Literarische-Fundstücke: Klassiker der Weltliteratur. Nicht tot zu kriegen.

Im „Booleantskalender“ widme ich mich heute einem Thema, an dem sich sicherlich schon die einen oder anderen von uns die Zähne ausgebissen haben. Und wer weiß – vielleicht liegt ja an Weihnachten unter dem Baum für euch einer dieser angeblichen Literaturklassiker. Um die soll es heute gehen, genauer die Begriffe Weltliteratur, Literaturklassiker und die sogenannten „Bücher, die man gelesen haben sollte“. Ich wette alle Literaturfans, Bücherwürmer und Buchblogger sind früher oder später bereits an den Klippen solcher Klassiker zerschellt. Müssten die nicht eigentlich gefallen oder sich gewichtig anfühlen? Warum war’s dann nicht so? Warum „Klassiker“ ein Begriff ist, den man nicht überbewerten muss.

Der Anlass für den überlangen Artikel und was „Krieg und Frieden“ damit zutun hat.

Leider muss ich ausholen, damit ihr wisst, von was einem Standpunkt ich komme. Aber hey: die Schlussfolgerung ist kürzer! Im Grunde gab es für meine Auseinandersetzung mit den Begriffen drei Auslöser. Zum Einen habe ich dieses Jahr Krieg und Frieden (KuF) gelesen und hatte damit eine nur mäßig gute Zeit. Ohne Fans des Buches verletzen zu wollen, muss ich sogar sagen: ich wünschte ich könnte mir die darin investierte Lebenszeit zurückholen. Es ist nicht mein Ziel euch zu verletzen. Das gilt für alle nachfolgend erwähnten Bücher und deren Fans. Liebt ihr es? Das ist vollkommen fein! Ich gebe ja nur meine Erlebnisse wieder, geprägt von anderen Erfahrungen und Erwartungen. Vielleicht hätte mir das Buch besser gefallen, wenn es nicht so oft in anderen Büchern referenziert oder von anderen Menschen als „Buch, das man gelesen haben muss“ und als „Klassiker der Weltliteratur“ genannt worden wäre. Vielleicht ist das Wort „Klassiker“ auch nur ein Schuss ins Knie. Mit KuF wurde ich das erste Mal seit Verbrechen und Strafe von Klassikern enttäuscht. Vor Allem vom Begriff des Klassikers. Das beide Autoren russische Autoren sind, ist nur ein Zufall. Ich wurde in meinem Leben auch schon von anderen Klassikern enttäuscht. 😉 Diese Leseerfahrungen bringen mich zu der Frage: Was ist ein Klassiker?

Auch der zweite Auslöser betrifft KuF. Als ich neulich durch diverse Social Media Beiträge von mir zu dem Thema scrollte, fand ich dort einen positiv gestimmten Kommentar, dass es schön sei, dass der Klassiker immer noch gelesen werden würde, v.A. da das die ungebrochene Relevanz in dieser Zeit zeigen würde. Ich vermute, dass das ein Hinweis auf den Ukrainekrieg ist, der kurz vor dem Kommentar ausbrach. Ich akzeptiere die Meinung der Person und schätze die Person sehr, aber sie deckt sich nicht mit meiner Einschätzung. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte und antwortete nichts. Einen freundlichen Kommentar wollte ich nicht mit einer Wall of Text quittieren. Das TLDR; meiner oben verlinkten Review ist, dass das Buch zumindest für mich ein überlanger Rant eines Mannes ist, der mit Historikern unzufrieden war und dachte, er muss mal auf die Pauke hauen. Ein Antikriegsbuch ist es für mich nicht. Klar, Tolstoi streut auch Gesellschaftsbilder der damaligen, russischen Eliten und Oberschicht ein. Sekundärliteratur kann man entnehmen, dass Tolstoi einen Wahnsinnsaufwand betrieben hat, die Napoleonischen Kriege nachzuvollziehen und aufzuarbeiten, was ich nicht unter den Tisch fallen lassen möchte. Es gibt sicherlich Gründe, warum das Buch als Klassiker bezeichnet wird. Aber was hat das mit dem Jetzt zutun? Oder sogar mit dem Jetzt eines Ukrainekrieges?

