Ist die letzte Ausgabe von „angelesen“ wirklich schon so lange her!? Da war ich wohl mit etwas anderem beschäftigt. Dann erst recht! 🙂 Und das zu einem besonderen Datum. Denn heute ist Gratis Comic Tag! Nach einer pandemiebedingten Pause ist der Aktionstag wieder da und ihr könnt jetzt und heute den (Comic)Buchandel eures Vertrauens stürmen und sofern dieser mitmacht, Leseproben abstauben und ggf an Veranstaltungen teilnehmen. Hier findet ihr eine Liste teilnehmender Geschäfte. Ich finde, dass das eine super Gegelegenheit ist Comics zu entdecken. Apropos Comics entdecken … hier nun zu einer Auswahl meiner zuletzt gelesenen Comics und Manga. Alles erste Bände, keine Spoilergefahr 😉
„Family Tree 1: Setzling“ Szenario: Jeff Lemire; Zeichnungen: Phil Hester, Eric Gapstur, Ryan Cody (Splitter)
Anfangs sieht es aus als hätte Lorettas Tochter nur ein kleines Zipperlein, der Arm juckt irgendwie, vielleicht eine Hautkrankheit? Bald schon sieht ihre Haut an der Stelle seltsam vernarbt und in sich verschlungen aus. Bald wie Baumrinde. Ihre Tochter verwandelt sich langsam aber sicher in einen Baum und teilt damit (nur dass sie es noch nicht wissen) das Schicksal ihres Vaters. In Family Tree finden sich Loretta und ihre Kinder auf der Flucht vor Menschen, die offenbar früher als sie wissen, was mit ihrer Tochter los ist. Ich las Jeff Lemire und witterte anhand der Beschreibung Body-Horror und war sofort dabei. Jeff Lemire geht immer. Nicht zuletzt wegen des grandiosen Gideon Falls. Aber Jeff Lemire arbeitet auch mit unterschiedlichen Zeichner:innen zusammen.
Dass Family Tree nicht so wirklich bei mir zündete lag einerseits an der verhältnismäßig überschaubaren und zumindest in diesem Band noch vorhersehbaren Handlung, die hauptsächlich aus der Flucht von Loretta und ihren Kindern besteht. Am ehesten noch hat mich die Handlung um den Schwiegervater gecatcht, der mit Loretta Kontakt aufnimmt und offenbar aus erster Hand weiß, was es mit der plötzlichen Verwandlung auf sich hat. Da ist halt auch die seit Kafka prominent in den Raum gestellte Frage: wenn die dir nahestehende Person nicht mehr so spricht, sich nicht mehr so verhält und keinen „Zweck“ erfüllt, ist das dann das Ende der Verbundenheit? Versus der drohende Verlust des geliebten Menschen. Was das betrifft, hat Family Tree Potential, das der erste Band noch nicht ganz ausschöpft, aber schon an der Oberfläche kratzt. Ansonsten finde ich eben das Auftreten der Gesichtslosen Verfolger der Familie nicht so spannend. Folgende Bände (die Serie ist wohl abgeschlossen in 3 soweit ich das sehe), würde hier vielleicht mehr Antworten geben. Dass ich es bis dahin aber gar nicht erst schaffe, ist eher eine reine Geschmacksfrage. Die Zeichnungen sind nicht meins. Zwar gelingt ein schon an comic noir erinnerndes Spiel mit Licht, Schatten und Auslassung, aber das kantige und rudimentär wirkende Character Design ist nicht meins. Und selbst der Prügel-Opa kann mich über die bis hierhin dünne Story nicht hinwegtrösten.
