Fantastischer Film: Sound of Metal

Zuerst ist es ein hoher Pitch; ein Ton, der aus der Art schlägt. Danach hört Ruben (Riz Ahmed) seine Umgebung erstmal nur gedämpft. Er wischt an seinen Ohren rum, schiebt es auf Druck, versucht den auszugleichen, irgendwann kommt das Gehör zurück. Aber das bleibt leider nicht so. Ruben spielt zusammen mit seiner Freundin Lou (Olivia Cooke) in einer Metal-Band. Sie spielen laut, energetisch, sie gehen darin auf. In Rubens Trailer fahren sie von Auftritt zu Auftritt. Obwohl die Ärzte ihm sagen, dass er sofort lauten Geräuschkulissen fern bleiben muss, um seine übrigen 24% Gehör zu erhalten, spielt er weiter mit Lou Auftritte. Bis es nicht mehr geht.


„Sound of Metal – Official Trailer | Prime Video“, via Amazon Prime Video (Youtube)

Der Moment in dem Ruben sein Gehör quasi komplett verliert, ist der Moment von nicht nur einer Trennung. Dieser Moment trennt ihn von seinem bisherigen Leben, in dem er vollkommen in der Beziehung zu Lou und ihrer gemeinsamen Musik aufging. Man hört in ihrer Musik, dass sie vollkommen darin aufgehen und ihre Erfahrungen verarbeiten. Es klingt nach Wut und nach Menschen, die viel Ablehnung erlebt und in Abgründe geschaut haben. Man erfährt, dass Ruben bis vor vier Jahren heroinabhängig war. Dass er clean ist, seitdem er mit Lou zusammen ist. Man sieht die verheilten Male von Lous Selbstverletzungen. Man ahnt, dass diese Trennung von ihrem alten Leben viel fragiles aus der Balance bringt. Physische und psychische Gesundheit, Liebe, zwei Leben. Letzten Endes nimmt Lou Ruben die Entscheidung ab was als nächstes zutun ist.

Regisseur Darius Marder ist bisher bekannt durch seinen Indiefilm Loot und durch seine Arbeit als Drehbuchautor für Derek Cianfrances The Place Beyond the Pines. Zusammen mit seinem Bruder Abraham schrieb er das Drehbuch zu Sound of Metal. Der Film lief das erste Mal im Rahmen diverser Filmfestspiele über große Leinwände und ist seit Dezember 2020 per Prime Video auf Amazon zu streamen. Aufmerksam wurde ich auf den Film durch die sozialen Netze, in denen er sehr gelobt wurde. Als ich den Titel Sound of Metal las, dachte ich, dass er sich auf die Musik bezieht, die Ruben und Lou machen. Lauten, verzweifelten Metal. Oder auf das Schlagzeugspielen insbesondere. Gegen Ende des Films ist vielleicht eher der „Sound of Metal“ gemeint mit dem Gehörlose mit einem Cochlea-Implantat die Welt wahrnehmen. Krachende, metallische Geräusche, viel Noise. Man liest darüber, aber der Film lässt es den Zuschauer ansatzweise erleben.


„Darius Marder On Directing His Latest Sound of Metal“, via MUSE TV (Youtube)

Immer wieder wechselt der Film zwischen dem was Ruben wahrnimmt, seinem subjektiven Klang, und dem was Hörende wahrnehmen. Wir erleben wie die Geräuschkulisse für Ruben nach und nach verschwindet. Der eben noch laute Mixer mit dem er sich Frühstück gemacht hat, seine eigene Stimme und das Schlagzeug sind plötzlich nichts mehr als ein ersticktes Flüstern. Der Verlust des Lebens wie man es kennt, jagt dem Zuschauer dank dieses Vergleichs einen Schauer über den Rücken. Immer wieder gibt es Szenen von Vogelzwitschern, dem Rauschen des Windes im Gras und den Baumkronen – und es braucht eine Weile bis der Zuschauer realisiert: all das hört Ruben schon längst nicht mehr. Es verfolgt einen. Für Ruben steht und fällt alles mit dem Gehör. Seine Beziehung, seine Leidenschaft, vielleicht sein Leben. Es ist die ultimative Katastrophe – zumindest anfangs. Denn hier liegt die entscheidende Stärke des Films: es eröffnet einerseits Hörenden die Welt Gehörloser und macht zum anderen deutlich: auch das ist ein Leben und es ist nicht weniger lebenswert.

Darius Marders Film sensibilisiert den Zuschauer am Beispiel Rubens dafür, dass Akzeptanz ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Schritt ist. Dass die Stille nicht der Feind ist. Und nicht das Zeugnis des Lebens, das man verloren hat. Dass Stille eine Art Frieden mit sich bringt, wenn man an dem Punkt ist, wo man das Selbstbewusstsein wieder erlangt weiter zu machen. Nur eben anders. Sound of Metal bildet diesen Prozess als hart, intensiv und v.A. immersiv ab. Es bezieht uns ein in das was Ruben fühlt, wahrnimmt, hört – oder nicht mehr hört. Und das auf schrecklich schöne und was ich wichtig finde: versöhnliche, aber nicht beschönigende Art.

Sound of Metal schärft nebenbei das Bewusstsein dafür wie Gehörlose sich im Alltag zurecht finden. Fragen, die man sich zu selten stellt. Wie telefoniert man? Wie fängt man an die Gebärdensprache zu lernen? Was kann noch wahrgenommen werden (z.B. Vibrationen)? Der Film portraitiert dabei mehrere Menschen einer Gehörlosen-Gemeinschaft und zeigt an deren Beispiel die Interaktion mit der Umwelt. Von Lippen Lesen über amerikanische Gebärdensprache (ASL = American Sign Language). Wusstet ihr, dass sich Gebärdensprachen unterscheiden!? Wer das eine beherrscht, kann deswegen nicht automatisch deutsche Gebärdensprache. Ich verweise an der Stelle mal auf die Wikipedia mit der Liste der Gebärdensprachen. Mit all dem ist Sound of Metal für mich wohl einer der faszinierendsten Filme, die ich 2020 gesehen habe. Er ist wie wenn man statt gemütlich aufzuwachen eine links und rechts geklatscht bekommt. Man ist danach definitiv wach. Er macht beklommen, er macht bewusster für das Empfinden der Gehörlosengemeinschaft und die Herausforderungen, denen sie sich stellen und er macht friedlich, aber lullt nicht ein. Es ist ein wichtiger Film.

Sound of Metal, USA/Belgien, 2019, Darius Marder, 121 min


„‚Sound of Metal‘ Cast On How They Hope The Film Will Impact Movie Industry | Entertainment Weekly“, via Entertainment Weekly (Youtube)

Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

7 Antworten

  1. Den will ich auf jeden Fall noch schauen. Scheint aber kein so Nebenbei-Werk zu sein, dafür muss ich also in the mood sein.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja, denke schon. Ist nix für so einen Tag, wo man nur Popcornkino abkann, sondern eher für einen, wo man sich konzentrieren und wirklich was auf sich wirken lassen kann. Viel Spaß dabei, wenn du den schaust! Bin schon gespannt was du dazu sagst/schreibst.

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  4. […] Night Of“, Nightcrawler und andere Filme zuvor schon bekannt war; aber mich letztes Jahr in Sound of Metal umgehauen hat. Den Oscar als bester Hauptdarsteller hätte ich ihm gerne gegeben. Als Sohn […]

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