Serien-Besprechung: „Archive 81“ Season 1

2021 habe ich der Serie schon entgegen gefiebert und darauf gewartet, Anfang des Jahres war es nun endlich soweit und „Archive 81“ erschien auf Netflix. Die Serie adaptiert den gleichnamigen Podcast von Daniel Powell and Marc Sollinger, den ich als einen Mix aus Bodyhorror und Fantasy beschreiben würde und vor Jahren gehört habe. Und seitdem immer wieder. Recht schnell wurde aber klar, dass auch hier die Serie zu einem großen Teil ihr eigenes Ding macht wie man schon in früheren Netflix-Produktionen beobachten konnte – looking at you Cowboy Netflix Bebop. Ist sie trotzdem gut, anders gut oder … ? Die Besprechung ist spoilerfrei.

A whole new world

Dan Turner (Mamoudou Athie) ist ein Spezialist in der Restauration von Videomaterial und auch privat Jäger seltener VHS-Tapes – oder anderer Formate. Eines Tages kommt Virgil Davenport (Martin Donovan), Vorsitzender eines großen Unternehmens, mit einem lukrativen Angebot auf ihn zu. Davenport möchte, dass Dan in einer abgelegenen Forschungseinrichtung Videokassetten restauriert und digitalisiert, die einen verheerenden Brand überstanden haben. Der Fall ist morbide, denn bei dem Unglück kamen alle Bewohner*innen des „Visser“ genannten Appartmentkomplexes um. Dan willigt ein. Tatsächlich ist die Einrichtung nicht nur entlegen, sondern quasi im Nirgendwo und er hat selten Mobilfunkempfang. Als die Botschaften auf den zu restaurierenden Tapes zunehmend verstörender werden, geht Dan langsam auf, dass er sich auf etwas sehr spezielles eingelassen hat. Vielleicht auch etwas gefährliches? Schon im ersten Video hört er den unmissverständlichen Hilferuf einer Frau namens Melody Pendras (Dina Shihabi).

Dan erfährt aus den Videos, dass Melody in das Visser Building zog, um augenscheinlich eine Reportage aufzunehmen. Tatsächlich hofft sie aber durch die Bewohner*innen des Visser ihre leibliche Mutter zu finden. Was Melody stattdessen findet ist eine verschwiegene Gemeinde, die kultische Tendenzen hat. Immer wieder hört sie seltsame Gesänge und stößt auf den Stoff, den man aus Horrorfilmen kennt. Etagen, die sie nicht betreten darf, Geheimnisse und obsessives Verhalten. Desto länger Dan das ganze auf Tape beobachtet, umso mehr fühlt er sich als ob er in Melodys Schuhen stecken würde und er befürchtet der einzige zu sein, der je ihren Hilferuf gehört hat. Nach und nach entdeckt er außerdem Verbindungen zwischen sich, Melody und dem Visser und beginnt Dinge zu sehen, die eigentlich nicht da sein dürften.


„Archive 81 | Official Trailer | Netflix“, via Netflix (Youtube)

Tech Horror revisited

Wer den Podcast kennt, geht zwangsläufig mit der Erwartungshaltung daran die Grundelemente dessen wiederzufinden. Mit Betonung auf Grundelemente. Adaption heißt nicht, dass etwas 1:1 aufgelegt werden kann. Schon alleine beim Wechsel des Mediums ist das zuweilen sogar unmöglich – besonders hier. Im Podcast ist Dan ein Historiker, der MCs (Musikkassetten) restauriert und sich dabei aus rechtlichen Gründen die ganze Zeit über selber aufnehmen muss. Das Format des Podcasts geht sehr spannend mit all den Musikkassetten und Audio-Aufnahmen um. Verzerrte Sequenzen, Noise bzw Rauschen, schaurige Geräuschkulissen … das ist „Tech Horror“. Besonders als der Podcast in „Body Horror“ abgleitet werden die Geräusche „fleischig“, gutturral, grauenerregend. Bestandteil der Welten, denen sich Archive 81 als Podcast widmet ist auch eine mysteriöse Melodie, die wechselnde Protagonist*innen über mehrere Seasons hin begleitet. Das ist eine Menge Material. Die Aufgabe eines visuellen Mediums ist nun das zu adaptieren und das bestenfalls ähnlich wirkungsvoll.

