Dass ich Simon Becketts Krimi „Die Chemie des Todes“ gelesen habe, ist schon eine Weile her. Nicht lange genug um zu vergessen, wer der Mörder ist. Aber lange genug, um gespannt auf die Serie zu sein. Leider war es ein für mich doch sehr ernüchterndes Erlebnis, denn was ich vergaß: ich habe mich sattgesehen an dem TV-Trope des unter seiner Vergangenheit leidenden Ermittlers. Auch wenn der Ermittler hier ein Forensiker ist. Die Besprechung ist spoilerfrei.
Im angrenzenden Wald einer kleinen englischen Gemeinde wird eine geradezu rituell verzierte Frauenleiche gefunden. Wie ein Engel wurde die Verstorbene inszeniert. Die örtliche Polizei braucht dringend einen Spezialisten, um feststellen zu können, um wen es sich handelt und wann der Todeszeitpunkt war. Da kommt es ihnen gerade recht, dass einer der ortsansässigen Ärzte mal als Forensiker arbeitete. Dr. David Hunter (Harry Treadaway) ließ sich erst vor Kurzem in der ländlichen Gemeinde nieder, um mit Dr. Henry Maitland (Lucian Msamati) eine Hausarztpraxis zu führen. Widerwillig hilft er der Polizei, denn eigentlich wollte er raus aus der Forensik. Doch ehe er sich versieht geschehen mehr Morde in der Gemeinde. Mehr als offensichtlich ist der Mörder unter ihnen. Neben der imminenten Gefahr verfolgen Dr. Hunter die traumatischen Erlebnisse, die dafür sorgten, dass er nicht mehr mit der Chemie des Todes konfrontiert werden wollte.
Wenn man wie ich oft und gern Krimis geschaut hat und das Motiv des von seiner Vergangenheit gebeutelten Ermittelnden nicht mehr sehen kann, wirkt Die Chemie des Todes unheimlich prätentiös. Sehr langsam, aber sehr kontinuierlich erfahren wir von Dr. Hunters schwerem Verlust, der einen Neuanfang erforderte. Neuer Ort, neuer Job, aber immer noch dasselbe Trauma. Das ist zwar gut inszeniert und gespielt, Harry Treadaway ist schließlich unser Mann für Trauma, aber es ist viel. Hunter verliert sich ständig in Tagträumen, sieht die Geister der Vergangenheit, obwohl er es besser wissen müsste. Stimmungstechnisch hat es mir die Serie nicht gut nachfühlbar machen können, dass Trauma so ist. Das größte Problem ist wohl Hunter selbst. Er ist sich dessen bewusst, aber es ist nicht erkenntlich, dass er etwas dagegen tut. Keine Therapie, nur stilles Leiden. Wieder Forensiker sein, obwohl es … ja was eigentlich? Hilft oder triggert? Seine rationale Denke muss wohl da sein, trotzdem läuft er den Schemen und geistern hinterher, bringt sich sogar in Gefahr. Hier wäre weniger durchaus mehr gewesen, da es den Eindruck erweckt, dass das alles zu rein dramatischen Zwecken in die Handlung eingefügt wird.
The Chemistry of Death | Official Trailer | Paramount+, Youtube
Selbst wenn man darüber wegsehen kann, sind viele Dinge in der Serie furchtbar banal. Zum Beispiel, dass die Polizei keinen Forensiker von außerhalb rufen kann. Stattdessen eben mal schnell einen Backgroundcheck macht und erfährt, dass David Hunter der Spitzen-Forensiker ist. Das ist nicht nur ein sehr einfaches plot device, das grenzt schon an Verdummung des Publikums. So auch der Umstand, dass niemand David als Mörder in Erwägung zieht. Dabei springt es einem förmlich ins Gesicht, dass er mit allen Frauen kürzlich zutun hatte, die im Laufe der Serie verschwinden. Okay, fairerweise: es gibt einen Fall, der nicht zu der Reihe passt. Da hat man schon Fragen über die Polizeiarbeit. Auch wenn es natürlich ein ganz schöner Kracher wäre, wenn der Held sich hier als Mörder entpuppt. Ein letztes Beispiel ist für mich die groteske Einfachheit mit der in jeder Staffelhälfte eine mehr oder weniger verletzliche junge Frau auf Hunter losgelassen wird wie beispielsweise die junge Lehrerin Jenny Krause (Jeanne Goursaud), die immer wieder einen Neuanfang symbolisieren, v.A. aber erstmal seine Schuldgefühle und sein Trauma triggern.
Die Serie ist nun eben leider voll von „schon gesehen“ und den wohl eher ungünstigeren kreativen Griffen. Selbst der Vorspann mit seinen dunklen Vorausdeutungen der kommenden Motive und dem einfühlsam-nachdenklichen Titelsong erinnert mich eher an andere Krimis, die ich lieber gesehen habe (beispielsweise Luther und Vigil – Tod auf hoher See). Also auch hier nichts neues an der Front. Das kann ich feststellen, aber der Serie nur bedingt vorwerfen. Wer noch Spaß mit dem Motiv des leidenden Ermittlers hat, wird wahrscheinlich auch Freude mit Die Chemie des Todes haben. Aber ich bin nicht nur voll der Kritik.
Was ich im Buch wie auch hier beeindruckend fand, sind die Ausführungen und Gedanken Dr. David Hunters über Forensik. Von diesen Momenten hätte ich mir mehr gewünscht. Sehr zeitgemäß erscheint es mir wie die Tableaus bzw. Schauplätze der Morde gehandhabt wurden. Sie halten nicht mehr drauf als notwendig und fangen die vollen Implikationen durch stilistische Griffe ein. Das entsetzte Gesicht, die hochschießenden Flammen, der stumme Schrei, der Schauplatz ohne Leiche – aber mit unverkennbaren Spuren. Das merkt man ganz gut in der zweiten Hälfte der Staffel, die sich bereits dem zweiten Fall Dr. Hunters widmet und Becketts Roman Kalte Asche adaptiert. Das Werk eines Feuerteufels spielt hier eine große Rolle. Zudem ist Dr. Hunter (natürlich) auf einer abgelegenen schottischen Insel, die zudem wegen eines Unwetters (natürlich) keinen Funkkontakt zum Festland hat. Das ist wieder alles sehr abgedroschen, aber die Landschaft ist beeindruckend wie auch die Flammen, die zum Himmel züngeln und zum Grauen der Anwohner:innen verheißen, dass es erneut ein Opfer gibt. Das ist eine ganz andere Form von Hilflosigkeit, die auch optisch sehr gut umgesetzt ist. Die zweite Staffel hat mit dem Motiv der Überfahrt von Migranten auch ein augenscheinlich aktuelleres Thema. Die vielen verschiedenen Motive und Geheimnisse greifen hier sehr viel besser und ausgeklügelter ineinander als in der ersten Hälfte, die etwas stark komprimiert und gehetzt wirkt. Auch wenn die zweite Hälfte der Staffel mehr kann, ist das in Summe sehr wenig, um mich zu motivieren eine potentielle zweite Staffel zu schauen. (5/10)
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Während des Schauens habe ich nun natürlich sehr oft überlegt wie ich eigentlich das Buch fand? War ich da auch so wenig überzeugt oder warum habe ich damals nicht weitergelesen als der nächste David-Hunter-Roman erschien? Inzwischen sind es acht, wodurch wohl noch Stoff für einige Staffeln da ist. Habt ihr die Serie gesehen? Würdet ihr weiterschauen? Stand heute ist „Die Chemie des Todes“ bei Paramount+ verfügbar.
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