für die Serie anfertigten („‚Build a horse. Let’s put somebody in it. Let’s have a bird flying out!‘ I like to create.“ p.11 – gibt auch gut den Wahnsinn der Serie wieder) oder Anthony Patterson von Rocket Science VFX, die beispielsweise die Wendigo genannte Hannibal-Hirsch-Chimäre oder den Hirsch an sich gestalteten. Die Herausforderungen sind immens. Egal ob es um Randell Tiers menchanischen Animal-Suit geht oder um Beverly Katze Körperwelten-inspiriertes Tableau – was für Umwege gedacht und gegangen werden müssen ist faszinierend. Dabei häufig unter Berücksichtigung des Zuschauers, aber auch der Kamera und der Darsteller. Kann in dem Tableau ein Schauspieler mehrere Takes aushalten? Oder muss man eine ganze Attrappe des Darstellers formen? Welche Winkel werden aufgenommen, bei welchen kann man sich Sparsamkeit erlauben und etwas weglassen um stattdessen dem Darsteller Raum zum Atmen zu geben? Auch vom Stress solcher Produktionen liest man zwischen Den Zeilen. Last-Minute-Änderungen am Skript ist nur eins der Übel mit denen die Profis eben professionell umgehen müssen. Sehr spannend war auch zu lesen, dass der Künstler, der hinter Hannibals Illustrationen steckt Aaron Morrison ist – und überhaupt die Namen hinter den Bildern, bewegte und unbewegte, zu erfahren.
Auch das Design einzelner Sets wird erklärt – nichts scheint beliebig zu sein. Einer meiner Lieblingsorte der Serie, Hannibals Büro, hat als Vorbild die State Library of North Carolina und die Arbeit von Neoklassizisten wie Sir John Soane. Und das erkennt man wieder, wenn man online danach sucht. Es lag ja schon auf der Hand, dass man hier nicht zu IKEA gelaufen ist um ein paar Billys in die Ecke zu stellen. Patti Podesta kommt als Produktionsdesignerin mehrmals zu Wort. Ich schätze es sehr, wenn es einen Platz gibt, wo man über diese zu oft verschwiegenen Berufe des Showbusiness redet. Eine gute Narrative, gutes Schauspiel, manchmal redet man auch noch über die Kamera; aber Produktionsdesign macht soviel aus und gibt die Atmosphäre vor. Es sind viele Bausteine, die das Bild abrunden. Die Food-Designerin Janice Poon ist eine der Ausnahmen unter den Kunsthandwerkern und Ingenieuren, die hier zu Wort kommen. Sie kannte ich schon vorher durch ihren Blog Setting the table, der irgendwann tatsächlich zum „offiziellen Produktionsblog“ der Serie wurde. Ein paar der Insights hier sind, dass sie beispielsweise ein Gericht zauberte, dass in Ton gebacken wurde um biblische Referenzen zu untermauern. Was man schnell vergisst bei all dem: das alles wird wirklich gekocht und teilweise in der Serie auch verzehrt. D.h. anders als bei Speisen, die für Werbung „nur“ fotografiert oder gefilmt werden, muss es auch ess- und idealerweise genießbar sein. Oftmals steht dabei eben Form im Fokus, nicht Geschmack. Wenn beispielsweise etwas der Konsistenz und des Looks wegen aus Marzipan geformt wird und Takes einige Mal wiederholt werden müssen, dann bekommen Mikkelsen, Dancy & Co. mehr Süßes als ihnen wohl lieb ist. Aber wenn es eben wie eine perfekte Poularde aussieht?
