„Clarice Starling – Das Erwachen der Lämmer“ lässt keinen Zweifel daran aufkommen, was es nicht sein will. Nämlich eine weitere Serie, die 1:1 auf der Formel der Hannibal Lecter Reihe mitschwimmt. Somit bedient sich die Serie bewusst nicht des Psychiaters mit geheimer Agenda. D.h. es gibt ihn schon, diesen intriganten Psychiater. Aber dazu später mehr. Hat man nicht aber bestimmte Erwartungen an eine Serie, die so eng mit der Geschichte Lecters verzahnt ist? Die Besprechung ist spoilerfrei.
Die Handlung setzt ein als Clarice Starling (Rebecca Breeds) immer noch Trainee beim FBI ist, aber sowohl vor der Öffentlichkeit als auch innerhalb des FBI ungewollt einen fragwürdigen Ruf inne hat. Einerseits durch die Sensationslust der Presse, die den Fall Buffalo Bill und Clarice nach außen hin besonders aufbauscht, andererseits fällt sie in Ungnade durch ihre Verbindung zu Hannibal Lecter. Als ob das nicht schon genug Druck wäre, wird sie in die Therapie bei einem Psychiater gedrängt, der entgegen des Arzt-Patienten-Verhältnisses Bericht über sie erstattet und sie fast den Job kostet. Nicht, dass die Therapie unangebracht wäre. Clarices traumatisches Erlebnis mit Buffalo Bill macht sie auch auf die eine oder andere Weise zu einem seiner Opfer, könnte man argumentieren. Eine Sichtweise, die Clarice strikt ablehnt. Genauso wie den Kontakt zu Catherine Martin (Marnee Carpenter). Sie ist Bills zuletzt gekidnapptes Opfer und wurde durch Clarices Einsatz gerettet, trägt aber ein schweres Trauma davon. Als ihre Mutter Ruth Martin (Jayne Atkinson) in ihrer Funktion als Kabinettsmitglied Clarice in einer ihrer Taskforces einsetzt, bahnt sich ein weiterer Interessenkonflikt an. Garniert mit der Abschätzigkeit ihrer Kollegen rund um Paul Krendler (Michael Cudlitz), die argwöhnen, dass sie nur als Marketing-Stunt zu ihnen versetzt wurde. Dabei gilt es einen Fall zu untersuchen, der schaurig ist. Eine weitere Reihe von Femiziden.
„Clarice (CBS) Trailer HD – Silence of the Lambs spinoff“, via TV Promos (Youtube)
Kennst du ein Spin-Off, kennst du alle?
Also auch wenn der intrigante Psychiater (Shawn Doyle) verschwindet und durch eine vertrauensvolle Psychiaterin (Grace Lynn Kung) ersetzt wird, hätte es schon etwas mehr der Formel von Thomas Harris Lecter-Romanreihe sein können. Klar, eine Kopie wollen wir nicht. Aber eine Erwartungshaltung gibt es auch. Dass übrigens der anfängliche Psychiater wenig vertrauenswürdig daherkommt, sind schon nette Hinweise auf Lecter, der ansonsten aufgrund der Urheberrechtslage nicht mal beim Namen genannt werden darf. Was ist denn die Formel der Lecter-Reihe? Naja, ohne sensationslüstern klingen zu wollen: dass die Fälle alles andere als zahm sind, vielleicht sogar morbide und eine gewisse Cleverness im Erkennen psychologischer und kriminalistischer Muster erfordern. Die Frauenmorde offenbaren sich ebenso wie Clarices Einsätze und Fälle in der ersten Hälfte der Staffel aber als nicht besonders mysteriös. Bei einigen wittern krimibewanderte Zuschauer:innen die Auflösung zehn Meilen gegen den Wind. Zusammen mit der Gemächlichkeit, mit der Clarice ihre eigenen Traumata umgeht oder sich ihnen vielleicht doch stellt, ahnt man zwar wo die Serie hin will, hat aber eventuell nicht die Ausdauer das Ergebnis all dessen abzuwarten. Natürlich fußen viele von Clarices Triggern in ihrer Kindheit und die Lämmer-Metapher wird nochmal hervorgeholt. Wer die Ausdauer hat, wird im letzten Drittel der 13 Episoden langen Staffel überrascht als der episodenübergreifende Falle um die Femizide ein wahrhaft grausiges Ausmaß annimmt, dass tiefe, abartige Mysogynie erkennen lässt. Aber wie viele Zuschauende kommen bis dahin ohne vorher abzuschalten?
„I’ve truly seen you.“
Vom Standpunkt der Repräsentation bemüht sich die Serie jedenfalls und ist lohnenswert. Nur wer hatte damit gerechnet!? Klar, sie verschiebt den Fokus auf eine der (wenigen!) Frauen der Romanreihe und versucht Clarice aus der Opferrolle zu heben. Das ist schon mal eine Leistung, die man auch mit zunehmender Lauflänge anerkennen kann. Neben Clarice tritt besonders ihre Freundin Ardelia (Devyn A. Tyler) in Erscheinung, die auch beim FBI arbeitet, aber offenbar diskriminiert wird. Erkennbar daran, dass sie in einem Archivjob im Keller versauert ähnlich wie andere schwarze Agents. Sie verbünden sich zu einer Black Coalition, die dagegen vorgehen will. Auch mit Clarices Kollegen aus der Taskforce, Tomas Esquivel (Lucca De Oliveira) und Shaan Tripathi (Kal Penn), ist für Repräsentation gesorgt wie auch dem allgemeinen Fokus der in einzelnen Episoden auftretenden Charaktere. Dort geht es nicht selten um Mentale Gesundheit, Traumabewältigung, Diverse Abilities und Neuro-Diversität. Das mindeste: sie werden erwähnt. Man gibt sich Mühe. Aber man greift auch mal daneben. Bei all dem Fokus auf Frauen und Frauenschicksale, wundere ich mich doch über die Storyline von Krendlers Frau, in der ein übergriffiges Verhalten erwähnt wird, das aber weder als problematisch erklärt wird, noch irgendeine Folge hat, außer die, dass sie der Frau schadet. Ist Diversitätsbestreben hier am Ende gescheitert, habe ich es falsch ausgelegt oder bildet es die bittere Realität ab?