Viele Passagen sind aus der Sicht nie geläuterter, kriegs- und kaiserverliebter Jünglinge geschrieben, die Krieg trotz haarsträubender Gegenbeweise in all ihrer Vernarrtheit glorifizieren. Der Rest obliegt dem Moralkompass von Lesenden. Wenn ich das nehme, ist der einzige Ankerpunkt zum Jetzt mit Ukrainekrieg, der „Krieg“ im Titel. Ich kann also nicht die Relevanz des Buches für die Menschheit beurteilen, aber zumindest für das oben genannte „Jetzt“, dadurch dass der Krieg mir sehr nahestehende Menschen direkt betrifft und ich mich viel damit auseinandersetze. Macht mich das jetzt zu einer Autorität? Sicherlich nicht, ich bin ja nur „eine Person“. Und wer ist das dann? Das bringt mich zu der zweiten Frage: Worin liegt die Relevanz von Klassikern?

KuF zu lesen hat mir niemand aufgedrängt. Ich war neugierig, wegen der Atmosphäre, die der Begriff „Klassiker“ mit sich bringt, weil es das Lieblingsbuch einer sehr geschätzten Freundin ist und wegen meines positiven Bildes von Tolstoi und seiner Anna Karenina. Aber was ist mit dem empörten „Das ist doch aber ein Klassiker!“ das ab und zu jemand zwischen den Lippen herauspresst, wenn man sagt „mochte ich nicht“. So erst vor wenigen Wochen wieder erlebt im Zusammenhang mit einem Buch eines spanischen Autors. Was erwarten wir denn von einem Klassiker? Dass er automatisch gefallen muss, weil er so wichtig ist? Wer ist denn die Autorität, die ein Buch zum Klassiker erhebt? Beim Rumgoogeln über Sinn und Unsinn des Klassikerbegriffs stieß ich auf die Seite einer Uni, die mir Klassiker vorschlug: „Falls Sie einmal nicht wissen, was Sie gerade lesen sollen“. Vielleicht ist das schon augenzwinkernd gemeint. Wenn nicht, dann tue ich es 😉 Einiges davon habe ich gelesen und fand es gut, anderes erscheint mir nicht zwingend als ein happy-read und wiederum anderes finde ich sogar sehr fragwürdig. So eine Liste kann nur schief gehen, oder? Und so komme ich zu der dritten Frage: welche Klassiker sollte ich wirklich gelesen haben?

Was ist ein Klassiker?

Was ist ein Klassiker? Wenn ich das mal ganz naiv in eine Suchmaschine meiner Wahl eingebe, dann finde ich u.a. die Definition des Liwi-Verlags:

„Ein Literaturklassiker im Sinne des Verlagsbuchhandels bezeichnet Werke, die den Stil ihrer Zeit und ihren Zeitgeist überdauert, die ihre Gültigkeit bewahrt haben, Werke, die bereits unzählige Male aufgelegt und noch immer gerne und oft gelesen werden. Klassiker sind Bücher, die ganze Lesergenerationen begeistern.“ Quelle: Liwi-Verlag

Der Verlag hat viele Klassiker im Programm. Vielleicht ist „immer noch lesen“ also auch ein Wunsch. Versteht mich nicht falsch, ich finde die Definition gut. Im selben Zusammenhang wird das kürzere und prägnantere Zitate Frank Kermodes verwendet: „Klassiker? – Alte Bücher, die die Leute immer noch lesen.“ Mit dieser Definition kann ich verblüffend gut leben. Aber das würde auch bedeuten, dass nur die Zeit zeigt, was sich als Klassiker bewährt. Ist das fair? Ist dann das Label „moderner Klassiker“ ein Oxymoron? Wikipedia versucht es so:

„Als „klassisch“ im allgemeinen sprachlichen Sinne wird etwas bezeichnet, das typische Merkmale in einer als allgemeingültig akzeptierten Reinform in sich vereint und mithin als formvollendet und harmonisch gilt. Das Klassische bildet somit den zeitlosen Kontrapunkt zur zeitabhängigen Mode.“ Quelle: Wikipedia

Was ist denn jetzt aber die Reinform von KuF? Urfassung oder äh, eine der „anderen“? Und was ist daran harmonisch? Versteht mich nicht falsch, das Ende von Verbrechen und Strafe ist sicherlich mega harmonisch, aber ist der sprunghafte Weg dahin formvollendet? Verständlich finde ich dann aber den Gegensatz zu Mode und das gibt mir einen Anhaltspunkt.

