Heute widmet sich „ausgelesen“ ausschließlich „Boys Love“-Manga (BL) und queeren Comics, genauer zwei Neuerscheinungen aus dem Januar und zwei nicht mehr ganz so neuen Neuerscheinungen. „Heartstopper“ ist nun schon eine Weile auf dem deutschen Markt verfügbar. 🙂 Vor einer Weile schrieb ich über den ersten und zweiten Band und sagte dort, dass ich den Rest der Reihe dann erst in einer Gesamtbesprechung mit aufnehme. Damals ging ich davon aus, dass „Heartstopper“ mit dem vierten Band abgeschlossen wäre. Vor Kurzem habe ich aber mitbekommen, dass es einen fünften geben würde und warte nun sehr gespannt darauf. Dann lasse ich die Bände drei und vier nun doch gerne revue passieren, das dann aber nicht spoilerfrei für Band 1-2.
„Never Good Enough“ Bd. 1, CTK, Crunchyroll
Eben fahren sie noch in den Urlaub, da beendet Nick die siebenjährige Beziehung mit Louis. Als ob das nicht schon schwer genug ist, schleppt sich Louis wieder in seinen Job als Uniprofessor und wird im Alltag angekommen überall an Nick erinnert. Im neuen Semester stellt sich zudem heraus, dass der jüngere Bruder Nicks in einer von Louis‘ Vorlesungen sitzt. Der heißt Theo und geht ihm schwer auf die Nerven. Ständig stellt er unbequeme Fragen über ihre Beziehung bis Louis seinen Frust an Theo auslässt. Beide teilen aber etwas, dass sie verbindet. Während Louis nur schwer über Nick hinwegkommt, stand Theo stets in Nicks Schatten. Als Louis beginnt hinter Theos Fassade und Bruderkomplex zu schauen, gibt es einigermaßen viel Reibung emotionaler Natur.
Als ich gelesen habe, dass eine weitere Reihe von CTK erscheint, war ich schon an Bord. Sowohl On Doorstep als auch Midnight Rain haben mir gut gefallen. Manchmal zugegebenermaßen vom Artwork noch mehr als von der Story. Oftmals ist es nur so semi schlüssig für mich wie aus den Charakteren in CTKs Mangas bzw. Manhwa was wird – auch hier. Der Anfang der Beziehung und das Kennenlernen sind erstmal sehr toxischer Natur. Theo ist quasi ein Stalker, total abhängig davon zu erfahren, warum sein abgöttisch verehrter und auf einen Thron gehobener Bruder mit Louis zusammen war. Louis wiederum lügt ihm die Hucke voll und bringt beide in eher unangenehme Situationen, weil er seine Wut auf Nick an Theo auslässt. Er ist sich dessen auch bewusst und empfindet deswegen Schuld.
Es gelingt CTK wieder sehr gut die Sehnsucht der Charaktere und ihren inneren Kampf verständlich zu machen wie auch die Annäherung zu bebildern. CTK hat aber stets ein tolles Gespür für die kleinen Momente – den Blick, das Innehalten, die kleine Geste, die plötzlich alles ändert und mich auch hier wieder mit dem toxischen Beginn versöhnt. Wegen der herzzerreißenden Richtungsänderung im letzten Drittel lese ich weiter und bin sehr gespannt auf den zweiten Band. Worüber ich mir noch unschlüssig bin ist, ob CTKs Bände als Manga oder Manhwa qualifizieren. CTKs Social Media Profile sind in Koreanisch geschrieben, CTK verwendet aber selber den Begriff Manga.
„Barefoot Angel“ Bd. 1, Ito Nonomiya, Egmont Manga
Findet ein Mann einen gefallen Engel – und nun? Zumindest behauptet das der Fremde, der da ohne Schuhe in der Kälte im Park sitzt und schon total durchgefroren aussieht. Turner hat Mitleid mit ihm und nimmt ihn mit. Die Engel-Geschichte betrachtet er mit Argwohn, aber gefährlich wirkt der Fremde nicht. Er bietet ihm einen Schlafplatz an und ein paar alte Klamotten. Anfangs hält Turner ihn für einen bemitleidenswerten Kerl, der sein Gedächtnis verloren hat und Hilfe braucht. Er nennt ihn Benny um ihn irgendwie ansprechen zu können. Die Ungereimtheiten um Benny bringen Turner aber ins Wanken bis Benny dann eben doch irgendwie … bleibt. Aus dem Unausgesprochenen und Unklarheiten über Bennys Identität und Turners Gefühle ergibt sich der Rest einer süßen Geschichte.
Wäre der Manga nicht so schön und sehnsuchtsvoll gezeichnet und geschrieben, dann hätte ich wohl deutlich mehr Probleme damit. Sehr gespalten bin ich in meiner Meinung über diverse Tropes bzw. Muster. Einen Fremden aufnehmen – sehr stark romantisiert. Die ganze Engel-Story? Hat sowas romantisch verklärtes, aber interessant genug offenbar (auch für mich 🙂 ). Im Manga selber ist vieles erschreckend einfach, beispielsweise wie Benny an einen Job kommt. Es ist nicht so, dass ich Unterhaltungsmedien kritisiere, weil sie nicht realistisch sind. Denn wer wenn nicht die sollten das können? Es ist eher so, dass ich die Motive etwas verbraucht finde. Letzten Endes funktioniert Barefoot Angel für Fans von BL und des Genres aber durchaus sehr gut. Es ist das gegenseitige Verständnis und das eigentlich sehr schöne Motiv sich für einen Fremden in Not zu öffnen. Barmherzigkeit, anyone? Aus Turners Handeln spricht auch immer ein Stück Sehnen und Einsamkeit. Die Schuhe und seine Berufung als Schuhmacher wird schön in Metaphern darüber gegossen wer man sein will und wohin der eigene Weg führen soll. Sehr bildlich, was? Die Annäherung zwischen Benny und Turner wird in einem angenehmen Tempo entwickelt. Denn anzunehmen ist, dass das alles für Benny bisher kein Thema war. Das Artwork Ito Nonomiya ist traumhaft schön und schlicht. Obwohl ich also einiges an der Musterhaftigkeit des Inhalts so-so finde, habe ich es allein schon gern für die Charaktere gekauft.