Das gelingt auch zu einem gewissen Teil. Netflix‘ Archive 81 kann selber mit einer spannenden Geräuschkulisse und eigenen Kompositionen aufwarten, die die wiederkehrende mysteriöse Melodie beinhaltet. Melody hört sie im Visser, Dan auf den Tapes. Aus den Musikkassetten im Podcast wurden hier Videotapes, die Melody mit einer Kamera aufnimmt. Als Dan beginnt sie anzuschauen, sieht er bald im Rauschen am Bildschirm ein merkwürdiges, nicht-menschliches Gesicht. Ähnlich wie im Podcast rufen die Tapes ein Wesen herbei, dass lieber weggeschlossen geblieben wäre. Leider ist sich aber die Serie dessen nicht bewusst und veranstaltet ganz seltsame Versuche das Geschehen zu erklären, ignoriert die grundlegende Story des Podcasts und schießt sich damit selber ins Knie.

Das passiert, wenn Showrunner den Podcast nicht bis einschließlich Season 2 hören …

… oder es ihnen egal ist, was für Twists und Turns es dort gibt. Falls euch die Unterschiede zum Podcast nicht interessieren, könnt ihr im Grunde zum Absatz „Verschenkt“ springen.

Wir haben schon verstanden, dass eine Adaption nicht 1:1 ihre Vorlage adaptieren kann oder muss. Aber es ist doch bitter wieviele spannende Gedanken aus dem Podcast Archive 81 nicht aufgearbeitet oder anders interpretiert wurden. Statt des Gedankens, dass die Tapes einem Monster ein Tor in unsere Welt öffnen, versteift sich die Serie auf den Gedanken, dass ein Kult das Monster durch ein Ritual herbeiruft. Wie nah Dan so ganz ohne Ritual und Kult dem Monster kommt, ignoriert die Serie. Außer natürlich, dass Dan mal kurz ausflippen darf. Passiert halt nicht alle Tage, ne?

Viele andere kleinere Entscheidungen verwässern die Geschichten und wären nicht notwedig gewesen. Die Serie overexplained und macht Verbindungen wo keine notwendig gewesen wären. Dan und Melody stehen zueinander durch Dans Vater in Verbindung, um nur ein Beispiel zu nennen. Wozu? Reicht Melodys Hilferuf nicht, um Dan an ihrem Schicksal Interesse zeigen zu lassen? Das wohl schlimmse ist aber, dass die Serie einige prominente Science-Fiction-Elemente einführt und nicht ausbaut. Ein metaphysischer Aspekt der Serie ist, dass Dan offenbar auf Melodys Träume Einfluss nehmen kann. Das hat coole Seiteneffekte, weil sich Zuschauende zwangsläufig fragen: bildet er sich das nur ein? Ist das wirklich passiert? Wie sollen wir das nennen? Zeitreise? Astralprojektion? Zwar fragt sich Dan bald, ob er Melody dadurch retten kann, aber die Idee versiegt im Nirvana aus Dialog und wird nie wieder aufgegriffen. Stattdessen investiert die Serie sehr viel Zeit in die Frage was genau der Kult versucht und wie deren Ritual funktioniert. Episode über Episode versucht etwas zusammenzupuzzeln, was Zuschauende schon längst erahnen und produziert unnötigerweise dabei plot hole um plot hole.

Hätten die Showrunner den Podcast einschließlich der zweiten Staffel gehört, wären ihnen spannende Konzepte aufgegangen. Ab dann ist Archive 81 (Podcast) richtig krasser scheiß, man verzeihe mir die Wortwahl. Bodyhorror kommt zum tragen, die Soundkulisse wird enigmatisch, sci-fi, in der Mischung bisher ungehört! Was den Charakteren passiert wird außerweltlich und ziemlich wild. Mit dem Staffelfinale wie wir es hier zu sehen bekommen scheint alles das nicht möglich. Es ist ein Jammer was uns entgeht. Auch manche Entscheidungen über die Charaktere lassen mich eher stirnrunzeln. Im Podcast ist Melody lesbisch und mit einer Frau liiert. Warum wurde die Figur „straightened“? Darf man das? Bitte so alarmiere doch jemand die LGBTQ+Polizei. Zumal es auch keine Funktion hat. Dass Melodys Wege sich einige Male mit dem schwer zu durchschauenden Samuel (Evan Jonigkeit) kreuzen, einem weiteren Bewohner des Visser, wäre auch ohne romantische Verwicklungen möglich gewesen.

