Fast zehn Jahre mussten wir auf den letzten Teil der Neon Genesis Evangelion Rebuild-Filme warten. Dass Evangelion trotzdem nichts an seiner Faszination eingebüßt hat, zeigt wohl die Resonanz als die Serie aus dem Jahr 1995 vorletztes Jahr in das Programm von Netflix aufgenommen wurde und dieses Jahr dann die Rebuild-Filme ins Prime-Segment von Amazon Instant Video. Und der vierte und letzte Rebuildfilm sogar mit deutscher Erstausstrahlung. Hui. Ein Schlag ins Gesicht für das Kino, aber Animefans wird es freuen. Zumal der Film erst im März 2021 in japanischen Kinos startete. Ich hatte damit gerechnet den erst in einem Jahr schauen zu können – frühestens. Demzufolge war das Echo auch wegen dieser Nachricht enorm. Bevor ich mich in Länge mit dem vierten und letzten Film befasse, habe ich natürlich einen Rewatch gemacht – und längst überfällige Besprechungen geschrieben Denn: die ersten Filme habe ich geschaut, lange bevor dieser Blog das Licht der Welt erblickte. 🙂 Und ja – ich werde so spoilerfrei schreiben wie es möglich ist.
Evangelion: 1.11 – You Are (Not) Alone.
Als Shinji Ikari einen Brief von seinem Vater mit der Aufforderung nach Neo Tokyo 3 zu reisen bekommt, hatte er sich wohl etwas anderes unter einem Wiedersehen vorgestellt. Sein Vater ist der Leiter einer Organisation namens NERV und Shinji weiß gar nicht, was sein Vater dort eigentlich macht. Als er in der Stadt ankommt, wird der Notstand ausgerufen: ein Engel greift an. Das Monstrum ist hochhausgroß und verwüstet die Stadt. Als Shinji von seiner Vorgesetztn Misato abgeholt wird, ahnt er noch nicht, dass er prompt in die Zentrale von Nerv gebracht wird, wo ihn die frohe Botschaft erwartet, dass er in einen humanoiden Roboter (EVA) steigen und gegen eben diesen Engel kämpfen soll. Die Frustration darüber, dass sein Vater ihn scheinbar als Mittel zum Zweck sieht wird Shinji über weitere Einsätze begleiten. Genauso wie die Frage, was die Engel eigentlich sind, die Angst einen EVA zu steuern und die Unsicherheiten im neuen Umfeld und mit neuen Menschen. Seiner Vorgesetzten und plötzlich Mitbewohnerin Misato, seiner Piloten-Kollegin Rei, seinen Mitschülern und noch vielen anderen.
„Evangelion 1.01 – Trailer (deutsch/german)“, via LEONINE Studios (Youtube)
Und genau diese „Teenage Angst“ macht einen bedeutenden Teil von „Evangelion“ aus, egal ob als Serie, in den alten Filmen oder wie hier in den Rebuild-Movies. Neben Shinjis Ängsten und Innenleben, glänzt das Rebuild-Movie v.A. mit einem frischeren Look als die Serie aus dem Jahr 1995. Zwar waren die Kämpfe zwischen Engeln und EVAs vor der „letzten Bastion der Menschheit“ Neo Tokyo 3 und der Geofront schon in der Serie dynamisch und sehenswert, aber wenn EVA-01 mit Neondetails im Dunkeln das erste Mal auftritt, dann hat das schon was. Der erste Teil der Rebuild-Filme verläuft relativ analog zu den ersten Episoden der Serie – mit einigen Auslassungen. Was dort gut war, ist es hier auch. Der große Detailgrad bei der Umsetzung der Technik, Mechanik, Hydraulik, Interfaces der EVAs und natürlich auch die schaurig-abwechslungsreichen Engel. Wer genau hinschaut, erkennt schon in der ersten Szenen mit dem roten Meer einen dezenten Hinweis darauf, dass die Geschichte aber nicht neu geschrieben wurde, sondern sich vermutlich wiederholt. Die letzte Sequenz mit einem bekannten Gesicht (das wir erst viel später erwartet hätten) bestätigt das dann auch. Spitzen-Remake!
Evangelion: 1.11 – You Are (Not) Alone. (OT: ヱヴァンゲリヲン新劇場版:序 „Evangerion Shin-Gekijōban: Jo“), Japan, 2007, Hideaki Anno/Kazuya Tsurumaki/Masayuki, 98 min, (8/10)
Evangelion: 2.22 – You Can (Not) Advance.