Eigentlich schaffte ich mir Barefoot Angel im Glauben an, dass es sich dabei um einen One Shot handeln würde. Relativ schnell habe ich aber durch rumgoogeln Cover eines zweiten Bandes gesehen. Wahrscheinlich war der erste so erfolgreich, dass mehr von Benny und Turner nachgefragt wurde. Trotz des leichten Anflugs von Kitsch, den das Motiv gestrandeter Engel ohne Flügel mit sich bringt, würde ich in einen zweiten reinschauen. Während ich den Kitsch eher verhalten betrachte, ist das aber vielleicht für viele Lesende auch Argument, wer weiß. 😉 Offenbar wurde der zweite von Egmont Manga noch nicht angekündigt. Barefoot Angel ist aber offenbar gut nachgefragt. Stand heute ist der erste laut der Verlagswebseite bereits nicht mehr lieferbar und damit vermutlich verlagsvergriffen. Bedeutet aber auch in den meisten fällen, dass man ihn ggf über Buchhandelswebseiten noch bekommen kann – wenn es euch interessiert, versucht es einfach.
„Heartstopper“ Bd. 3-4, Alice Oseman, Loewe Graphix
Durch das Murmeln in Social Media wurde bereits angeteasert, dass sich die zweite Staffel der Serienadaption Heartstopper wohl um einen Paris-Klassenauflug drehen würde. Band 3 der Comics ist es dann: Ein Ausflug in die „Stadt der Liebe“ (wenn es sowas gibt), ist wohl unweigerlich spannend für Nick und Charlie, zumal frisch verliebt. Da stellen sich im Klassenfahrtsetting eine Menge Fragen. Kommt’s raus? Wie komfortabel wären die Beiden damit? Während Charlie ein unfreiwilliges Outing mit Folgen hatte, soll es Nick besser ergehen. Während Band 3 das adressiert, wird aber auch schon ein zweites großes Thema angeteasert und geschickt vorbereitet, das im vierten Band viel Raum einnimmt: mentale Gesundheit.
Zugegebenermaßen hatte ich anfangs nicht erwartet, dass das Mal ein größerer Handlungsbogen in der Reihe wird. Heartstopper war bis hierher eine Feelgood-Reihe, eine über erste Liebe, Coming-Out, Sichtbarkeit und die queere Community. Es hört aber dadurch nicht auf ein Feelgood-Comic zu sein, weil Alice Oseman das wichtige Thema Essstörung und psychische Erkrankung sehr empathisch adressiert. Die Botschaft, dass liebende Partner:innen eben nicht automatisch alles richten, finde ich sehr wichtig. Auch wenn also die Themen nochmal einen Tick ernster werden, legt auch Band 4 sehr viel Aufmerksamkeit auf Freundschaft, Offenheit und ja, auch ein Stück auf Rücksicht und Selbstliebe. Nebenhandlungen wie die um das lesbische Pärchen Darcy und Tara und viele andere Freunde Charlies und Nicks werden auch nicht vergessen und in einem ich möchte behaupten „okayen“ Maß weiterentwickelt. Manch wünscht sich zwangsläufig über einige mehr zu wissen. Über Darcys Familiengeschichte beispielsweise, zumal sie offenbar große Probleme mit denen hat. Oder viel mehr die mit ihr. 🙁 Die Nebenhandlungen lockern aber auch auf. Die Situationen mit zwei der Lehrkräften der Schule hat mir einigermaßen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, wann immer sie auftreten. 🙂 Auch in punkto Qualität der Zeichnungen ist Alice Oseman und ihre Comicreihe gewachsen. Hintergründe und Umgebung wirken weniger hingekleckst, sondern mit mehr Sorgfalt illustriert. Das Characterdesign ist fixer und die Handlung umgreift ein offenbar „bigger picture“, das auch früh Storylines wie die der Essstörungen sichtlich vorbereitet. Tolle Reihe. Kann Band 5 kaum abwarten.
Hin und wieder steht da noch irgendwo „Kazé Manga“ als Verlag, aber inzwischen gehört der zum Hause Crunchyroll und das ist auch offiziell das Label dessen. Seit einigen Monaten schon macht Crunchyroll nicht nur in Anime, sondern auch in Manga. Spannend. „Never Good Enough“ ist nicht mal der erste, der unter dem orangenen Label bei mir zuhause einziehen durfte. Insgesamt gehörte „angelesen“ heute damit vorrangig männlichen Hauptfiguren. So oder so besteht Nachholbedarf bei GL, aber irgendwie habe ich die Reihen, die mich ansprechen noch nicht gefunden. Habt ihr Tipps? In anderen Bereichen des queeren Spektrums, beispielsweise Trans-Protagonist:innen hätte ich ein paar Reihen im Kopf wie „Boys Run the Riot“.
In „angelesen“ sammle ich die Eindrücke von Buchreihen, die ich lese. D.h. insbesondere von Manga und Comics, die ich noch nicht abgeschlossen habe und deswegen nur als Teil eines Ganzen betrachten kann. Wer andere Literatur sucht und die Meinung zu abgeschlossenen Reihen, findet die in ausgelesen, einer weiteren Rubrik hier im Blog. 🙂
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