Leipziger Buchmesse 2023 – der Samstag. Deutsche Manga, Klimamesse und schon wieder die KI

Der Messe-Freitag hatte die Nostalgie des Zurückkehrens zu einem geliebten Ort der Begegnung, des Rumnerdens, vielleicht auch des Kommerzes. Mangaka live sehen, Autor:innen lauschen, Bücher anfassen – vielleicht auch mal mitreden. Da ist aber die Frage aller Fragen von denjenigen, die schon länger die Messe besuchen – wie voll wird es am Samstag wirklich? 😉 Ich spoilere mal soviel: ich musste zwar mal zwanzig Minuten für einen Cappucchino anstehen, aber es gelang mir ihn während des Laufens in den Hallen zu trinken und nichts zu verschütten. Überlegt euch selber, ob das meine Skills sind oder das was über die Messe sagt. 😉

Davor

Es gibt einen unsichtbaren Shift zwischen dem Messe-Freitag und dem -Samstag. Der Frühstückssaal meiner Unterkunft war deutlicher voller, die Öffis knackevoll. Manche Dinge ändern sich nie. Aber es liegt ja auch nur in der Natur der Sache. Schließlich haben am Samstag alle frei. Das Personal des Leipziger Nahverkehrs hatte den wahrscheinlich dritten langen Arbeitstag und einfacher wurde der definitiv nicht. Neben allem was sowieso schon los war, waren Scheiben an der Straßenbahnhaltestelle am Hauptbahnhof eingeschlagen. Mensch, da versucht sich Leipzig schon rauszuputzen und dann wird es ihnen auch nicht leichter gemacht. Ich war ausgeschlafen, meine Stimmung ungebrochen gut.

Kommerz und noch mehr deutsche Manga

Mein erster Programmpunkt hätte eigentlich das Thema Radikalisierung durch Medien adressieren sollen. Und war unauffindbar. Ich weiß bis heute nicht, ob der Termin einfach ausfiel oder ich den übersehen habe. So ging ich meiner Wege und erkundete die MCC und Artist Alley. 🙂 Bei den Verlagen griff ich auch zu und ergatterte noch eine Ausgabe mit Variant Cover von Night of the Living Cat Band 1, worauf ich schon am Freitag ein Auge geworfen hatte. Bis dahin dachte ich noch: aber hey, kaufen kannst du immer, das musst du nicht auf der Messe. Jaja. Auch der Phantastikbuchhandlung stattete ich einen Besuch ab und erlaubte mir kleinere Spontankäufe. Für alles andere, was ich auf der Messe sehe, würde ich aber den lokalen Buchhandel bemühen. Aus Gründen. Nichts gegen Hugendubel, denn die betrieben dieses Jahr die Messebuchhandlungen. Abgesehen davon kann man auch bei den Messeständen der Verlage kaufen. Leider leer ging ich bei meinen Bemühungen aus Ausgaben offiziell vergriffener Mangabände zu finden. Auch hier – keine Spur. In der MCC ergatterte ich auch noch ein Poster und suchte mir dann ein schönes Plätzchen vor der Bühne. Die heißt zwar immer noch schwarzes Sofa, nur stehen die schwarzen Sofas nun inzwischen im Publikum und auf der Bühne Stühle.

Dort stellten Egmont Manga und Daniel Eichinger sein später im Jahr erscheinenden Einzelband Jovantore vor. Eichinger hat schon vor einiger Zeit eine Kurzgeschichte bei Egmont veröffentlicht und legt nun nach. Vom Stil her erinnert der stark an Tsutomu Nihei (BLAME!), obwohl Eichinger als seine Vorbilder u.a. Ghost in the Shell und Akira angab. Es freut mich jedenfalls sehr zu sehen, dass der deutsche Manga Zuwachs bekommt und so deutlich Genres bedient und unterschiedlichen Stilen Platz einräumt. Danach konnte ich gleich sitzen bleiben und wartete auf Manga Cults Vorstellung zum Thema Manga für Erwachsene. Dass die Moderatoren die Brücke schlagen wollten vom Vorurteil „Manga sind nur was für Kinder“ bis hin zu Manga, die sich sehr wohl an ein erwachsenes Publikum richten und dramatische bis abgründige Inhalte bieten hat mir dann etwas zu lange gedauert und … ich ging. Vielleicht lag es auch daran, dass ich die versprochenen Titel (u.a. Blood on the Tracks, Dorohedoro) schon kenne und deswegen nicht viel neue Erkenntnisse erwartet habe. Stattdessen hoffe ich, dass andere spätestens hier auch erkannt haben, dass Manga viel zu bieten hat und v.A. für alle Geschmäcker und Bedürfnisse.