Worüber wir im ersten Teil der Rebuild-Movies nur spekulieren konnten, wird im zweiten Teil konkret gemacht und überrascht. Ja, der Film weicht stark von der Handlung der Serie ab und ja, er macht einen großen Sprung. Über die Hälfte der Serie wird auf knapp über 100 Minuten spielzeit verknappt. Kann das funktionieren? Sogar sehr gut. Nach den Geschehnissen des ersten Teils beginnt Rei ihre Rolle und ihr Leben neu zu bewerten. Sie erwärmt sich für die Menschen in ihrem Umfeld und baut insbesondere zu Shinji eine Beziehung auf. Auch Shinji selber scheint mehr in seinem neuen Leben angekommen zu sein als eine weitere Pilotin dazustößt und das Gefüge wieder etwas durcheinanderwirbelt. Asuka Langley Shikinami wurde aus Europa geschickt, hat ein zumindest äußerlich sehr großes Selbstbewusstsein und ist zugegebenermaßen eine gute Kämpferin mit ihrer Einheit EVA-02. Nur Teamwork hat sie nicht so drauf und reiht sich damit gut in das Gefüge unserer emotional verwundbaren Runde ein. Es mangelt heirbei nicht an Bedrohungen – u.a. aus dem All und vielleicht auch den eigenen Reihen.
„EVANGELION 2.22 HD trailer“, via AnimexNxGames (Youtube)
Natürlich geht das Verknappen auf Kosten einiger sehr spannender Engel. Ich vermisse beispielsweise den aus der Serie, der wie eine Art Computervirus MAGI infiziert. Trotzdem gelingt es dem Film mit einer sehr einfachen Milchmädchenrechnung, die aber sehr effektiv ist eine Spannungskurve aufzubauen und die Atmosphäre und Entwicklungen der Serie auf die kurze Zeit abzubilden. Während einiger sehr slice of life lastiger Episoden wird ein neues, harmonischeres Miteinander gezeigt. Shinji und seine Schulfreunde sind inzwischen eine fest zusammengeschweißte Clique, Rei öffnet sich langsam, etc. Auch Asuka wird sehr schnell als jemand etabliert, die ihr Selbstwertgefühl aus komplett überhöhten eigen gesetzten Zielen und aggressivem perfektionismus ableitet. Entsprechend schnell fällt das Kartenhaus zusammen, wenn Asuka mal „nicht so performt“ oder schlicht jemand anders irgendetwas hat, was Asuka fehlt. Die ausgezeichnete Mischung aus Charakterentwicklung, das Zusammenspiel zwischen Action und Slice of Life gepaart mit der konstant hohen Animationsqualität ist sowieso schon sehr gut; dann kommt noch der gelungene Neustart mit der Verknappung der Handlung und einigen etwas anders angelegten Engeln, dann haben wir einen wunderbaren, spannenden Animationsfilm. Gegen Ende wird das ganze Geschmackssache, da es eskaliert. Die Brutalität (moralisch wie physisch) ist nicht für alle Zuschauer*innen was. Während ich das abkann, hat mich beim ersten Schauen überrascht an was für einem (unerwarteten) Punkt der Film endet. Hängt der möglicherweise diejenigen zu schnell ab, die die Serienmythologie nicht kennen? Ich vermute schon. Der Film wird von Perfektion dadurch getrennt, dass es ihm nicht so gut wie in der Serie gelungen ist zu erklären wie überhaupt ein „Impact“ entsteht, was mit der Welt vor Jahren passierte und was die Auswirkungen sind.
Evangelion: 2.22 – You Can (Not) Advance. (OT: ヱヴァンゲリヲン新劇場版:破 „Evangelion Shin-Gekijōban: Ha“), Japan, 2009, Hideaki Anno/Kazuya Tsurumaki/Masayuki, 108 min, (9/10)
Evangelion: 3.33 – You Can (Not) Redo.
Shinji wacht auf – dieses Mal sieht er auch eine fremde Zimmerdecke, aber nicht die eines Krankenzimmers. Seine letzte Erinnerung war die an den Kampf gegen einen Engel in dem er krampfhaft versucht hat Rei Ayanami zu retten. Nun steht er seinen Freunden gegenüber: Misato, Ritsuko, Asuka – sie sehen ihn an, als ob er ein Monster wäre. Keiner sagt ihm was los ist oder wo Rei ist. Stattdessen erfährt er, dass seit diesem Kampf 14 Jahre vergangen sind und er in der Zwischenzeit verschwunden war. Misato, Ritsuko und die anderen haben sich von NERV abgewandt und die Organisation WILLE gegründet. Ihr Ziel ist es NERV und die noch in NERVs Besitz befindlichen EVAs zu vernichten. Es kommt noch schlimmer: er bekommt ein Halsband umgelegt, über dass er per Fernsteuerung getötet werden kann. Was hat er ihnen denn nur getan? Shinji erfährt es, als NERV ihn abholt und er im alten Hauptquartier den EVA-Piloten Kaworu Nagisa kennen lernt. Mal wieder ist Kaworu der erste und einzige, der nett zu ihm ist. Und ihm die Wahrheit sagt.
