Serien-Besprechung: „Mushishi“ Season 1 (Anime)

Was genau der Auslöser war, kann ich heute nicht mehr sagen. Vielleicht die Sehnsucht nach Eskapismus. Vielleicht der Wunsch nach Heilsamkeit und Ruhe – mit anderen Worten Iyashikei? Anfang diesen Jahres hatte ich große Lust mal den Anime „Mushishi“ zu schauen und auch mal in den Manga reingelinst. Zumindest in den ersten Band, da schnell klar war, dass der Anime vielleicht eher mein Fall ist. Und war das dann so? Besprechung ist spoilerfrei.

„Mushi“ (jp. 蟲) sind in der Realität des Anime eine Lebensform, die sich weder eindeutig Tieren, noch Pflanzen zuordnen lässt. Mushi haben ganz unterschiedliche Erscheinungsbilder, leben meist naturnah und kommunizieren eher nicht sprachlich. Ihre besonderen Fähigkeiten können wünschenswerte, aber auch für Menschen gefährliche Auswirkungen haben. Sogenannte „Mushishi“ (jp. 蟲師) reisen durch das Land um Menschen zu helfen, die durch Mushi in Probleme geraten, aber auch um die individuellen Fälle und Mushi zu erforschen. Ein solcher Mushishi ist der weißhaarige, nicht selten rauchende Ginko, der selber zuweilen eine ähnlich-mysteriöse Erscheinung wie die Mushi ist.

In der alternativen Realität des Anime wandert Ginko durch ein Japan des ca. späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts. Er trifft in dem Anime u.a. auf einen kleinen Jungen, dessen Zeichnungen lebendig werden; einen Mann, der prophetische Träume hat oder auch einen wandernden Sumpf. Sehr mitreißend empfand ich beispielsweise die Folge 1×07, in der ein junger Mann der Obsession seines Vaters folgt. Der hat einst behauptet einen „umgekehrten Regenbogen“ gefangen zu haben. Nun will sein Sohn beweisen, dass das möglich und sein Vater nicht verrückt ist. Aufmerksame Leser*innen ahnen es schon: auch dabei handelt es sich um einen Mushi. Die tauchen wirklich in unterschiedlichsten Formen auf. Mal als Naturphänomene oder Wetterereignisse, parasitäre oder symbiotische Lebensformen, etc. Es ist eben meistens keine große Überraschung mehr, dass sich alle anfangs mysteriös anfühlenden Fälle auf Mushi zurückführen lassen. Das spannendere und abwechslungsreiche liegt „wie“ und „warum“.


„Mushishi Vol. 1 Trailer“, via Nathan S Madsen (Youtube)

Obwohl die Serie gerade an ihrem Anfang eher ein Slow-Burner ist und mit satten 26 Episoden nicht gerade im Vorbeigehen konsumiert werden kann, hat sie ihren Reiz und lässt erkennen, dass sie in der Tat ein wahrer Iyashikei-Anime ist. Zur Auffrischung: Iyashikei ist ein Subgenre von Anime, die sich in irgendeiner Form eskapistisch, aber heilsam anfühlen. Iyashikei hat typischerweise keine aufregenden, aufwühlenden Elemente und wenn, dann eher sehr mild und eher nachdenklich-machend als schockierend. Oftmals werden die Anime als Slice of Life oder Subgenre dessen eingeordnet. Diesen Geist hat auch eindeutig Mushishi, in dessen Zentrum nie die Denke steht die Mushi zu töten, die irgendwelche negativen Auswirkungen auf Menschen haben. Stattdessen praktiziert Ginko etwas, das wir alle auf unser Umfeld anwenden sollten: Empathie und Verständnis, dann Reaktion.

Typischerweise versucht Ginko die Lebensumstände und Bedürfnisse der Mushi zu verstehen und sie zu erhalten. Sind sie also beispielsweise durch sich verändernde Umweltbedingungen zu nah in die Umgebung von Menschen gelangt, würde er sie eher umsiedeln oder eine andere Lösung suchen als die Keule auszupacken und sie auszumerzen. Mushi werden stets als Lebensformen charakterisiert, die an eine bestimmte Umgebung angepasst sind und nicht „anders können“ als sich intuitiv so zu verhalten wie sie es tun. Kein Mushi würde absichtlich Menschen verletzen. Es gibt keinen bösen Willen. Lediglich Überlebenswillen. Deswegen handelt Ginko wie er handelt und stößt dabei eben auch nicht immer nur auf Gegenliebe. Ausnahmen bestätigen die Regeln: Episode 21 handelt von einer Familie, deren Kinder an einer Krankheit leiden, die sich in grünem Ausschlag äußert. Nicht nur lernt man in der Episode, dass Mushishi ein gefährlicher Beruf ist, sondern auch, dass manchmal der Überlebenswille eines Mushi für alle anderen gefährlich ist und keinen anderen Ausweg als den letztmöglichen bietet.

