„Sandman“ ist wohl eine der Serien, auf die ich mich dieses Jahr am meisten gefreut habe. Vielleicht auch weil meine Reise mit Neil Gaimans „Sandman“ etwas kurven- und umwegreich war. Nach einigen Teasern war es dann im August endlich soweit. Wird die Serie dem Comic und den Figuren gerecht? Ich bemühe mich um eine spoilerfreie Besprechung.
Das hatte sich der aristokratische Kult-Anhänger Sir Roderick Burgess (Charles Dance) wohl so nicht vorgestellt. Bei dem Versuch den Tod zu beschwören und einzufangen, ging ihm stattdessen der Herr der Träume ins Netz. Morpheus bzw „Dream“ (Tom Sturridge) ist unbestechlich und verhandelt nicht mit dem Okkultisten. Burgess will ihn aber zermürben und das Spiel aussitzen. Während Dream gefangen ist, kommt auch die Welt der Träume zum Stillstand. Mit verheerenden Folgen für die Menschheit wie der Schlafkrankheit, der tausende verfallen. Die Artefakte, die Dream Macht verleihen, hat Burgess ihm genommen und teilweise verhökert. In den falschen Hände sorgen sie für Leid, Neid und Blutvergießen. Albträume wie der Korinther (Boyd Holbrook) treiben ihr Unwesen selbst im Tageslicht. Ohne Träume herrscht Chaos. Als er dann freikommt, hat Dream eine Menge aufzuräumen. Dabei trifft er unter anderem auf die Exorzistin Joanna Constantine (Jenna Coleman), muss die Hölle durchqueren und sich Luzifer (Gwendoline Christie) höchstpersönlich stellen.
The Sandman | Official Trailer | Netflix, Youtube
Netflix‘ Sandman adaptiert die Handlungsbögen Preludes & Nocturnes und Doll House des Sandman-Comics. Der erste Teil der Serie zentriert sich also um Dreams wieder erstarken und das Beseitigen des hinterlassenen Chaos. Die einzelnen Anekdoten und Etappen geben wider wie wichtig Träume für die Menschen sind, genauso wieviel Chaos der Missbrauch von Träumen anrichtet. Auch werden nebenbei einige der anderen Endless vorgestellt. Bei ihnen handelt es sich um gottgleiche Entitäten, deren Fähigkeiten und Wirkungsbereiche maßgeblich das Leben der Menschen beeinflussen: Desire, Death, Dream, Despair etc. Sie sehen sich als Familie, aber nicht alle sind sich gleich wohl gesinnt. Während Deaths (Kirby Howell-Baptiste) Aufgabe in der Folge 1×06: The Sound Of Her Wings sehr empathisch inszeniert wird und sie Dream wohl von allen am ehesten nahe steht, scheinen Dream und Desire (Mason Alexander Park) die eine oder andere Rechnung miteinander offen zu haben. Die zweite Etappe der Serie wiederum öffnet ein anderes Kapitel. Darin sucht Rose Walker (Kyo Ra) ihren verschwundenen Bruder und plötzlich werden die Träume ihrer Freunde wahr. Wie so oft ist letzteres aber nicht nur „traumhaft“ im positiven Sinne.
Unter dem Strich: das Warten hat sich gelohnt. Sandman hat ein tolles Design und einen ich möchte sagen noch besseren Soundtrack (David Buckley). Für mich persönlich hätte die Serie insgesamt noch etwas düsterer und bissiger sein können. Gerade die Episode mit Joanna Constantine ist rührig an den falschen Stellen, konzentriert sich auch auf die falschen Aspekte. Während Tom Sturridge eine fabelhafte Sandman-Stimme hinlegt, könnte er manchmal noch etwas launenhafter sein. Ein bisschen emo, punk und glam gehört aber natürlich zu diesem Sandman, seinen Geschwistern und den Charakteren dazu. Macht die Serie wie den Comic wie das Hörspiel aus. Klar ist auch, dass sich eine Traumwelt nicht ohne viele, fantastische Motive erzählt. Fantasy vom Feinsten verknüpft hier viele Motive, die ausgelutscht sein könnten, aber legt sie neu aus. Das sieht man nicht nur an der Emo-Attitüde des Herrn der Träume. Zu einem der besten Momente gehört für mich beispielsweise der Kampf zwischen Luzifer und Dream in einer Disziplin, die sie so schön nennen: the oldest game. Und das geht ganz ohne Pech und Schwefel, ist aber nicht weniger tödlich.