„Evangelion 3.33 You Can (Not) Redo – Trailer (deutsch/german)“, via LEONINE Studios (Youtube)
Sicherlich haben sich viele Fans des Franchise gefragt wie es nach „End of Evangelion“ hätte weitergehen können? Nun im dritten Teil der Rebuild-Movies bekommen wir eine alternative Handlung geboten und die Geschichte schlägt einen ganz anderen Ton an. Shinji wird mit der ultimativen Schuldfrage konfrontiert und verkraftet das denkbar schlecht („You can(not) redo“). Wiegt Schuld weniger schwer, wenn man nicht wusste, was die Konsequenzen sind? Dass Misato & Co. sich von NERV abgekehrt haben ist wohl eine nur allzu logische Schlussfolgerung und spannende Wendung. Die aber wohl übelste tour de force ist was Shinji durchmacht: der Zeitsprung, der Verlust Ayanamis, die Wahrheiten über seinen Vater, dessen Ziele und seine Mutter. Und vor Allem: was seine Rettungsaktion vor 14 Jahren angerichtet hat. Es ist haarsträubend. Vor Allem dürften aber die Zuschauer die „End of Evangelion“ nie gesehen haben, hier einen ziemlichen Schock erleben und sich fragen was sie eigentlich verpasst haben. Ohne Kenntnis dieses Films kann die Handlung enorm verwirrend sein. Hat aber auch einen großen Clou: der Zuschauer weiß dann nämlich genauso wenig wie Shinji was eigentlich passiert ist. Und die Erkenntnis haut umso mehr rein.
Was Storytelling und Umsetzung betrifft, ist der Film grandios. Die Animationen haben eine hohe Konsistenz und Qualität. Die detailierte Umgebung und Szenengestaltung unterstreicht die Atmosphäre doppelt. V.A. machen die Spuren einer zerstörten Welt und einfache Auslassungen viel mit Zuschauenden. Berge an Fahrrädern, leerstehende Häuser, eine herstörte Geofront, keine Menschen. Bei all den Wendungen und bitteren Pillen, gelingt es sogar noch die Stimmung wieder aufzuhellen als Shinji mit Kaworu wieder Vertrauen zu jemanden fasst und gute Willen entgegen gebracht bekommt. Das drückt sich v.A. auch in den Klavier-Einlagen der beiden aus. Schwierig werden ab hier im dritten Film die Kampfeinlagen. Eine Flut an neuen Begriffen, Mannöver, Wendungen und alleine die optische Umsetzung von Kämpfen wie dem Asukas zu Beginn des Films und WILLEs Kampf in der WUNDER getauften Maschine sind schwer zu folgen und lassen den Zuschauer zwangsläufig im Regen stehen. Sicherlich: es ist kein Geheimnis, das Evangelion schon immer auch dazu gemacht war mit Absicht ein Mysterium zu sein und deswegen mit Wortkreationen um sich zu werfen. Aber die Kämpfe vertragen hier zu recht das Label „over the top“. Das einzige Manko an einem wirklich tollen Film. Ab hier zeigt die Evangelion-Filmreihe übrigens auch, dass sie sich selbst und ihr Franchise gut kennt und gibt einen Vorgeschmack auf das, was da noch kommen mag. Hieß es zu Beginn der Reihe und der Filme noch „Shinji, get in the robot!“, heißt es nun „Shinji, stay the fuck away from the robot!“
Evangelion: 3.33 – You Can (Not) Redo. (OT: ヱヴァンゲリヲン新劇場版:Q „Evangerion Shin Gekijōban: Kyū“), Japan, 2012, Hideaki Anno/Mahiro Maeda/Kazuya Tsurumaki/Masayuki, 96 min, (9/10)
Mehr zu Evangelion hier im Blog:
Besprechung der Serie
Mehr Futter für die Evangelion-Obsession
Die Rebuildfilme sind nicht nur „einfach zugänglich“ und ein Teil ihres ikonenhaften Status und Hypes kann man wohl nur vollumfänglich verstehen, wenn man die Serie gesehen hat. Ich setze sogar noch einen drauf: wenn man das Franchise über sein nun 26-jähriges Bestehen hin verfolgt hat. Hideaki Anno ist mit Evangelion groß geworden, hat an die Reihe sicherlich einige Nerven verloren, graue Haare deswegen bekommen und hat (erwiesenermaßen) einige Depressionen deswegen verlebt. Aber es ist: Kult! Und aus der Animelandschaft und Film- und Serienlandschaft kaum wegzudenken. Wie habt ihr die Filme wahrgenommen!? Und was ist eure Geschichte mit „Evangelion“?
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