Serienlandschaft: Everything Wrong with „The Walking Dead“

Es ist getan! Ich habe endlich „The Walking Dead“ (TWD) zu Ende geschaut. Über die elf Staffeln hinweg, habe ich mich oft gefragt wie die Serie so viele Zuschauende anziehen und auch noch satte sechs Spin-Off-Staffeln generieren konnte. 🤔 Ich hatte ab und zu eine großartige Zeit mit der Serie, manchmal aber auch eine schwierige. Oftmals war ich kurz davor abzubrechen. Dieser Beitrag ist mein Fazit zum Phänomen TWD – und trotz des Clickbait-Titels gibt es auch ein „Everything Right“ nach dem „Everything Wrong“. Der Beitrag enthält Spoiler und bezieht sich rein auf die Serie, da ich die Comicvorlage nicht kenne.

Everything Wrong 👎

1. Billiger Shock Value, wo das Auge hinschaut

Irgendwann nannte ich TWD in meinen Besprechungen mal eine blutige Telenovela und denke immer noch, dass es das gut beschreibt. Man sollte meinen, dass das Überschreiten moralischer Grenzen der Kern von TWD sein sollte, aber die länger nachhallenden Gefühle sind definitiv die Empörung, wenn es mal wieder einen deiner Lieblingscharaktere auf eine schockierende Art dahingerafft hat oder sonst welche dramatischen Drehbuch-Entscheidungen gab, die offenbar sehr bewusst triggern und schockieren wollen. Man spricht dann gern von shock value. Um das zu erreichen, landen die Charaktere nicht selten im schlimmstmöglichen Szenario, sodass Zuschauende entsetzt sind, darüber reden, wieder einschalten, um zu erfahren, ob es noch Hoffnung gibt.

Beispiele gibt es zuhauf, ich habe mir zwei rausgepickt. Es reicht nicht, dass ein Charakter in der dritten Staffel seine eigene Mutter töten muss. Wobei sehr diskutabel ist, ob sie aus medizinischer Sicht eventuell sogar noch zu retten gewesen wäre!? Nein, danach wird ihr Leichnam auch noch von einem Walker komplett einverleibt. Das war bis dahin in der Serie nie gesehen und wurde auch nie wieder gesehen, was den Verdacht verstärkt, dass man bewusst reizen will. Ähnlich verhält es sich mit der Personalie Glenn, die ein Fan-Favorit ist und mit dessen Ableben mehrere Male gespielt wurde. Als es dann aber mal wirklich soweit war, suchte man sich das definitivste Szenario aus. Das lässt zumindest keine Zweifel, ob er als Walker wiederkommt. Aber es war auch ultra brutal, ein Tränenzieher und bewusst schockierend. Vieles daran hätte anders gestaltet werden können. Das Muster uns ausführlich die furchtbaren Tode bekannter (und vielleicht sogar geliebter) Charaktere zu zeigen, das von Bösewichten hingegen oftmals nicht, ist ein blödes Spiel, dem ich sehr wenig abgewinnen kann.

Conan Resents Negan For Glenn’s Death | Conan O’Brien Needs a Friend, Team Coco, Youtube

2. Alle haben super weiße Zähne

Unsere Gruppe lebt nun in meist widrigen Umständen, die sich die Serie ja an und für sich nicht scheut zu zeigen. Tagelang, ach, wochenlang laufen sie manchmal ausgehungert in Schmutz und Dreck umher. Aber zu real wollen wir auch nicht sein und die Serienstars haben wir gern hübsch. Deswegen tragen die Frauen die ganze Zeit über wahnsinnig unbequeme, eng anliegende Jeans. Überhaupt haben alle weiße Zähne und grundsätzlich tragen sie von den hygienisch schwierigen Umständen nicht wirklich viele Folgen davon. Also dreckig dürfen sie sein, aber unsere Stars wollen wir generell eher schön? Mh. 🤨