Aber Neuschöpfungen und v.A. das Adaptieren eines von vielen heiß geliebten und gemessen am Alter schon fast klassischen Stoffes geht selten ohne Reibung (die erste Sandman-Story erschien 1989). Figuren wurden neu ausgelegt (aus John Constantine wurde Joanna) und das DC Universe wurde großzügig ausgespart. Denn richtig: die Sandman-Comics gehören zum DCU, spielen in derselben Welt wie Batman & Co.; die Netflix-Serie kann dies aus lizenzrechtlichen Gründen nicht, weshalb bspw. das Arkham Asylum hier keinen Gastauftritt hat. Dadurch gelingt es eben auch nur mäßig das gleiche Maß an Bedeutung auf die Figuren wie Joanna Constantine und John Dee zu transportieren. Viele, die diese Querverweise nicht verstehen, fragen sich nun, warum soviel Aufhebens um den Nebencharakter gemacht wird. Und die anderen, naja, vermissen vielleicht den John Constantine, den sie kennen.
Apropos Vermissen und Reibung… es gibt einige Änderungen, die dürfte den wenigsten etwas ausgemacht haben, so das Verlegen des Settings in unsere Gegenwart statt der 80er/90er Jahre. Aber es gibt auch Änderungen, die nicht alle gleichermaßen gut aufgefasst haben. So wurden die Figuren der Serie auch statistisch mehr an die Realität angepasst. Verglichen zu Comics wurden mehr Rollen mit weiblichen, nicht-binären und BiPOC-Schauspieler:innen besetzt. Namentlich mit Vivienne Acheampong als Lucienne, Kirby Howell-Baptiste als Death, Kyo Ra als Rose Walker oder auch Gwendoline Christie als Luzifer. Man kann diversen Quellen (Neil Gaiman Slays Sexist, Racist Trolls to Defend the Honor of ‘The Sandman’ Cast, 29. Juli 2022, The Mary Sue) entnehmen, dass das für Reibung bei Fans gesorgt hat, die offenbar andere Vorstellungen hatten. Beispielsweise die Idee, dass Luzifer stets nur mit einer sich als männlich identifizierenden Person besetzt sein kann oder so dargestellt werden sollte. Ich verstehe wie enttäuschend es sein kann, wenn etwas nicht mit den eigenen Wünschen für eine geliebte Serie o.Ä. übereinstimmt. Aber im Kern ist Sandman doch aber gerade durch die Diversität des Casts sogar ausgesprochen originalgetreu und im Sinne der Vorlage umgesetzt. Die Charaktere sind vielleicht sogar einer der besten Gründe die Serie zu schauen. Neben all den erwähnten auch David Thewlis als John Dee in einer Rolle, die in der Tat „düster genug“ ist.
Neil Gaiman Breaks Down Netflix’s ‚The Sandman‘ Official Trailer | Vanity Fair, Youtube
All das ist vielleicht auch dem Umstand zu verdanken, dass Gaiman als Produzent und Berater tätig war. Bis einschließlich Endcredits hat die Serie viel von dem Sandman aus den Comics. Und verzichtet natürlich auch nicht darauf zu zeigen wie mächtig Träume sind und wie sich Dream nach und nach erweicht und den Menschen öffnet. Nicht zuletzt durch seine „zeitleise Freundschaft“ – einer meiner Lieblingsepisoden. Wenn sie jetzt noch etwas an Düsternis zulegen würde … . Zuschauende der ersten Stunde wurden übrigens zwei Wochen nach der Veröffentlichung mit einer extra Episode belohnt, die nochmal zeigt, dass nicht nur Menschen träumen und dass aus Träumen auch grauenerregendes entstehen kann. (8/10)
Header image uses a photo by Marek Studzinski on Unsplash
Beim Hören des deutschen Trailers wäre ich übrigens fast vom Stuhl gefallen. Die Synchro klingt ja regelrecht fröhlich und out of character verglichen zu dem wie ich „Sandman“ erlebt habe (und auch erwarte). Welche Version habt ihr euch zu Gemüte geführt? Und wie hat sie euch gefallen? Dieser Beitrag ist übrigens das neunte Türchen des „Booleantskalenders“. Schaut gern in die anderen Türchen. Und insbesondere in dieses, wenn ihr eine Idee bekommen wollt wie es weitergehen könnte, denn die Serie wurde um eine zweite Staffel verlängert.
Schreibe einen Kommentar