Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „Die Frau im Nebel“

Beobachtet man gern das internationale Kino, dann gewöhnt man sich schon mal an andere Titel. Den Kinostart von „Decision to Leave“, so wie er im englischsprachigen Raum heißt, konnte ich kaum erwarten. „Die Frau im Nebel“ habe ich im Kinoprogramm dann erstmal übersehen. Es ist natürlich derselbe und die kleine Täuschung ist fast sinnbildlich für Park Chan-wooks Film. Die Besprechung ist spoilerfrei.

Polizeikommissar Jang Hae-jun (Park Hae-il) und sein Partner werden einem Fall zugewiesen, der einfach sein könnte. Offenbar ist ein Hobby-Bergsteiger bei einer seiner Touren abgestürzt. Punkt. Oder? Natürlich werden erstmal pauschal die Angehörigen befragt, namentlich die Frau des Verstorbenen. Song Seo-rae (Tang Wei) ist eine nach Südkorea ausgewanderte Chinesin und trotz kleiner sprachlicher Missverständnisse, kann sie doch alles beantworten. Trotzdem bleiben Jang Hae-jun Zweifel. Liegt es an den Kratzern an ihrer Hand oder daran, dass er Song Seo-rae selber interessant findet?


DIE FRAU IM NEBEL Trailer 2 German Deutsch (2023), KinoCheck, Youtube

Der Film spielt von Anfang an mit Dissonanz. Noch während der opening titles hören wir Schüsse. Das Bild dazu gibt es nicht, wir sehen einen schwarzen Screen. Kein Hinweis, pure Überraschung. Und ich für meinen Teil habe mich sogar einigermaßen im Kinosaal erschrocken. Erst danach sehen wir die Polizisten am Schießstand. Schon alleine das ist sinnbildlich für den ganzen Film. Irgendwas scheint immer verborgen. Die Cuts und Überblenden sind kreativ und in fast überfordernder Weise nacheinander gestellt. Sie suggerieren, dass sich Song Seo-rae und Jang Hae-jun gegenübersitzen oder sich in die Augen schauen können, während er sie beschattet. Oder die Kamera nimmt einen ungewöhnlichen Winkel ein. Immer was neues, keine Ruhe, alles ist ein Hinweis. Sowohl narrativ, als auch optisch. Erzählerisch ist es wohl Sinnbild des Lebens des Kommissars, wenn er einen ungelösten Fall vor sich hat. Und wenn er einen ungelösten Fall hat, dann kann er nicht schlafen, an nichts anderes denken. Findet keine Ruhe. Selbst das in sehr geregelten Bahnen verlaufende Leben mit seiner Ehefrau gibt ihm diese Struktur nicht zurück. Das scheint Song Seo-rae gut zu gefallen. Trügt der Schein oder genießt sie die Beschattung?

Die Frau im Nebel wird häufig als film noir, Mix zwischen Liebesfilm und Krimi oder gar als Mystery bezeichnet. Es fällt schwer den Film in eine Schublade zu pressen und ich denke gar, dass der Film Schubladen auch nicht verdient hat. Am Anfang ist Die Frau im Nebel vor Allem sehr witzig, was an dem Kommissaren-Duo liegt. Er erzählt auch mehrere Kriminalgeschichten, die jeweils auf tragische Weise enden und deren Auflösung nie ganz auf der Hand liegt. Zwar gibt es eine Lösung, aber wieviele davon sind gelogen? Wir können es nicht wissen, denn jeder in dem Film ist zu Täuschung bereit und vielleicht ein unzuverlässiger Erzähler – oder Erzählerin. In der Anziehung zwischen Jang Hae-jun und Song Seo-rae ist er tatsächlich auch der oft zitierte und versprochene Liebesfilm. Das Versprechen wird gehalten. Zwar bleibt der Film in seinen Bilder prüde, aber nicht in dem zwischen den Zeilen. Beide sind sich sofort unheimlich und unwiderstehlich nah. Wie in einem unausgesprochenen Selbstverständnis verstehen sie einander völlig. Das alleine scheint so fremd, so besonders und selten, dass der Film – verwirrt. Die Szenen und Entscheidungen wirken obskur, was der Film auch optisch in nahezu allen Szenen ausdrückt, vorausdeutet, teasert.

Er ist clever in der Weise wie er mit Stil und Stilmitteln umgeht. Jede Szene scheint neue Rahmenbedingungen zu setzen. Mal ist es die gewählte Perspektive – die eines Gegenstands, der Song Seo-rae zugewandt ist. Oder die Vogelperspektive auf den Kommissar, der hektisch Song Seo-rae jagt. Mal ist es das verwischen der Grenzen wie bei den Beschattungsszenen. Mal ist ein Gegenstand in der Szene freigiebig mit Informationen, mal erlaubt der Film uns mehr zu wissen als die Charaktere, mal lässt er uns ahnungslos zurück. Wobei diese anfangs sehr schnell und geradezu hektisch auftreten, eine chaotische und schwer durchschaubare Grundstimmung erzeugen. Wir Kinogänger sagten mehr als einmal flüsternd zueinander „Ich kann das gerade alles gar nicht verarbeiten, was ich hier sehe“. Die Reizüberflutung aus filmischen Mitteln und versteckten Hinweisen, Gleichnissen (Berg=Jang Hae-jun und Meer=Song Seo-rae) und verräterischen Farben scheint irgendwann zur Ruhe zu kommen. Vielleicht haben wir bis hierher aber auch nur bereits vieles erfasst und verarbeitet. So als ob wir und der Kommissar nun zur Ruhe kommen können. Wer aber bis zu Ende geschaut hat, weiß, dass das ein trügerisches Ende ist. Sogar ein ziemlich grausames für einen schlaflosen Detective.