Dinge, die die Serie übrigens besser tut: sie bindet Dans Freund Mark (Matt McGorry) glaubwürdiger und „hilfreicher“ in die Story ein. Dass Mark selber einen bekannten Mystery-Podcast produziert ist ein schönes Kopfnicken in Richtung der ursprünglichen Podcaster Daniel Powell and Marc Sollinger, die Archive 81 geschaffen haben.

Verschenkt

Wenn ich von dem Podcast Abstand nehme, drei Schritte zurück gehe und Netflix‘ Archive 81 objektiver betrachte, ist es eine Serie, die durchaus in die Fußstapfen von The OA tritt. Beinahe jedenfalls. Es gibt Verstrickungen zwischen Charakteren über mehrere Zeitebenen hinweg. Anfangs komplex erscheinende Zusammenhänge müssen wir uns über viele Episoden hinweg zusammenpuzzeln. Es gibt eine Melodie, die wir nach der Serie schwer aus unserem Kopf kriegen und die eine zentrale Rolle spielt wie auch diverse Rituale. Das Production Design ist tatsächlich sehr gut. Die Schauplätze sind toll, wobei das Visser selten ganz gezeigt wird, obwohl es ein Haupt-Schauplatz ist. Die Kameraarbeit und das Production Design kreieren Szenen und Stimmung, die unterschwellig gruselig sind. Selten gore-ig, sondern leicht schaurig. Es gibt gerade mal zwei sehr kurze eher blutige Momente. Ansonsten bedient sich Archive 81 eines Genremixes irgendwo zwischen Mystery, Drama, Low-Key Sci-Fi und Fantasy.

Im Gegensatz zu The OA gibt es aber wenig emotionalen Kit, der uns an die Charaktere bindet. Letzten Endes sind die Zusammenhänge auch bei Weitem nicht so komplex wie man anfangs denkt und bedient sich vieler ausgelatschter Motive. Statt den Fokus mehr auf den Tech Horror und die tapes zu legen, brauchen wir sehr lange um die Geschichte des Kultes zu ergründen. Was bleibt sind unheimlich viele plot holes. Warum hatte der „Big Bad“ am Ende soviele Decknamen? Warum hat Davenport so irrsinnig viele Tapes gesammelt, wenn ihm das Schicksal seines Bruders egal war, der wie wir später erfahren im Visser lebte? Warum ignorieren alle, dass man offenbar mit den Tapes alleine dasselbe tun kann, was die Okkultisten Jahrzehntelang mit ihren Ritualen versucht haben? Erzählerisch geht vor Allem gegen Ende der Serie nichts mehr auf. Und das ist bei der Vorlage, die die Showrunner hatten eine ziemlich bittere Pille. (5/10)

Sternchen-5

Header Images uses a photo by Jr Korpa on Unsplash

Obwohl ich oben „Season 1“ geschrieben habe, glaube ich eher nicht an eine Verlängerung der Serie. Es gibt zwar viele viele Menschen, die beispielsweise auf Twitter unter entsprechenden Hashtags schreiben, sie finden die Serie spannend, knifflig, super gruselig; aber ich kann das nicht nachvollziehen. Sorry … . Wie hat euch „Archive 81“ gefallen? Kennt ihr den Podcast?

3 Antworten

  1. Uns hat die Serie ganz gefallen, das Ende nicht ganz so. Wir kannten aber den Podcast vorher nicht und das straight washing finde ich in der Tat auch dämlich. War völlig unnötig. Habe aber jetzt Lust auf den Podcast bekommen, den werde ich mir mal anhören. Ganz liebe Grüße, Sabine 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das freut mich – lass mich wissen wie du den Podcast findest, ich mag den sehr. 🙂 Auch da muss man sicherlich über das eine oder andere hinwegsehen, aber ich denke der ist lohnenswerter als die Serie.
      Und ja das Straightwashing ist das letzte. Man fragt sich, ob die Showrunner die letzten paar Jahrzehnte unter einem Stein gelebt haben. Müsste doch inzwischen klar sein, dass die Darstellung von allen Formen von Beziehungen, Geschlechtsidentitäten, etc wünschenswert und zeitgemäß ist und sowas wie straightwashing nicht mehr nur eine „bad practice“, sondern unfair und verklärend.

  2. […] Enttäuschung Lange habe ich mich auf Archive 81 gefreut, aber die Serie streicht erstens die LGBTQ+-Charaktere und zweitens hat sie nicht […]

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