Science-Fiction und das leidige Thema KI

Gestärkt nach einer Mittagspause in Halle 1, wanderte ich weiter zur Phantastischen Leseinsel zu einem Vortrag mit dem Titel Science-Fiction: Eskapismus versus warnende Stimme. Wie so oft finde ich im Nachhinein den Titel nicht so gut gewählt. Von der Beschreibung her hatte ich mir hier Beispiele und Diskurs erhofft, wann Science-Fiction Eskapismus ist und wann Zeitgeschehen aufgreift oder sogar vorhersagt. Bei der Podiumsdiskussion erörterten Joshua Tree, Ivan Ertlov, Timo Leibig, Ralph Edenhofer und Cliff Allister v.A. die Rolle der Künstlichen Intelligenz und von ChatGPT im Speziellen. Von Eskapismus war dann keine Rede mehr. Da ich mich schon eine Menge (auch aus beruflicher Neugier) damit beschäftigt habe, konnte mir der Vortrag nicht mehr viel Neues erzählen. Stattdessen hatte ich das Gefühl, dass alle gemeinsam erörtern, ob ChatGPT nun schon eine KI ist oder nicht. Da bin ich bei Cliff Allister. Der Begriff KI hat sich verändert. Statt eine denkende, fühlende, bewusste Maschine zu erwarten, geben wir uns inzwischen bei jedem Entscheidungssystem, Algorithmus mit Lernkurve oder Natural Language Processor mit dem Label KI zufrieden, was ich offen gestanden ganz schön blöd finde. Daher hat mir die Diskussion auch wenig Spaß gemacht und steckte für mein Informatikerinnen-Herz voller Ungenauigkeiten. Ich weiß auch nicht, ob es eine zielführende Richtung für das Thema und den Personenkreis war. Natürlich kenne die Autoren ihren Sh*t, aber ich hätte mir eine der Literatur nähere Veranstaltung gewünscht. Worin wir uns aber alle einige sind: seid nett zu KIs, egal ob die nun bewusst sind oder nicht. Man trainiert nun eben die Engine mit und naja, unser Umgang mit dem Thema hat eben auch viel mit unserer eigenen Menschlichkeit zutun. Währenddessen frage ich mich noch wo eigentlich die deutschen Science-Fiction-Autor:innen waren?

Weibliches Schreiben

Im nächsten Termin gab es ein Wiedersehen mit Julia Schoch und ihrem Buch Das Liebespaar des Jahrhunderts. Ich hätte mich vor der Messe nicht als Schoch-Fangirl bezeichnet, aber bin es scheinbar geworden. So nahm ich dankend die Möglichkeit wahr ihr hier nochmal mit besserer Sicht in der ersten Reihe zu lauschen. Das Interview hatte den Titel Weibliches Schreiben, was ist das? und hat auch nach der Vorstellung des Romans den Bogen dahin geschlagen. Natürlich ging das nicht ganz ohne autofiktionales Schreiben zu erwähnen – das ist ja die neue Rampensau, die durch’s Dorf getrieben wird. Das Label kommt mir immer etwas überflüssig vor, da es ein so unscharfer Begriff ist. Steckt nicht zwangsläufig ein kleinerer oder größerer Anteil an Autofiktionalität in allen Fiction-Werken? In der Lesung mit Schoch, der ich Donnerstag abend beiwohnte, war das auch schon mal Thema. Die Autorin ging hier v.A. darauf ein wie sie an die Themen ihrer Bücher rangegangen ist. Auf die Frage aus dem Titel der Veranstaltung gab Schoch an, dass sie nicht von einem feministischen Standpunkt her schreibt, da dieser politisch ist, sondern von einem menschlichen. Vielleicht liegt in dieser Bescheidenheit nicht alles für sich beanspruchen, zu labeln und den Ton vorgeben zu müssen ein Merkmal weiblichen Schreibens.