In seinem Artikel zu Filmklassikern befand Marco: „Ein Filmklassiker ist ein Film, der als übergeordnetes Vorbild für andere Filme fungiert.“ Später erweitert Marco das Zitat um die Aspekte Vorbild nach technischen Aspekten, etc. Hmmm ok. Geht das auch für Bücher? Und wie misst man eigentlich ein „Vorbild“? Müsste ich um den Klassikerstatus zu vergeben, dann schauen wie viele sich davon inspirieren ließen und woher weiß ich das? Gefühlt ist das eine spannende Definition, wissenschaftlich wohl aber nicht tragbar, weil nicht messbar. Der Duden hat sehr viele Definitionen für die Begriffe klassisch und Klassiker, die in eine ähnliche Richtung gehen. Bei Weltliteratur ist man sich aber einig. „Welt“ ist geografisch und kulturell geprägt:

„Gesamtheit der hervorragendsten Werke der Nationalliteraturen aller Völker und Zeiten“ Quelle: Duden

Mmmh, okay Duden, aber wer definiert hervorragend? Der Durchschnittswert der Bewertungen auf Amazon? Oh ich verschiebe das Problem in den nächsten Abschnitt. Auf jeden Fall sehen wir hier aber: auch der Kontext spielt eine Rolle. Klassiker werden offenbar nicht als Klassiker geboren. Ich mache daraus jetzt einen Mischmasch und komme raus bei meiner Definition eines Klassikers:

„Ein literarisches Werk gilt dann als Klassiker, sobald dessen Bekanntheitsgrad die Mode überlebt.“ Quelle: Miss Booleana, Kommentar: „Ich gab mein Bestes“. Ihr könnt, müsst aber nicht applaudieren.

Jetzt fragt ihr euch sicherlich wie man Mode definiert? Und ob ein bedeutendes Werk automatisch kein Klassiker ist, sobald wenig bekannt? Aaaah, ihr habt die Schwächen meiner Definition erkannt. Schade! 😉 Wissenschaftlich ist auch nicht. Ich vermute: der Definitionsversuch von denen da oben ist erwartungsgemäß schon gut. Ein Klassiker tut sich aus der Zeit und seiner Bedeutung hervor.

Worin liegt die Relevanz von Klassikern?

Der Stern sagt „15 Bücher, die man gelesen haben muss“, sind solche, die uns in faszinierende Welten eintauchen lassen und zum Nachdenken bringen. Hmmm, ok. Das müssten aber wohl nicht nur Klassiker sein, was? Pokémon lässt mich auch in faszinierende Welten eintauchen. In Denis Schecks Buch von 2019 (Schecks Kanon: Die 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur) heißt es: Von »Krieg und Frieden« bis »Tim und Struppi«. Ah. Da ist er wieder. KuF. Welt.de ist vielleicht nicht meine erste Anlaufstelle für Literaturtipps gemessen an ihren Prioritäten: „Diese sechs unlesbaren Romane müssen Sie lesen“ titelt die verlinkte Webseite. Mein Bedarf ist für dieses Jahr gedeckt. Und für nächstes. Esquire sagt: „Von Goethe bis Homer: Diese Literaturklassiker und Weltautor*innen sollte man kennen“. Da ist es wieder: das sollte. Die Liste: ein weiteres Who-is-Who der Klassikerlisten. Und dann erinnern wir uns an die Schulzeit und die Klassiker, zu denen wir dort gezwungen wurden. Wie hat sich das angefühlt? Ziemlich staubig, aber habt ihr nach Jahren nochmal daran gedacht? Unser Buchclub war sich neulich einig. In der Schule gehasst – ja. Aber heute plötzlich Lust drauf bekommen. Für mich wären manche Bücher damals kein Klassiker. Aber heute. Entscheide ich also, was ein Klassiker ist? Ich sage: Ja. Aber dazu musst du es auch erstmal gelesen haben.

Weltliteratur bezieht kulturelle und geografische Aspekte mit ein. Manche Regionen und Kulturen sahen sich Herausforderungen gegenüber, die es in anderen so nicht gab. Ich nehme da mal als Beispiel die Wohnungsknappheit in Russland und wie das in Der Meister und Margarita von Bulgakow thematisiert wird. An anderen Orten der Welt ist das nicht so das Problem, denke ich. Oder der Ton in dem viele der Bücher ostasiatischer Autor:innen von Kang, über Murakami bis Ogawa geschrieben sind, der sich (sicherlich subjektiv) von anderen unterscheidet. Das offenbart: es gibt mehr Aspekte als die Zeit und das reine Label Klassiker. Der Kontext in dem ein Klassiker Werk (von mir, von euch) gelesen wird, spielt eine Rolle. Genauso wie der Kontext, in dem ein Klassiker Literatur entstand. Es ist also weder zu erwarten, dass was für dich ein Klassiker auch für mich ein Klassiker ist. Daher sind solche ominösen Listen trotz der hochtrabenden Versprechen im Titel Literaturtipps. Aber keine Listen von Autoritäten, die Klassikerstatus vergeben.

Welche Klassiker sollte ich wirklich gelesen haben?

Da kann es nur eine Antwort geben. Die, auf die du Lust hast oder bei denen du vermutest, dass sie dich in irgendwelchen Belangen weiterbringen. Klassiker lesen sich am besten, wenn sie einem nicht durch die Geschmackspolizei aufgedrängt wurden, sondern wenn man einfach motiviert dafür ist. Vor kleineren Rückschlägen bewahrt das nicht. KuF ist das Lieblingsbuch einer Freundin, die einen ähnlichen Geschmack hat wie ich. Trotzdem ist es eher unwahrscheinlich, dass uns alles gleich gut gefällt. Und wenn es so wäre, hätten wir auch sehr wenig zum Reden. Auch war ich motiviert es zu lesen. Sh%t happens!

Suchbild: Bücher, die für mich Klassiker sind?

„Klassiker der Weltliteratur“ – Review: 3 von 5 möglichen Sternen. „War so lala“.

Das ist mein Fazit 😉 Und die Überschrift nicht ganz ernst gemeint. Seit meinen Leseerfahrungen dieses Jahr finde ich Listen angeblicher Literaturklassiker untragbar, woraus auch der Titel des Blogartikels hier rührt. Klassiker – es ist nicht tot zu kriegen, dass uns irgendwann irgendwer versucht zu erklären, warum etwas ein Klassiker ist und damit meint: warum man das Buch seiner:ihrer Meinung nach gelesen haben sollte. Gedanklich streiche ich die Überschriften solcher Geschmackspolizei-Artikel und ersetze sie mit „Hier ein paar Literaturtipps“ oder manchmal auch „Hier ein paar Tipps, falls ihr Lust habt alte Bücher zu lesen“. Letzten Endes ist Klassiker zwangsläufig ein unscharfer Begriff und das Lesen von Klassikern wie von allen Büchern bleibt ein hit & miss, abhängig vom Kontext. Was hatte ich für Erwartungen als ich anfing zu lesen? Wie ging es mir beim Lesen? Die Bedienungsanleitung für alle Bücher und Medien setzt voraus, dass man idealerweise mal in Betracht gezogen hat in welchem Kontext das Buch entstand. Mir wird nicht alles gefallen, was ich in Klassikern finde. Aber ist es nicht besser es gelesen zu haben und zu wissen: damals war das so, heute nicht mehr – und das ist gut so? Der Kontext macht den Klassiker wohl zu dem, was er ist. Natürlich gibt es Klassiker, die mich begeistert haben. Aber ich muss euch die nicht verraten. Weil 1. der Blog kennt die. Und 2. ihr könnt eure eigenen Klassiker finden, wenn ihr wollt.

Header image/photo credit: Janko Ferlič

Das war ein länglicher Rant auf einen unschönen Trend. Wobei Trend kann man es ja schon nicht mehr nennen. Die Debatte was ein Klassiker ist und die Empörung darüber gab es wohl schon immer und wird auch eher nicht abzuschaffen sein. Zumindest war es für mich mal ganz spannend mir über den Begriff des Klassikers Klarheit zu verschaffen und hat mir geholfen zu einem Fazit zu finden. Dem Strich und der Summe, einer für mich tragbaren Definition wie ich künftig mit dem empörten „Aber das ist ein Klassiker!“ umgehen will. Vielleicht war es auch für euch erheiternd oder erhellend. Lasst mich gern wissen wie ihr Klassiker definiert oder wie ihr die Debatte seht. Hier geht es übrigens zu allen anderen Literarischen Fundstücken.

19 Antworten

  1. „Welche Klassiker sollte ich wirklich gelesen haben?

    Da kann es nur eine Antwort geben. Die, auf die du Lust hast oder bei denen du vermutest, dass sie dich in irgendwelchen Belangen weiterbringen“

    Japp, so ist es. Ich betrachte Kanons, von wem sie auch immer stammen, als reine Empfehlungen. Dickens galt zu seiner Zeit etwa keineswegs als Hochliterat. Stephen King galt in meiner Jugend als Trashautor (den wir natürlich trotzdem alle gelesen haben). Zudem sind viele Klassiker heute total in Vergessenheit geraten. Ich lese gerade einen, „Der heilige Skarabäus“ von Else Jerusalem. Stilistisch sehr anspruchsvoll, dazu noch ein Skandalroman. Kannte die Reado-App nicht mal. Wieso auf keinem Kanon gelandet? (Autorinnen haben es da eh schwer).

    Ich verlinke dir mal einen sehr schönen. langen Rant einer meiner liebsten Booktuberinnen über Schuld und Sühne. Sehr unterhaltsam 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Den Rant werde ich mir später unbedingt anschauen 😀 Vielen Dank.
      Stephen Kings Status ist mir eh ein Rätsel. Als ich den vergöttert habe (als Teenager), wurde er wie du sagst als Trashautor abgetan. Heute ist das fast eher umgedreht, wobei ich auch nicht sagen würde, dass er Trash schreibt. Aber ob ich von Klassikern sprechen würde, weiß ich auch noch nicht.

      Und das mit den Autorinnen stimmt absolut. Das erinnert mich an Das Frauenschuber-Stöckchen, was vor Jahren mal rumging. Da sollte man dem „weiß, männlichen“-Kanon mal was entgegensetzen – Klassikerlisten, die nur aus Autorinnen-Werken bestehen. Das war echt schön. Ich will gar nicht wissen an wieviele Autorinnen Dennis Scheck in seinem Kanon gedacht hat. Viel Hoffnung habe ich nicht.

      1. Ich hab Schecks Kanon hier liegen. Auf der Buchmesse hat er mich schon oft mit wirklich guten Tipps überrascht. Mal sehen, ob er das mit seinem Kanon auch schafft (befürchte nicht).

  2. Ich stutze etwas darüber, dass du mit Klassiker sofort einen Qualitätsversprechen verknüpfst. Ich verstehe Klassiker tatsächlich eher als eine Art zeitlosen Verkaufsschlager, der eine gewisse Bedeutung für die (Pop-)Kultur hat. Deine Überschrift „Klassiker der Weltliteratur. Nicht tot zu kriegen.“ entlarvt dabei auch ein wenig die selbsterfüllende Prophezeihung dahinter. Wenn ein Werk von vielen als Klassiker angesehen wird, dann ist/wird das auch ein Klassiker. Vielleicht zur Verdeutlichung: Als ich in Helsinki war, habe ich mir auch das Sibelius-Denkmal angeschaut, weil es – laut allen gängigen Reiseführern – eines der beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt war. Die Wahrheit ist: Das Denkmal war völlig unspektakulär. Aber fast jeder Besucher schaut es sich an, wodurch es zu genau der beliebten Sehenswürdigkeit geworden ist.

    Daraus ergibt sich, dass ein neues Werk nicht sofort ein Klassiker sein kann. Ein moderner Klassiker oder auch ein instand classic sind Marketing-Begriffe, die man eigentlich nicht ohne einen ironischen Unterton verwenden kann. Das eigene Gefallen eines Klassikers ist dabei nebensächlich. Ich würde zum Beispiel sofort die Herr der Ringe-Filme mittlerweile als Filmklassiker bezeichnen, auch wenn ich sie selbst nur als bessere Einschlafhilfe gebrauchen würde.

    PS: Und Schuld und Sühne ist natürlich großartig!

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Naja, aber auch in deiner Definition steckt doch ein Qualitätsversprechen, also bin ich damit wohl nicht alleine 😉 ich verweise da mal nur auf die Definitionen, die ich oben gesammelt habe. Und du selber sagst ja „zeitlosen Verkaufsschlager, der eine gewisse Bedeutung für die (Pop-)Kultur hat“. Das ist ja auch ein Qualitätsversprechen. Zeitlos wird etwas nicht ohne Grund, Verkaufsschlager vielleicht schon.
      Davon abgesehen sind meine Ansprüche an Klassiker schon … niedrig. Inzwischen.