Letzten Endes ist Decision to Leave irgendwie perfekt, nahezu Kunst, aber strotzt auch so sehr an Details, dass er nicht gerade einfach zu erfassen ist und quasi eine Zweitsichtung erforderlich macht. Viele Details haben auch weniger Funktion als das anfangs vermuten lässt. Wie die Geschichte von Song Seo-rae als einstiger illegaler, chinesischer Einwandererin. Es schärft das Motiv, dass sie mit dem Meer in Verbindung bringt und die Sprachbarriere. Schließlich werden der Kommissar und sie so noch mehr zu einem dissonanten Paar. Einem, dem scheinbar soviele Steine im Weg liegen, dass sie eigentlich gar nicht zusammen sein können. Kann das funktionieren? Oder muss letzten Endes immer einer von beiden gehen, damit der andere weitermachen kann. Park Chan-wook hätte all das weniger komplex und mehr straight forward erzählen können. Aber wo bliebe denn da der Spaß?

Die Frau im Nebel (OT: 헤어질 결심), Südkorea, 2022, Park Chan-wook, 138 min, (9/10)

Sternchen-9

Man kann kaum auf alles eingehen, was in dem Film sichtbar ist, passiert. Welche Mittel eingesetzt werden und was sich auf emotionaler Ebene abspielt. Für die Symolik und Gleichnisse kann ich sehr das nachfolgende Video von Spikima empfehlen – es ist nicht spoilerfrei.


Decision to Leave | Misdirection Done Right, Spikima Movies, Youtube

„Die Frau im Nebel“ und das Fehlen dessen unter den Oscar-Nominierungen hat ja die Filmgemeinde einigermaßen beschäftigt. Manche sagen es ist der beste Film aus 2022. Andere, dass es der bisher schwächste von Park Chan-wook sei, weil er zuviel „tut“. Es gibt unheimliche viele Meinungen über den Film da draußen wie auch Analysen. Ich gestehe, dass er mich auf emotionaler Ebene am meisten abgeholt hat und ich die ganzen filmischen Mittel erstmal „sinken“ lassen musste. Habt ihr „Frau im Nebel“ auch als eine Herausforderung für die eigene Wahrnehmung erlebt? Das bedeutet übrigens nicht, dass man „langsamer“ ist als andere, sondern dass man vielleicht sogar mehr wahrnimmt 😉 oder was meint ihr?

6 Antworten

  1. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Unterschreibe ich genau so. Toller Film, der in keiner Schublade passt, der witzig und spannend ist, der zeigt, was für ein großartiger Regisseur Park Chan-wook ist. Und das Ganze hat eines der fiesesten Enden

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Allerdings! Und ich finde „Frau im Nebel“ fordert die Zuschauenden ganz schön. Ich brauchte jedenfalls ein paar Minuten mich daran zu gewöhnen, dass jede Szene mir etwas abverlangt. Aufmerksamkeit, Interpretation, irgendwas.

      1. Avatar von donpozuelo
        donpozuelo

        Oh ja,absolut deiner Meinung. Ich will eigentlich auch versuchen, den noch einmal im Kino zu schauen.

  2. Ich habe gerade in dem kleinen Heft eines Kinos von diesem Film mehr erfahren und dort wurde auch schon angekündigt, dass er sehenswert sei. Dann habe ich mich dran erinnert, dass ich den Titel des Films doch auch schon bei dir gelesen hatte und dann aus Neugier doch tiefer reingelesen. Dann mal sehen, ob ich mich nun wieder ins Kino bewegen werde.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Und hast du dich gewagt? 🙂 Freut mich, dass dich der Hinweis nochmal hierher verschlagen hat

      1. Hehe, ich kann sogar hier drauf antworten!
        Leider habe ich es tatsächlich nicht mehr ins Kino geschafft, aber im Flugzeug habe ich ihn dann tatsächlich gesehen (ich = klassische Flugzeugfilmguckerin). Ich war andersrum verwirrt, weil mir der Film nur unter dem deutschen Titel bekannt war und ich aus Zufall auf den englischen Titel dann geklickt hatte *yey*.
        Ich bin beeindruckt, was du am Film alles wahrgenommen hast und in deinem Text beschrieben hast. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mal einen Bruchteil davon mitbekommen habe. Vielleicht für einen Flugzeugfilm dann doch etwas zu heavy und dem dann nicht ganz gerecht. Aber ich muss sagen, dieser (und noch ein paar weitere Filme und Serien) haben Lust auf mehr koreanische Filmindustrie gemacht!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert