So many feels. Obwohl ich auch irgendwann zwischen Staffeln zwei und drei mein „Stranger Things“-Tief empfand, hatte ich richtig Bock auf die vierte Staffel. Leider scheint es auch Gruppenzwang zu sein, dass man gerade bei den flächendeckend gehypten Serien mitziehen und die Serie sofort schauen muss. Und wenn nicht, dann ist man gut beraten die sozialen Netze für eine Weile zu meiden. Daher versuche ich mit positivem Beispiel voranzugehen und die vierte Staffel weitestgehend spoilerfrei zu besprechen. Habt ihr aber die dritte Staffel noch nicht gesehen, dann: betreten auf eigene Gefahr.
Running up that hill
Das Ende einer Ära und was kommt danach? Dustin (Gaten Matarazzo), Lucas (Caleb McLaughlin), Mike (Finn Wolfhard) und Max (Sadie Sink) besuchen inzwischen die Hawkins High School. Während Dustin und Mike weiter Tabletop RPGs im Hellfire Club rund um dessen charismatischen Metalhead-Anführer Eddie Munson (Joseph Quinn) spielen, ist Lucas dem Basketball-Team beigetreten und versucht in beiden Welten zu leben. Eins von den „popular kids“ zu sein und gleichzeitig seine Freunde nicht zu verraten, was zum Scheitern geboren ist. Wie sehr Max durch den Tod ihres Bruders und dem Zerfall ihrer Familie leidet, trägt sie mit sich selbst aus.
Eleven (Millie Bobby Brown), Joyce (Winona Ryder), Will (Noah Schnapp) und Jonathan (Charlie Heaton) leben inzwischen in Kalifornien und versuchen alle auf ihre Weise die Geschehnisse von vor acht Monaten zu verarbeiten. Eleven vermisst Hopper (David Harbour) und ohne ihre Kräfte ist es als ob ein Teil ihres Puzzles fehlt. Sie wird in der Schule schwer gemobbt und das neue Leben erscheint wie ein Paar Schuhe, das nicht passen will, ähnlich die Fernbeziehung zu Mike. Jonathan hat ähnliche Mühen seine Beziehung zu Nancy (Natalia Dyer) aufrecht zu erhalten und greift öfter mit seinem neuen Kumpel Arguyle (Eduardo Franco) zum Joint („my dude“) um seine Sorgen hinter sich zu lassen. Als aber Hawkins von einer grausigen Mordserie heimgesucht wird, sind sie sich einig, dass eine Hintertür in das Upside Down noch offen geblieben sein muss.
„Stranger Things 4 | Official Trailer | Netflix“, via Stranger Things (Youtube)
„Try before you deny“
Es ist schon recht sportlich wie viele Charaktere die Serie inzwischen umfasst und das Drehbuch unterbringen muss. Neben oben genannten sind da natürlich auch noch Steve (Joe Keery) und Robin (Maya Hawke), die inzwischen in einer Videothek arbeiten und gemeinsam ihr Liebesleben beweinen. Wie einige Teaser zur Serie im Vorfeld schon verraten haben, ist außerdem Hopper noch am Leben und versucht dem Gulag in Kamtschatka zu entkommen, in das er inhaftiert wurde. Hier tritt auch ein neues Gesicht auf den Plan: der aus Game of Thrones bekannte deutsche Darsteller Tom Wlaschiha in einer Nebenrolle. Und genau diese Masse an Einflüssen, Orten und individuellen Geschichten beeinflusst das Thema und die Handlung der Staffel maßgeblich. In Gruppen versuchen unsere Held:innen von mindestens drei verschiedenen Orten aus die Morde zu stoppen.
Mit Elevens Kräften nimmt die Staffel dabei auch das bisher wichtigste und stärkste Mittel gegen den Horror aus dem Upside Down aus der Gleichung, was alle schon zum zittern bringen sollte. Aber hat irgendwer wirklich gedacht, dass Eleven weiterhin ohne ihre Kräfte auskommen muss? Wo sollen sie aber wieder herkommen? Darauf verwendet die Staffel recht viel Zeit und lässt sie einen wahren Spießrutenlauf durchqueren, da sich zwangsläufig Fragen stellen wie „Wer bin ich ohne meine Kräfte? Ohne das, was mich ausmacht?“ Natürlich wissen wir, dass El(fi) nicht nur dadurch definiert wird, aber sie weiß es nicht. Der Weg zurück führt außerdem durch Els Vergangenheit im Hawkins Lab, das auch ganz nebenbei eine Menge Fragen über das Upside Down beantworten wird. Längst überfällig.
Insgesamt zeigt die vierte Staffel ihre Charaktere so verletzlich wie selten und demonstriert an ihnen allen den Evergreen unter den Serienmustern, in deren Zentrum eine Gruppe Freunde steht. Zusammen seid ihr stärker und: redet miteinander! Es ist der Serie ganz gut gelungen all diese Konflikte trotz derselben Ursache (nicht miteinander sprechen, sich anderen nicht öffnen) individuell genug zu gestalten. Damit ist auch der Ton düsterer geworden. Max ist ein anderes Beispiel für die vulnerablen Gruppen, für Menschen die unter einem Trauma leiden und gerade das scheint die Zielgruppe des „Big bad“ zu sein, der in annähernd humanoider Form auftritt und von Dustin & Co. „Vecna“ getauft wird. Wenn Vecna anklopft, sorgt das für einige der wirklich schaurigsten Momente der Staffel. Die Duffer Brothers erlauben sich hier einige Referenzen an ikonische Horrorfilm-Figuren wie Freddy Kruger und Pennywise und sammeln massig andere auf Filmklassiker der Zeit: Das Schweigen der Lämmer, E.T., unvm. „Freddy Kruger“-Darsteller Robert Englund hat sogar einen Gastauftritt. Was ihnen bei all dem aber ausgezeichnet gelingt: sie schaffen es Vecna trotz all der Anleihen zu etwas eigenem zu machen. Er ist wirklich ein Big Bad, dessen dröhnende Stimme mir Gänsehaut beschert hat und dessen alptraumhafte Visionen dem Begriff Horror Ehre machen.