      P.S.: DU findest „Schuld und Sühne“ großartig. (Wenn dein P.S. ernst gemeint war 😉 ).

  3. Sehr schöner Artikel! Anders als du habe ich KuF geliebt (was aber mit Sicherheit auch an der Begleitung durch wundervolle Buddy Reader lag), aber ansonsten finde ich deine Klassiker-Definition wirklich gut! Find’s aber auch nicht schlecht, zu sagen: “Alte (oder ältere?) Bücher, die immer noch gelesen, neu interpretiert oder adaptiert werden.” Ich denke da natürlich gerne an meine geliebte. Musketiere, oder auch an Shakespeare, der es sogar in Neil Gaiman’s Sandman geschafft hat.
    IRGENDWAS ist jedenfalls dran an bestimmten Büchern, dass sie Mode, Zeitgeist und Hypes überdauern – oder zumindest Figuren daraus oder der grundsätzliche Plot.!
    Manchmal sind es glaub’ ich archetypische Dinge oder Konzepte, die darin enthalten sind. Manchmal ikonische Charaktere.

    Muss man das eigentlich so genau definieren? Ich habe zwar letztens auch gestutzt, als eine YouTuberin von Klassikern sprach und eine wenige Jahre alte New Adult Reihe in die Kamera hielt. Aber bitte: jede*r kann doch für sich selbst entscheiden, was die persönlichen Klassiker sind, die aus viefältigen Gründen in Herz und Kopf überdauern.

    Danke jedenfalls für diesen Anstoß zum Nachdenken!

    LG,
    Ute

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ein Subset deines Buddy Reads war auch mein Buddy Read, das hat aber nicht soviel an meinen Eindrücken zu KuF geändert, haha. 😉 Aber darum soll es auch gar nicht gehen.

      Dein „muss man das eigentlich definieren“ finde ich einerseits sehr treffend. Man sieht ja an deinem (irgendwie sehr witzigen) Beispiel mit der Youtuberin und der New Adult Reihe, dass die Definitionen eh soweit auseinandergehen, dass der Definitionsversuch nur scheitern kann. Aber: wenn wir nie was definieren, dann wäre die Welt ein ganz schön schwammiger Ort. Mein Beruf hätte kaum Bestand, wenn das so wäre. Komisch, das so sagen zu müssen! Oh je, das kann ganz schön philosophisch werden. 😀

      Liebe Grüße

  4. Ja, die Klassiker-Definition ist sehr schwammig und jeder Mensch würde es wohl anders formulieren. Für mich sind Klassiker Werke, die – aus welchen Gründen auch immer – Menschen aus unterschiedlichen Epochen, losgelöst von literarischen Trends, begeistern können* und die einem Großteil der (leider westlich-geprägten) Menschheit ein Begriff sind.**
    (* „begeistern können“ setze ich nicht gleich mit „begeistern automatisch alle“.
    ** „ein Begriff sind“ heißt: Man hat schon mal von ihnen gehört, kennt zumindest die Titel oder ihre Schöpfer*innen.)

    Auch ein sehr schwaches Verständnis des Begriffs, ich weiß 😀

    Lustigerweise liegt seit Oktober in meinem Dashboard ein Entwurf darüber, warum so viele Versuche, Neugier auf Klassikr zu machen, oft scheitern. Ein Punkt dabei ist genau das von dir angesprochene „Aber das ist ein Klassiker – den musst du doch kennen/mögen!“ Nein, musst du nicht, muss ich nicht, muss niemand. Bloß weil ein Werk vielen gefällt oder gewisse von einer Elite gesetzte Qualitätsstandards erfüllt, darf man sie trotzdem auch mal scheiße finden, genervt oder gelangweilt sein. Und dafür muss man sich auch nicht entschuldigen 🙂

    Würden Klassiker (oder generell kulturelle Werke von gewissem dauerhaften Erfolg) nicht von verschiedenen Generationen neu betrachtet oder kritisiert werden, würden wir auch rassistische, ableistische, sexistische … Werke oder Begriffe/Motive darin ewig reproduzieren.

    Geschichten leben doch davon, dass sie in jeder Person etwas anderes anstoßen können. Wäre dem nicht so, müsste ich keine Bücher selbst lesen, sondern würde einfach zu jedem eine Besprechung lesen und die Eindrücke 1:1 für mich abspeichern. Tu ich aber nicht, weil ich neugierig bin, ob dieses Buch auf mich ähnlich oder ganz anders wirkt.