3. VFX, Maske und CGI im Wandel der Zeit

In meinen Notizen stand hier eigentlich nur „CGI Tiger“, damit ist Ezekiels treue Shiva gemeint. Aber wenn ich so über den Punkt Ausstattung und Effekte nachdenke, dann hatte die schon so ihre Höhen und Tiefen. In den ersten Staffeln waren die Walker optisch schon sehr hit & miss. Manchmal sahen sie großartig und v.A. großartig gore-ig aus. Dann aber wiederum sah die Maske mindestens genauso oft so aus als ob ich sie gemacht hätte (d.h. wie jemand, der keine Ahnung davon hat). War CGI involviert, war es bis einschließlich Staffel 7 eher unausgegoren und ein unschöner Stilbruch. Sowohl die erwähnte Shiva als auch beispielsweise Ricks Szene vor der Schrotthalde der Scavengers fiel optisch extrem stark ab. Was man der Serie aber auch zugestehen muss: die Effekte wurden viel besser. Auch das animierte Opening, das ab Staffel 9 eingesetzt wurde, kann sich sehen lassen.

4. Keine Organisation

TWD hatte schon so seinen Shtick. Zeigen, dass sich trotz der Walker, letzten Endes v.A. lebendige Menschen gegenseitig im Weg stehen und das Leben schwer machen. Zeigen, dass wir sehr weit zurückgeworfen werden ohne unsere Gadgets und Zivilisation. Dass wenn Ressourcen knapp sind, schnell moralische Werte kippen. Ok. Aber wie lange sich die Gruppen in keiner Weise organisieren und langfristig denken, ist schon sehr schräg. Immerhin fangen sie irgendwann in der dritten Staffel mal an was anzubauen. Später mal eine Karte zu zeichnen und untereinander zu handeln. Beeindruckt war ich, dass Michonne später eine Charta bzw. Gesetze für das Zusammenleben der Gemeinschaften aufstellt und Eugene an einer Langstrecken-Kommunikationsmethode arbeitet. Nicht beeindruckt war ich, dass das erst eher am Ende der elf Staffeln und mehr als fünfzehn Jahre passiert, über die sich die Serienhandlung erstreckt. Ich meine – ernsthaft!? Natürlich kann diskutieren, dass sie schließlich mit Überleben beschäftigt waren. Und dass sie Widersacher hatten und einige Male vertrieben wurden. Trotzdem denke ich, dass sich das nicht ausschließen muss.

5. Das immergleiche Muster mit dem Big Bad

Apropos Widersacher. Was mich irgendwann am meisten angeödet hat: die immergleichen Muster wie die Geschichte um den Big Bad hochgezogen wird. Sie mögen unterschiedliche Charaktereigenschaften oder „Dogmen“ haben, aber im Kern verlief das immer gleich. 1. Um den Big Bad gibt es stets eine Gruppe, die 2. ein bestimmtes Gebiet beansprucht und einen „peppigen“ Namen hat, der natürlich nie vorher in der Serie gehört wurde. 2. Die Führungsfigur hat stets eine als rechte Hand fungierende Person unerschütterlichen Glaubens. 3. In ihrer Sippe gibt es immer jemanden, der den Big Bad verrät. 4. Der Big Bad hat stets einen charismatischen Charakter und 5. ein Argument oder Mindset, mit dem sie andere „fangen“. Seien es Ressourcen (Gouverneur, Negan/Saviors, Commonwealth) oder eine religiös anmutende Ideologie (Pope/Reapers, Alpha/Whisperers). Und 6.: zu guter Letzt lügen sie, dass sich die Balken biegen und leben nach einer Doppelmoral. Spätestens mit den Whisperers hat nichts davon mehr für mich funktioniert und es wäre hilfreich gewesen, wenn die Drehbücher mal ein wenig von diesen Attributen abweichen. Vielleicht hat das kurze, aber gute Kapitel um Terminus deswegen für mich besser funktioniert als der ganze Whisperers-Arc zusammen.

6. Logiklücken

Ja, ich weiß – es macht nicht immer Spaß, wenn man Serien mit Logik zerredet. Hier überlasse ich einfach anderen das Feld, denn es gibt auch genug Leute, die sich mit der mangelnden Logik in TWD auseinander gesetzt haben und darüber 8h lange Youtube-Videos gemacht haben. 😳 Aber zwei der für mich schrägsten Logiklücken war der Plan der Saviors die Leute aus Hilltop mit Waffen zu drangsalieren, die mit Zombie-Blut infiziert sind. Die kontaminierten Wunden führen in den Episoden zum schleichenden (pun intended) Tod. Warum war das nicht die ganze Zeit so? Wunden gab es viele, Walker-Blut war überall. Meine andere schlimmste Logiklücke: wie sprunghaft sich in Staffel 8 eine Anti-Allianz aus Daryl, Jesus und anderen gegen Rick bildet. Da wurde wenig vorbereitet. Man wechselt einfach plötzlich vom Bruder im Geiste zu Erzfeind. Das hatten sie sonst besser drauf.

Ich könnte hier auch nennen, dass die Walker überhaupt so lange noch Energie haben und sich bewegen können. Aber ich schätze, dabei handelt es sich um eine Logiklücke, die alle Zombie-Stoffe teilen.

7. Die Whisperers

Dass die Whisperers unter ihren Lebensbedingungen überhaupt so lange überlebt haben, ist mir ein Rätsel. V.A. weil mir die Serie ja kurz vorher noch weismachen wollte, dass man schleichend stirbt, wenn Walker-Biomasse in Wunden gerät. Das dürfte für die Whisperers ein Problem darstellen, laufen sie doch in Walker-Skins rum. Aber auch alles andere um die Ideologie der Whisperers funktioniert für mich nicht. Namen und die Vorstellung von Individuen finden sie doof, aber „Alpha“, „Beta“, „Gamma“ ist ok. Die Guardians (=Walker) sind heilig, aber ab und zu einen Aufschlitzen ist ok! Come on ey … .

8. 💕 Love in Walkers-Paradise

Wie die Serienschöpfer hier mit Liebesbeziehungen umgehen ist durchwachsen. Manche zelebrieren sie wie Maggie und Glenn. Ok, sehe ich. Wie auch einige andere. Aber es ist fast grotesk wie beispielsweise in den ersten Staffeln die Dreiecksbeziehung Rick/Lori/Shane ausgeschlachtet wird. Während Rick ganz klar als (noch) moralisch erhaben dargestellt wird, ändert sich Loris und Shanes Einstellung gegenüber einander fast täglich und lässt einen manchmal fragen, in was für eine Serie man geraten ist. (Telenovela, ich hab’s doch gesagt.) Andere Paare, von denen ich gern mehr gesehen hätte (zum Beispiel wie sie überhaupt zueinander fanden), kamen erstaunlich kurz. Meine Top-Beispiele sind Aaron x Jesus oder auch Gabriel x Rosita. Vor Allem letztere sind für mich wie ein Riesen-Plot-Hole, das mir die Serie nie wirklich erklären konnte. Zu dumm, denn dann ist man meist auch deutlich weniger emotional investiert und so bindet man Zuschauende sicherlich nicht.

9. Warum sagt niemand „Zombie“?

Dafür gibt es laut Serienschöpfer Robert Kirkman eine Erklärung: unsere Protagonist:innen leben einfach in einer Welt, in der es den Begriff nicht gibt. So gut, so naheliegend. Wären wir für die Zombie-Apokalypse deswegen besser vorbereitet? 😅 Ich fürchte nein. Generell leistet diese kreative Entscheidung für mich also wenig.

10. Zombie ohne „Zombie“ ok. Aber Zombie ohne Horror? 🧟‍♂️

Klar, Walker sind eine Gefahr. Aber „slow zombies“ auch wieder eher weniger. Horden schon eher. Aber ansonsten? Es ist kein Zufall, dass Walker immer weniger eine Bedrohung darstellen und diese Rolle eher lebendigen Menschen zukommt. Aber ein wenig schade ist es schon, dass wir hier eine Zombie-Serie ohne Horror schauen. Einige wenige Episoden versuchen das Horror-Feeling nochmal zu channeln und die elfte Staffel präsentiert uns aus dem Nichts kommende schlauere Zombie-Varianten. Wer weiß in welchem Spin-off das nochmal aufgegriffen wird. Am Ende ist es ein Red Herring, um Zuschauende eines sterbenden Franchise bei Laune zu halten.