Von Scheitern würde ich nicht sprechen. Dafür ist sich die Serie der Diversität zu bewusst. Denn auch was das betrifft, zieht sie im letzten Drittel endlich an. Der Chauvinismus, der Clarice innerhalb des FBI entgegen schlägt, wird auf widerliche Weise verdeutlicht („Starling kann das schon ab“-Szene). Aber auch die Diskriminierung, die beispielsweise ihren Kollegen Tomas Esquivel trifft. Einen starken Auftritt hatte ebenso eine der Whistleblower:innen Julia Lawson (Jen Richards), eine Transgender-Person. Schade nur, dass die Rolle nicht auch mit transgender Darsteller:innen besetzt wurde. Mit ihrer Figur wird das Nachbeben von Schweigen der Lämmer endlich in das 21. Jahrhundert versetzt. Denn auch wenn ich die Reihe liebe, liest sie sich eben inzwischen anders. Die Stigmatisierung von Transgender durch Buffalo Bill ist im Nachhinein gesehen deutlich zu unreflektiert. Jedenfalls für unsere heutige Zeit. Auch wenn Clarice Starling – Das Erwachen der Lämmer in punkto Diversity und Repräsentation noch nicht alles richtig macht, ist es ein wünschenswerter Schritt in die richtige Richtung. Ohne das hätte eine Serie über Clarice auch absolut keinen Sinn gemacht.
Lohnenswert, aber noch zu zahm
Jetzt haben wir viel über Diversity geredet. Gerät der Crime-Aspekt daneben in Vergessenheit? Nein, definitiv nicht. Beides wird sehr natürlich ineinander verwoben. Nur leider dümpelt die Serie eben zu gemächlich vor sich hin. War es die Aussicht auf Absetzung, die zuließ, dass sie im letzten Drittel an Fahrt aufnimmt? Oder hat man auch hier versucht die Serie Hannibal mit Mads Mikkelsen zu kopieren? Denn zugegebenermaßen wurde die auch eher gegen Ende ihrer Staffeln spannend. „Clarice“ kopiert eindeutig den visuellen Stil Hannibals, aber mit weniger Einfallsreichtum. Es gibt die Filter, einige Slow-Mos von Tatorten, Metaphernreichtum (Motten, „Totems“ wie Clarices Kette, der Brunnen von Bill, etc) und die allgemeine Ästhetik der Serie; aber zu wenig eigenes. Das Erwachen der Lämmer ist noch zu zaghaft darin seine Symbolik einzusetzen wie es Bryan Fuller und sein Team in Hannibal tat oder die schonungslose Brutalität in ebenso schonungslose Bilder zu übersetzen. Das was wir erwarten von einer Serie, die so eng verbunden ist mit dem Hannibal Lecter Kosmos ist, dass sie nicht zahm ist. Und die Serie hier hat deutlich zu lang die Handbremse angezogen.
Clarice Starling – Das Erwachen der Lämmer lief im Frühjahr im deutschen Free-TV, wo ich sie wahrgenommen habe. Es wurde offenbar versucht eine zweite Staffel bei Paramount+ zu platzieren. Seitdem wart nie wieder davon gehört, weshalb die Chancen für eine Fortsetzung wohl schlecht stehen (Quelle: deadline.com, Juni 2021). Trotzdem sage ich rückblickend: wer die Ausdauer hat und Lust auf ein Crime Procedural, go for it. Clarice ist eine gute Serie, aber man muss sie wirklich nicht als Ableger von Das Schweigen der Lämmer schauen, da sie hier eindeutig zu wenig zu bieten hat. Durch die Rechtslage rund um die Figuren, Film- und Serienableger ist sowieso keine brauchbare Referenz zu Hannibal Lecter und den anderen Figuren des Kosmos möglich. Storylines wie die um Catherine Martin und die Bewältigung ihres Traumas kann man sicherlich auch so nachvollziehen. Endet die Serie nach der ersten Staffel, wonach es gerade aussieht, tut das auch keinen Abbruch. Das Staffelfinale funktioniert in beiden Fällen. (6/10)
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Brauch es für die Aussage „Sehr divers, aber wird leider erst im letzten Drittel spannend“ soviele Absätze? 🙂 Sorry not sorry. Als Fan der Hannibal Lecter Reihe und vieler Personen des Buch- und Serien-Kosmos schaue ich eben bei der Erwähnung von Clarice Starling sehr genau hin. Habt ihr die Serie auch gesehen? Und wie hat sie euch gefallen? Muss sie überhaupt mit „Hannibal“ oder dem „Schweigen“ mithalten können? Oder hat sie in euren Augen geschafft etwas eigenes zu sein?
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