    Bei KuF haben wir also vielleicht andere Ansichten, aber in deinen Gedanken zu Klassikern sind wir uns einig 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      In der Tat – über Klassiker stimmen wir übereinander 😉 Ich mag auch das generalisierende „x ist ein tolles Buch“ gar nicht mehr so sehr. Blogs und Journalist:innen, die sich ernst nehmen, dürfen ja scheinbar nicht subjektiv sein. Und ja, sich um ein gewisses Maß an Objektivität zu bemühen, gehört denke ich dazu, wenn man das professioneller machen will. Aber dieses begründungslose „Das ist ein Klassiker der Weltliteratur!“ (weil „Klassiker“ ist mir jetzt zu subjektiv um das als Begründung zu sehen), kann ich nicht mehr haben.

      Und Eliten sind sowieso so ein Ding, da muss man aufpassen, dass man sich nicht in den Club einschreibt einerseits und andererseits, warum die etwas empfehlen. Ach … spannendes Thema.

  5. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Ja, ja… ich durchforste sie auch immer gerne, diese Listen von Büchern, DIE MAN UNBEDINGT GELESEN HABEN MUSS und fühle mich dann auch manchmal echt unwohl, wenn mir mal so ein Klassiker nicht zusagt. Es hat dann immer den Anschein, man würde den Klassiker nicht würdigen…

    Aber wie du schon sagst, was macht denn den Klassiker aus? Ist alles immer schwierig in Worte zu fassen, deswegen finde ich deine Zusammenfassung der unterschiedlichen Definitionen echt schön… zeigt auch direkt wieder: Okay, am Ende sind es einfach nur Romane, die die Zeit überdauert haben.

    Ich frage mich dann immer nur, liegt es vielleicht auch einfach daran, dass damals noch nicht so viele Bücher auf dem Markt waren und es dadurch natürlich auch schneller war, als Autor im Gespräch zu bleiben?

    Klassiker hat für mich immer so einen arg angestaubten Touch, weil es heute wenn überhaupt höchstens mal „moderner Klassiker“ heißt oder man einfach „Kultbuch“ sagt, um von dem Klassiker-Begriff wegzukommen.

    Ist ein echt spannendes Thema

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja, dieses schlechte Gewissen machen, weil man weniger Klassiker als jemand anders gelesen hat usw. finde ich auch immer furchtbar. Es muss halt auch noch irgendeine Bedeutung für jemanden persönlich haben (wenn man es nicht für den Literatur-, Geschichts- oder Sozialwissenschaftskurs liest). Und das ist halt häufig einfach mal nicht der Fall. Ein „Krieg und Frieden“ sagt überhaupt nichts über moderne Kriege aus. Warum sollte es? Das ist kein „Buch für die Zeit“. Es ist das komplette Gegenteil davon..

      Das ist ein spannender Punkt! Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass es schwierig ist bei der heutigen Masse an Ideen, Gedanken und Medien wirklich noch etwas 1. neues und 2. überdauerndes zu machen. Vielleicht entwickelt sich dann auch das Verständnis, was ein Klassiker ist, gar nicht mehr weiter.
      Das frage ich mich ziemlich oft bei Filmen. Ich hab hier so Bücher liegen wie „1001 Filme, die sie gesehen haben sollten bevor das Leben vorbei ist“ und sowas und frage mich häufig nach dem Schauen eines Films: würde der auf der Liste landen?

  6. Ich finde überhaupt nicht, dass du einen Rant geschrieben hast. Im Gegenteil: es ist ein ausgewogener Text geworden, der sich gut mit dem Thema auseinandersetzt. Ich habe „Krieg und Frieden“ übrigens nicht gelesen. Müsste man den aus aktuellem Anlass nicht in „Spezialoperation und Frieden“ umbenennen?

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hehehe, vielleicht ja. 🙂 Aber wie schon oben beschrieben ist das Buch zumindest für mein Empfinden halt sehr weit weg von unserer Gegenwart.
      Und danke, ich bin froh, wenn es sich nicht wie ein Rant liest.