„Folge den Wolken nach Nord-Nordwest“ Bd. 1, Aki Irie (Carlsen Manga)
Kei Miyama lebt in Island und arbeitet als Privatdetektiv. Dabei ist ihm seine Fähigkeit von großer Hilfe. Er kann Gegenstände berühren und infolge dessen erspüren, wann sie beispielsweise das letzte Mal benutzt wurden. Manche scheinen regelrecht mit ihm zu reden wie sein Jeep, mit dem er über raue, isländische Landschaften unterwegs ist. Die Begabung liegt offenbar in der Familie. Auch sein Großvater, der ebenfalls auf Island lebt, hat ähnliche Fähigkeiten. Im ersten Band sind Keis Fälle noch nicht besonders aufregend und eher aus der Kategorie „Fundbüro“. Sie handeln mehr von Beziehungen und davon Verschwundenes aufzuspüren. Trotzdem ist es faszinierend Kei bei dem Ausprobieren seiner Fähigkeiten zuzuschauen. Dankbarerweise bekommen die Gegenstände aber keine „Stimmen“, die wir lesen, sondern die sind quasi Offscreen. Wir bekommen nur Keis Kommentare mit. Gute Entscheidung, denn das könnte unfreiwillig komisch wirken. Faszinierend ist außerdem das gezeichnete rau-wilde Island zu sehen. Reisemanga sind meiner Meinung nach noch zu selten. 🙂 Gegen Ende des Bandes wird es dann persönlicher als Kei und Opa nach Japan reisen um Keis verschwundenen Bruder zu suchen.
Dass ich den Manga Folge den Wolken nach Nord-Nordwest gefunden habe, ist tatsächlich mal Algorithmen zu verdanken. Als ich bei einem Online-Buchhandel gerade eine Bestellung aufgeben wollte, erschien der Manga unter einem klassischen „Wenn Sie … mögen, könnte ihnen das gefallen“. Und es stimmt! Dabei weiß ich gar nicht wirklich in welche Schubladen ich den Manga einsortieren sollte. Ich vermute er gilt als Seinen und Fantasy. Ersteres weil Kei eine unbekannte Schöne mit seltsamen Fähigkeiten trifft und es Andeutungen gibt, dass sie eine Elfe oder ein anderes Wesen isländischer Folklore sein könnte. Es gibt einige Szenen, in denen Kei sie zufällig überrascht als sie gerade nackt ist – typischer Fanservice. Ich mag die Begrifflichkeiten zum Einordnen der Zielgruppe der Mangaszene wie Seinen nicht besonders, weil immer Leser:innen ausgeklammert werden. Ich mag Shounen oftmals lieber als Shoujo-Manga und denke das geht vielen ähnlich. Nun ja. Eher sehe ich den Manga als genre- und zielgruppenübergreifend und Carlsen scheint das ähnlich zu sehen. Die einzige Angabe, die ich auf dem Manga finden konnte, die auf eine „Kategorie“ hindeuten lässt, ist Special. Und da stimme ich zu! Denn der Manga fühlt sich bei Weitem nicht nur nach Fantasy/Seinen an.
Ich mag den traditionellen Zeichenstil Aki Iries unheimlich gern. Sie zeichnet sehr coole, dynamische Figuren und Szenen. Besonders gefällt es mir, wenn man die Charaktere vor den weiten Landschaften oder Innenräumen sieht. Inhaltlich gibt es ein paar Merkmale, die mir wenig geben. Kei ist 17 Jahre alt und Privatdetektiv. Niemand den ich kenne oder kannte war mit 17 bereit Privatdetektiv zu sein. Aber wozu immer die Realismus-Keule rausholen 😉 Allerdings hätte ich auch spannendere Fälle und eher einen Krimi-Aspekt erwartet. Dass letzterer fehlt ist nicht dramatisch, aber die Fälle dürfen gern interessanter werden. Stattdessen fühlt sich Folge den Wolken nach Nord-Nordwest sehr slice-of-life-ig und ruhig an, was eben auch eine angenehme Überraschung ist. Im Interview von Manga Passion mit der Mangaka (März 2021) kann man nachlesen, dass der verstorbene Jirō Taniguchi eins ihrer Vorbilder ist. Und das spürt man inhaltlich wie auch an der Art wie Irie Landschaften in Szene setzt und die Handlung für sich sprechen lässt, statt zuviel zu erklären. Gegen Ende des ersten Bandes wird es dann aber doch noch etwas brenzlig für Kei. Selbst wenn das nicht so gewesen wäre, hätte ich mich dazu entschieden weiterzulesen, da ich das Gesamtpaket sehr mag.