Nochmal Ukraine, #Klimamesse und „meaoiswiamia“

Da ich Julia Schoch so gespannt zuhörte, dass ich die nächste Veranstaltung vergaß (österreiche Manga-Webtoons!), stattete ich kurzerhand den Ukrainian Writers at War einen Besuch ab. Das waren allerdings anders als der Titel vermuten lässt die Eindrücke wiedergegeben von einem Writer, Artem Chapeye. Es handelte viel von der Frage wer eigentlich auf dem Schlachtfeld kämpft und mit welchem Mindset. Chapeye selber meldete sich freiwillig für den Kriegsdienst in der Ukraine. Da ich nun schon im Bereich international und Übersetzung unterwegs war, stattete ich auch dem Gastland Österreich einen Besuch ab. Gefühlt hat Österreich sich viel umfassender auf und außerhalb der Messe präsentiert als ich das bei früheren Gastländern wahrnahm. Es gab zig Veranstaltungen, selbst auf der Plakatwerbung für die LBM waren sie vertreten, das Motto meaoiswiamia („mehr als wir“) war überall zu sehen. Zum Motto schreibt die offizielle Webseite der LBM: „Als ein Land, das die Idee von Solidarität und Gerechtigkeit hochhält. Das weiß, dass man sich um die Demokratie täglich bemühen muss und es dazu unbedingt die Kunst und ihre Freiheit braucht.“ Das gab das Programm auch wieder, soweit ich das gesehen habe und am Stand erstöbern konnte.

Mein letzter Programmpunkt des Tages stellte die Frage Wieviel Buch verträgt die Welt? am Stand des Verbandes Deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Sarah Weiß sprach dort über klimaneutrales produzieren von Literatur und davon, dass es schon die kleinen Dinge tun. Auf eine aufwendige Prägung verzichten (ja, sogern wir schöne Bücher mögen) oder dass es allein schon tun würde, wenn Bücher eine längere Qualitätskontrolle (Lektorat, uws.) erhalten und so nicht „sofort alles auf den Markt geschmissen wird“. Und dann entweder on demand oder in großen Margen produziert würden. Moderator Sven j. Olsson stellte die wichtigen Fragen nach Lohn und Brot der Schriftsteller:innen, was noch ganze andere Themen der Buchbranche auf den Tisch brachte und die Weiß gut parieren konnte. All das Papier. Es lohnt sich darüber nachzudenken, gerade nun in Zeiten steigender Preise.

Danach

Damit endete dann auch schon die Buchmesse für mich. Der Abschied fiel mir schwer. So lange drauf gewartet, so schnell vorüber. Aber es war schön. Entgegen der Kritiker:stimmen hatte die Leipziger Buchmesse ein nennenswertes Comeback mit 274.000 Besucherinnen und mehr als 2.000 Ausstellenden aus 40 Ländern. (Quelle: ZDF) Durch die Themen mit Gegenwartsbezug habe ich die Messe als sehr relevant erlebt – zwischen Ukraine, KI und Klimamesse fand ich soviele Programmpunkte, dass ich pragmatisch und praktisch nicht alle besuchen konnte, die mich interessierten. Gemessen an den Gästen war die Messe schon deutlich auf die deutsche Literaturbranche fokussiert wie wir das kennen. Neben denen die ich schon erwähnt habe, waren auch u.a. Robert Seethaler, Ben Aaronovitch, Michael Tsokos, die schwer wegzudenkenden Frank Schätzing und Kay Meyer, Arno Geiger und aus der Mangaecke Martina Peters, Gin und Ban Zarbo anwesend. Und Roland Kaiser!? Auch BookTook und Bookstagram haben mit Jahren Verspätung die LBM erobert und hatten dedizierte Veranstaltungen. Blogs sind tot heißt es, trotzdem hat man sich jetzt (erst) getraut Buchblogger:innen auf die Bühnen zu holen. So konnte man Jill von Letterheart, Tralalit oder auch Kaffeehaussitzer Uwe auf den Bühnen sehen neben diversen Buchveröffentlichungen und -vorstellungen von Buchbloggenden.