Worüber die Serie aber nicht hinwegtäuschen kann: so viele Charaktere fordern einen Tribut. Die Spielzeit der Episoden ist im Durchschnitt über eine Stunde und im Finale sogar über zwei. Zudem wurde die vierte Staffel in zwei Kapiteln oder „Batches“ veröffentlicht. Während Episoden eins bis sieben im Mai auf Netflix online gingen, folgte das in zwei Episoden geteilte Finale erst am 1. Juli. Das baut Spannung auf, aber es nervt auch. Zudem resultieren die zerpflückten Handlungen in schlechtem Pacing, das insbesondere im Finale schmerzhaft bewusst wird. Eine unserer Gruppen wird dort im Upside Down in einer lebensgefährlichen Situation festgehalten. Nach über einer halben Stunde kehren wir zu ihnen zurück als ob in der Zwischenzeit nichts passiert wäre. Leider finden wir uns sehr häufig in solchen Momenten wieder. Obwohl alle Parallelhandlungen auf ihre Art wichtig sind, nehmen sie sich mitunter zu viel Zeit raus und haushalten damit schlecht. Andererseits: wo setzt man den Rotstift an? Das ist die eigentliche Mammutaufgabe.
„Most metal ever“
Es wird sicherlich vielen Zuschauenden unterschiedlich leicht fallen dieses Wechseln von der brenzligeren zur weniger brenzligen Situation zu verzeihen und dort geduldig auszuharren. Für mich war das noch okay. Woran ich mich mehr störe ist, dass man Stranger Things hier mit Leichtigkeit ablesen kann, dass Vecna über die Geschehnisse von Staffeln 1-3 drüber geschrieben wurde. Sicherlich auf clevere Weise, aber ich bin mir aus den ersten Staffeln keiner Hinweise bewusst, die auf Vecna hindeuten lassen, obwohl Vecna als Endgegner etabliert wird. Vielleicht muss ich auch einfach alles nochmal schauen und die Spuren suchen. ^^ Während ich mir hier etwas mehr Voraussicht gewünscht hätte, bin ich froh, dass sich Stranger Things in punkto Nostalgie treu geblieben ist. Zum Zeitgeist gehören Motive der 80er Jahre wie spekulative und transzendente Experimente an Menschen und Monstern, gute und böse Regierungsbeamt:innen, aber auch sehr irdische Rollschuh-Disko, Pizza-Lieferdienste, Dauerwellen, Videotheken-Ketten, Joints und zahlreiche Songs der 80er. Einer meiner Lieblingssongs von Kate Bush gelangte so erneut an die Spitze der Charts: Running up that hill (A Deal with God) und beweist vielleicht, dass Musik in der Tat Leben retten kann und Kate Bush Zauberkräfte hat. Als ob wir es nicht immer geahnt hätten.
Aber Stranger Things greift auch bewusst kritische Themen auf. Es gibt ein kleines Tribut an Hacking, an Vietnamkriegs-Veteranen und damit verbundenes Trauma. Der kalte Krieg wird adressiert und Teile der Handlungen spielen in der Sowjetunion. Spionage und ominöse Agenten der Regierung verfolgen eigene Ziele. Fantasy, Metal und D&D wird nicht verstanden und was man nicht versteht, schnell diskriminiert und verfolgt. Der Hellfire Club wird als okkult missverstanden. Dustin, Eddie und ihre Freunde als Teufelsanbieter gesucht. Manche Geschichten werden nie alt. Kaum aktueller könnte die Szene sein, in der sich alle für den Kampf gegen Vecna mit Waffen ausstatten und jemand schockiert fragt: einfach so Waffen kaufen, „is that even legal?“ und damit auf bittere Weise die Einstellung der USA gegenüber Waffen anprangern. Darunter sind Geschichten von Schuldgefühlen, Coming-Out, Trauma, Mobbing, Ausbrechen aus Mustern und Resilienz. Damit ist Stranger Things nochmal ein gutes Stück erwachsener geworden und trifft einige Male ganz empfindlich unsere emotionale Magengrube. Die Staffel tut weh. Leider eine Notwendigkeit, um das Ausmaß des Grauens zu steigern. Und der Schmerz, wenn sie vorbei ist und man erwartungsgemäß über ein Jahr warten muss, trägt nochmal dazu bei. (8/10)
Stranger Things 4 as an anime, art by me 🎨 #StrangerThings pic.twitter.com/c9bRveL26A
— Emimi (@hyvarinenemmi) June 14, 2022
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Trotz Allem muss ich gestehen, dass mein Staffel-Vier-Erlebnis besser gewesen wäre, wenn Hypes weniger viral wären und sich alle mit Spoilerei etwas mehr zurückhielten. Obwohl ich die gängigen Hashtags und den Titel der Serie auf bspw. Twitter gemutet habe, erreichten mich einige Spoiler durch Bilder und schmissige One-Liner im Tweet. Danke für nichts. Immer noch sehe ich auch den Run auf „DIE aktuelle Serie“ sehr kritisch und dass alle ach so relevant bleiben müssen. Aber ich befürchte, das wird wohl immer so sein. Sehr sehenswert, wenn Spoiler euch nichts mehr tun können: das Video How Stranger Things‘ SFX Artists Created Vecna | Vanity Fair. Wie hat euch die Staffel gefallen? Und was wünscht ihr euch für die fünfte und letzte?
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