„Time Paradox Ghostwriter“ Bd. 1, Tsunehiro Date, Kenji Ichima (Carlsen Manga)
Manga zeichnen und Zeitreise-Paradox, da konnte ich nicht widerstehen. 🙂 Time Paradox Ghostwriter handelt vom glücklosen Mangaka Teppei Sasaki, der schon seit Jahren versucht sich seinen Traum von der eigenen Mangareihe im Weekly Shonen Jump zu erfüllen. Leider wird ein Manga nach dem anderen abgelehnt. Eines nachts aber schlägt ein Blitz in Sasakis Wohnhaus ein und grillt seine Mikrowelle und alles drumherum. Der zusammengeschmolzene Klumpen fabriziert aber noch etwas. In der Mikrowelle taucht nach einem „Pling“ plötzlich eine Ausgabe der Weekly Shonen Jump auf. 10 Jahre aus der Zukunft! Damit lässt sich sicherlich etwas anfangen, um eine Reihe im Jump-Magazin zu platzieren … .
Sasaki plagiiert also eine der Mangareihen darin, die er für sehr cool hält. Und das erfolgreich. Kurze Zeit später ist „seine Reihe“ im Magazin. Das bleibt allerdings nicht ohne Konsequenzen als sich diejenige, die sich in der Gegenwart diesen Manga gerade ausdenkt, darin ihre Ideen erkennt. Ab hier wird es dann schon ganz spannend und wirft viele Fragen auf. Sasaki ist jetzt auch nicht so ein Geschichten klauender Drecksack wie man denken könnte gemessen an seinen immensen Gewissensbissen und einigen, naja, eher lustigen Randdetails. Er dachte die Idee für den Manga kam im Traum zu ihm statt aus der Mikrowelle. ^^ LOL. Trotzdem funktioniert vieles an dem Manga nicht besonders gut für mich.
Die Geschichte klingt schon jetzt wie ein Mittelding zwischen Bakuman und Steins;Gate und ist es auch. Nur leider fehlt eben alles das, was an Bakuman und Steins;Gate so cool ist, während Time Paradox Ghostwriter nichts „eigenes“ findet, das es ähnlich cool machen würde. Auch fehlt offenbar Zeit um die Geschichte zu entwickeln. Durch das Tempo der Handlung bleibt keine Zeit Sasaki dabei zuzusehen wie er seine Mangaideen konzipiert oder generell wie er arbeitet. Deswegen kann man nie wirklich mit ihm mitfiebern oder das ständige Ablehnen seiner Ideen betrauern. Anders als in Bakuman. Die Auswirkungen des Zeitparadox werden wiederum sehr schnell abgefrühstückt und erklärt. Ihm bleibt keine Zeit die Mikrowelle mal ein bisschen zu inspizieren oder etwas auszuprobieren. Also: kein Steins;Gate Effekt und nichts, was unser Hirn sehr fordert. Dass der Manga bis zu einem passablen Cliffhanger am Ende des ersten Bandes soviel vorbereiten muss, ist auch nicht allzu geschickt, aber leicht nachzuvollziehen. Ich hätte die Reihe nicht weitergelesen, wenn ich nicht eben erfahren hätte, dass sie wohl in zwei Bänden abgeschlossen ist. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass sie gut funktioniert, wenn man weder Bakuman, noch Steins;Gate kennt und die Idee ist eigentlich ziemlich witzig.
In „angelesen“ sammle ich die Eindrücke von Buchreihen, die ich lese. D.h. insbesondere von Manga und Comics, die ich noch nicht abgeschlossen habe und deswegen nur als Teil eines Ganzen betrachten kann. Wer andere Literatur sucht und die Meinung zu abgeschlossenen Reihen, findet die in ausgelesen, einer weiteren Rubrik hier im Blog. 🙂
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