Überraschenderweise habe ich die Messe aber auch rücksichtsvoller erlebt. Es gab kein Schubsen, kein Drängeln, kein Stöhnen, kein genervt sein. Vielleicht hat die Pandemie eben doch ein bisschen was verändert. Klar, insbesondere das digitale in dem wir drei Jahre gelebt haben, hat einige zu selbstvergessenen Zombies gemacht. Abrupt stehen bleiben, auf das Handy starren, schnell mal ein Selfie und/oder Video – es hatte schon manchmal komische Züge. Aber selbst auf der MCC fühlte ich mich zu den Zeiten, an denen massiver Andrang zu erwarten war nicht so als ob ich nur mit dem Strom mitfließen kann. Obwohl es Samstag deutlich voller war als Freitag, keine Frage. Liegt vielleicht auch an den breiteren Gängen dort. Der spätere Start der Messe hat ihr einen schönen Frühlingsanstrich verpasst – nächstes Jahr findet die LBM allerdings wieder im März statt. 😉 Überrascht hat mich auch, dass ich bei fast jeder Veranstaltung einen Platz bekam und manchmal sogar in der ersten Reihe. Vielleicht liegt es aber einfach daran, dass sich gar nicht soviele durch das dicke (dieses Jahr rein digitale) Programmheft wälzten und einfach auf der Messe treiben lassen. Mein Messeausflug endete sogar mit einer Bahnfahrt, bei der ich meinen reservierten Platz bekam und niemand stehen musste. War es jemals so entspannt oder habe einfach ich mich verändert? Allerdings merke ich zum Zeitpunkt des Schreibens, dass ich mir neben Büchern auch offenbar eine dicke Erkältung mitgenommen habe.

Falls der Artikel das nicht zum Ausdruck brachte: woah, war das schön. Ich habe die Messe sehr genossen, auch wenn ich zum Zeitpunkt des Erscheinens meines Posts hier sicherlich inzwischen mit Schnupfen und Fieber flachliege – danach zu urteilen wie ich mich gerade fühle. Wart ihr am Samstag auf der Messe? Welcher Typ Messebesucher:in seid ihr!? Von Programmpunkt zu Programmpunkt jagen oder über die Messe flanieren und entdecken? Disclaimer: ich war als akkreditierte Bloggerin auf der Messe unterwegs. Diese Blogbeiträge sind aber keine Auftragsarbeiten oder Werbung. Weder von Verlagen, der Leipziger Messe GmbH, noch sonstigen Dritten. Solltet ihr euch auf den Fotos wiedererkennen und möchtet sie gelöscht haben, kontaktiert mich bitte. Zum Verdecken einzelner Personen habe ich folgende Free Emojis benutzt: emoji-1F60A, emoji-1F633, emoji-1FAE3, emoji-1F60F, emoji-1F60C, emoji-1F631, emoji-1F639.

2 Antworten

  1. […] Ein paar meiner Wünsche aus dem letzten Jahr sind übrigens in Erfüllung gegangen. 😳Die Leipziger Buchmesse fand statt, einige aus unserer Bubble traf ich dort ❤ und ich habe auch wieder regelmäßige […]

  2. […] Kaum ein Podcast oder Blogpost kam ohne aus und es wandelte gerade nur so durch die Gänge der Leipziger Buchmesse. Auch Julia Schochs offenbar auf drei Teile angelegte Reihe Biografie einer Frau musste sich das […]

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