  7. Avatar von BoomHoschi
    BoomHoschi

    Ich würde ja jetzt gerne noch was zu dem Thema beisteuern, aber ich finde Du/Ihr habt eigentlich schon alles gesagt. Super Artikel!!!!!
    Ich finde der Begriff „Klassiker“ kann eine Orientierung sein, muß es aber nicht, Jeder sollte seinem Geschmack folgen und so seine „Klassiker“ entdecken.
    Für mich ist zum Beispiel ein „Klassiker“ – Die Bibel nach Biff von Christopher Moore- oder auch – Der alte Mann und Mr. Smith von Peter Ustinov -. Zwei unterschiedliche Zeiten, zwei unterschiedliche Genre aber, das sind Bücher die ich immer wieder lesen kann, jedes Mal einen gewissen Sog dabei empfinde und ohne große Sorge weiterempfehlen würde.
    Dazu zählen auch einige in deinem Suchbild 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Danke, danke 🙂 Ich finde das auch sehr angenehm zu sagen „Also für mich sind Klassiker…“, weil das niemandem aufschwatzt, dass man das auch so finden muss.

  8. […] es ist definitiv aktueller und erklärt mir mehr über den Krieg als das, worüber ich mich hier beschwert […]

  9. Zu Krieg und Frieden kann ich derzeit erst eine halbgare Meinung abgeben, weil ich immer noch in meiner (sehr ausgedehnten Pause) nach der Hälfte des Romans stecke. Nach einigen Jahren (gemeinsamen) Klassiker-Lesens gehe ich mittlerweile auch entspannter an die großen Werke ran als zu Beginn. Das liegt vor allem auch an unseren Buddy-Reads, bei denen regelmäßig auch herrlich frei von der Leber weg über Figuren, Stoff und Autoren geschrieben werden darf, ohne, dass die Mitlesenden gleich die Kanon-Keule schwingen.

    Ich finde es immer toll, sich nach einem der „großen Werke“ eine eigene Meinung bilden zu können. Schon deshalb lohnt sich das Lesen von „Klassikern“ für mich. Anna Karenina fand ich sehr unterhaltsam, aber es war auch eine Aneinanderreihung von zeitgenössischem Gossip, über die Figuren Dickens‘ kann ich jetzt eine Menge sagen, vor allem aber, dass sich bestimmte „Typen“ in seinen Geschichten immer wiederholen und Dostojewskijs „Verbrechen und Strafe“ war stellenweise so finster, dass die Figur des Raskolnikow auf mich manchmal fast schon unfreiwillig komisch wirkte.

    Ich glaube als „einfacher Leser“ ohne literaturwissenschaftlichen Hintergrund braucht es in „gewissen Kreisen“ (du schreibst vom Eliten-Begriff) eine gehörige Portion Selbstvertrauen, um einmal voller Überzeugung zu sagen „Hat mir nicht gefallen, Grund 1, 2, 3“. Auf der anderen Seite stellt sich dann auch manchmal heraus, dass das Gegenüber das Buch nicht gelesen hat und das Wissen nicht über ein „Sollte man gelesen haben“ hinausgeht. Ist dann auch fast wieder komisch. Deshalb finde ich den Ansatz „Anregung im „Kanon“ finden, lesen, vielleicht ein bisschen lästern oder hypen, in jedem Fall aber genießen“ ziemlich gelungen.

    Frohe Feiertage! Jana

    PS: Mit dem Ukrainekrieg hat das Buch mE nichts zu tun. Nicht mal mit dem heutigen Russland. Die gesellschaftlichen und militärischen Strukturen und auch die (kulturellen) Einflüsse und Verflechtungen sind völlig andere als heute. Ich glaube, der Gedanke kam ganz zu Beginn der Leserunde allein wegen des Titels auf und bestätigt sich dann im weiteren Verlauf des Romans nicht. Kriegsbegeisterte und später traumatisierte oder desillusionierte Jünglinge sind vielleicht einfach ein gängige literarische Figuren im Zusammenhang mit Krieg. Habe zuletzt „Kassandra“ von Christa Wolf gelesen (auch so ein „Klassiker“, den man meiner Meinung nach nicht unbedingt gelesen haben muss) – da klang das Motiv auch an – hier aber im Trojanischen Krieg.

  10. […] Über den Klassikerbegriff und damit verbundene Erwartungshaltungen hat z.B. Miss Booleana […]

  11. […] ist wahr, dass ich mich stark gegen Top-Listen und bestimmte Begriffe einsetze. Aber wir wissen ja, dass Top-Listen immer unvollständig und […]

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