Natürlich erhofft man sich von dem Buch aber auch Einblicke in die großen Fragen der Serie. Einen Blick in den Kopf des Kannibalen. Was ist das Trauma Hannibals? Warum tut er etwas, das er tut? Die Figur des Hannibal Lecter ist v.A. deswegen so faszinierend, weil er etwas tut und ist, das Serienkiller normalerweise nicht tun und nicht sind. Er ist sich seines Handelns und der Auswirkungen vollkommen bewusst. Und er ist schlau, gebildet und sieht eine Art Schönheit in seinem Tun. Das vermittelt nicht das Buch. Das ist meine Erklärung für die Faszination, die die Figur ausübt. Das Buch tut mir aber den Gefallen mit mir viele Fragen zu erörtern, die ich mir während der Serie häufig stellte. Beispielsweise: ist Hannibal gerade deswegen ein guter oder schlechter Psychiater? Dabei gibt es sogar Geständnisse. 🙂 Bryan Fuller gibt im Buch quasi zu, dass die Figur des Randall Tier eine furchtbare Metapher für Transgender ist (p. 48). Denn hier geht es zwar um jemanden, der sich tief drinnen als etwas anders fühlt/etwas anderes ist als er geboren wurde (außen Mensch, innen Tier); aber auch einen kranken Geist, der nicht nur unter dieser Bürde leidet, sondern nur eine abscheuliche Weise findet sie auszuleben: sich als mordendes Biest zu verkleiden. An der Begegnung zwischen Hannibal und Tier wird nun aber klar, dass Lecter ein guter Psychiater ist. Er mag den Wert von Leben und Tod ausklammern, tut aber das, was für seinen Patienten wohl die richtige Entscheidung wäre: ihn dabei zu unterstützen sein Inneres Ich zu akzeptieren und auszuleben. Bryan Fuller fragt provozierend, ob es nicht das ist, was wir von einem guten Psychiater erwarten würden? Ich befürchte schon, auch wenn es hier künstlerisches Verzerrt ist wie der gesamte moralische Kompass Lecters. Mads Mikkelsen selber sagt sogar über Lecter
„He’s probably a character that is the happiest I’ve ever played. There’s absolutely nothing that I bring to him that has a depressing edge to it. He is a man who seizes the moment every single day. ‚Today was interesting, tomorrow can be even more inetresting.’“ (p. 63)
Interessante Ansichtsweise – ein Teil davon ist sehr nachvollziehbar, wenn andere Rollen von Mikkelsen betrachtet. Tatsächlich liegt aber auch ein Teil von Hannibals Carpe Diem in dem Umstand begründet, dass er sich seiner Taten bewusst ist und stets damit rechnet, dass er irgendwann trotz aller Vorsicht geschnappt werden könnte und sein angenehmes Leben dann vorbei ist. Natürlich kommt auch Hugh Dancys Darstellung von Will Graham und seine Beziehung zu Hannibal nicht zu kurz. Dancy lässt gar einen Satz fallen, der vielen Fannibals und „Hannibal x Will“-Shippern sehr gefallen wird, in dem er zugibt „It’s a very rich and profound friendship, and love even“ (p.112). Wir wussten es ja die ganze Zeit über. 😉 Was sich zwischen ihnen abspielt basiert viel auf dem Fakt, dass Will einer der wenigen Menschen ist, der in der Lage ist Hannibal nachzuvollziehen und in seinen Kopf zu schauen. Etwas was Lecter normalerweise nur bei anderen tut und üblicherweise Menschen nicht an sich heranlässt – oder zumindest nur einige wenige. Ähnlich verhält es sich ja mit Hannibal und Bedelia. Da sich das Buch leider nur mit der ersten und zweiten Staffel auseinandersetzt wird ihre Beziehung aber nur angerissen. Insgesamt ist das Buch mal abgesehen von der Aufteilung ein Prachtexemplar, das ich noch oft zur Hand nehmen werde. Trotz der Masse an Inhalt ist es kurzweilig zu lesen, optisch ansprechend und im Sinne der Serie gestaltet und sehr schön anekdotenreich! Vieles davon habe ich das erste Mal über die Serie gelesen. Das ist tatsächlich doch eher selten bei Büchern über Filme oder Serien. Natürlich bleiben einige Geheimnisse gewahrt und längst nicht alles angesprochen. Interessiert hätte mich noch: Was unterscheidet diesen von Hopkins Hannibal? Wie ist Mikkelsen an die Aufgabe rangegangen? Und was ist aus geplanten Cameos geworden? Vielleicht waren es nur Gerüchte, aber sollte nicht David Bowie eine Rolle übernehmen ebenso wie Anthony Hopkins? Dass das Auftreten der Figur Clarice Starling und thematisieren des Inhalts von Das Schweigen der Lämmer aus lizenzrechtlichen Gründen scheiterte wird aber beispielsweise erwähnt.
Besprochene Ausgabe: ISBN 9781783295753, Titan Books
Lest ihr auch gern Bücher über Filme und Serien? Seid ihr für hübsche Cover, Schmuckstücke, Prachtexemplare empfänglich oder geht das an euch vorbei? Welche Erfahrungen habt ihr mit solchen Bücher gemacht? Tatsächlich habe ich das eine oder andere Mal zu einem gegriffen, dass zwar hübsch aufgemacht war aber wenig interessante oder neue Informationen bieten konnte. Das hier tanzt angenehm aus der Reihe.
Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei :).
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