Leben zu verstehen und zu erhalten ist doch aber eine beeindruckende Botschaft, die mir sehr an dem Anime gefallen hat. Das und die Wanderungen Ginkos bei Wind und Wetter wecken eine Art Naturbewusstsein und Sehnsucht nach „draußen“, die mir im Frühjahr sehr gut getan hat. In dem Punkt ist an Iyashikei wohl was dran!? Auch macht die Serie definitiv nicht dümmer. In Episode 14 wird ein Bambuswald zum Labyrinth, der seine Besucher*innen nicht wieder ziehen lässt. Hier habe ich gelernt, dass ein Bambuswald häufig ein einziger Organismus bzw eine einzige große Pflanze ist (streng genommen), da sich die einzelnen „Bambusstränge“ oder -äste eigentlich eine Wurzel teilen.

Zu den eher aufrüttelnden Episoden gehörte für mich die 17., die von ganz bestimmten Mushi handelt, die zwischen Kokons hin- und herwechseln können und deswegen den Mushishi als eine Art Postrohr dienen. Leider gibt es auch eine erschreckende Wende, die mich ziemlich gepackt hat. Für diejenigen, die sich an das gemächliche Pacing des Anime gewöhnen, sowas sogar mögen und für die naturverbundenen Inhalte offen sind, ist Mushishi definitiv einen Blick wert. Gern hätte es aber auch persönlicher werden können. Über unseren Protagonisten Ginko werden einige Details fallen gelassen, aber so richtig konkret wird es nie. Dabei haben die Andeutungen Potential für eine größere, in Ginko schlummernde Geschichte. Nicht zu verwechseln ist die erste Staffel von Mushishi (Erstausstrahlung 2005-2006) mit der stolze 10 Jahre später ausgestrahlten Sequel-Serie Mushishi: Zokushō (jp. 蟲師 続章), die auf dem englischsprachigen Markt auch als Mushishi Next Passage oder Vol. 02 bekannt ist. (8/10)

Sternchen-8


„The Haunting Calm of Mushishi“, via Beyond Ghibli (Youtube)

Header Images uses a photo by veeterzy on Unsplash

Das Video von „Beyond Ghibli“ fasst noch einmal in ähnlich ruhigem Stil zusammen, was an dem Anime so besonders ist. Was ich oben noch gar nicht erwähnt habe und es auch nicht einfach irgendwo „droppen“ will, ist der feine, trockene Humor Ginkos. Auf den muss man allerdings etwas warten. Kennt ihr den Anime, Manga oder sogar die Realverfilmung? (Ja, es gibt bereits einen Film 🙂 ) Der Manga war leider nicht meins, wegen des etwas sehr gummiartig wirkenden Zeichenstils.

3 Antworten

  1. Iyashikei. Dieses Wort muss ich paar Mal schreiben, damit sich das Wort einprägen kann bei mir (und mittlerweile habe ich den Kommentar zweimal zu früh weil unvollständig an Daten versenden wollen und dann wurde er gelöscht, daher weiß ich mittlerweile wie Iyashikei geschrieben wird xD). Ich habe mit Violet Evergarden, der Serie angefangen, die du in einem älteren Beitrag zum Thema Iyashikei auch erwähnst. Und beim Lesen hat es KLICK gemacht, dass das alles ein großes Ganzes ist in Violet Evergarden und was es in mir auslöst. Ich mag die Serie und bin zuversichtlich zu wissen, dass es mehr dieser Art da draußen gibt, wenn ich mal dieses ganz eigene Schaugefühl haben möchte.
    Um den Bogen zum eigentlichen Protagonisten dieses Beitrags zu machen: Wo kann man denn Mushishi gucken?

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ah, so kann sich das Wort auch einprägen, oh je ^^“ Aber immerhin!
      Das freut mich sehr, dass dir Violet Evergarden so gefällt! Ja, es gibt einige Stoffe, die dieses Gefühl von Iyashikei befeuern. Wenn auch manchmal auf unterschiedliche Art. Ich finde das auch sehr angenehm.

      Das mit Mushishi wird jetzt eher etwas unglamourös … den hat mal irgendwer auf Youtube hochgeladen, die ganze Staffel. Qualität war nicht so toll, aber zumindest war es da. Ich schaue eigentlich nicht „illegal“ und versuche es zu vermeiden, aber in dem Fall war die Enttäuschung so groß, dass die erste Staffel bei Crunchyroll fehlt. Leider kann ich dir keinen Link da lassen, offenbar wurden die Folgen inzwischen gelöscht.
      Aber vielleicht ist es auch ok die zweite Staffel auf Crunchyroll direkt anzufangen!? Zumindest war es in der ersten nicht notwendig die vorherigen Folgen zu kennen. Man hätte es auch durcheinander schauen können.

  2. […] * ausgelesen: Robert Seethaler „Der Trafikant“ #FranzlUndSiggi 02.12. * Serien-Besprechung: „Mushishi“ Season 1 (Anime) 03.12. * ausgelesen: Stephen King „Wolfsmond“ (Der Dunkle Turm #5) 04.12. * Serien-Besprechung: […]

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