Everything Right 👍

Wenn das jetzt alle so schlecht ist, warum habe ich dann satte elf Staffeln geschaut? Naja, beim Serien gucken (und Filme und Bücher lesen) war mein Drang schon immer das große Ganze zu sehen. Überhaupt bemerken zu können, ob sich da noch was ändert. Auch hänge ich meist stark an meinen Lieblingscharakteren. Wie viele Serienformate setzt TWD natürlich auch auf Muster, um zum Weiterschauen zu bewegen. Cliffhanger, Foreshadowing, Werbestrategien. Der übelste Cliffhanger war wohl der am Ende von Staffel sechs als Negan das erste Mal auftritt und Lucille schwingt. Außerdem muss man der Serie zugute halten, dass sie einige Dinge sehr gut beherrscht, die dazu beigetragen haben, dass sie in meiner Gunst nicht nur sinkt, sondern auch steigt.

1. Repräsentation, Diversität, Inklusion

Hier können sich andere Serien mal eine Scheibe abschneiden. ✨ The Walking Dead hat einen sehr diversen Cast und eine vielseitige und inklusive Figurenzeichnung. Quasi von den ersten Episoden an gibt es sehr selbstverständlich Personen verschiedener Sozialisierungen, Hautfarben, Kulturen, Religionen eine Bühne und repräsentiert die LGBTQ+ Community. In späteren Staffeln treten mit Angel Theory und Lauren Ridloff Darsteller:innen in Erscheinung, die zum Einen selber hörgeschädigt sind, als auch entsprechende Charaktere verkörpern. Das alles geschieht so selbstverständlich in der Serie wie ich es mir vom echten Leben wünschen würde. Noch besser: alle sind so mit Überleben beschäftigt, dass sie lieber Gemeinschaften bilden, zusammenarbeiten und klarkommen, als sich noch viel wegen ihrer Unterschiede aufzureiben.

daryl and connie most scenes I 1080p logoless, logoless multi, Youtube

2. Langfristige Planung

Man kann davon halten, was man will, aber sie planen ihre Spin-Offs. Klar ist es ärgerlich, dass Charaktere wie Morgan und Rick einfach irgendwann verschwinden. Aber es wäre noch schlechter, wenn sie einfach alle zur selben Zeit ihren Exit in der Hauptserie hätten. Zumal spricht es für The Walking Dead, das es nochmal bergauf geht, selbst als der Hauptprotagonist seinen Hut nahm. Vor Allem funktioniert die langfristige Schiene aber auf einer Ebene. Der hier:

3. Charakterreisen

Die kreativen Köpfe hinter TWD mögen viele seltsame Entscheidungen getroffen haben und manche Dramatik sehr künstlich erzeugen, aber so viel muss man ihnen zugestehen: über die Länge der elf Staffeln hinweg haben sie für einige Charaktere konsistente und schöne Reisen persönlicher Weiterentwicklung geschaffen. Man nehme Carol, die als einstiges Opfer häuslicher Gewalt zu einer der wohl Most Badass Ladys in Television wurde. Daryl, der vom Einzelgänger zu einem der wohl moralischsten Charaktere der Serie wird und der Inbegriff von „harte Schale, weicher Kern“. Michonne, die gezeichnet von Verlust in einen wortkargen Einzelgängerinnen-Modus geht, wird am Ende sowohl (nochmal) eine Familie gründen, als auch Führungsfigur mehrerer Gruppen Überlebender, die sich als eine von wenigen für Gesetz und Ordnung einsetzt. Eugen, Siddiq und so viele mehr! Vielleicht schaut man deswegen so gern für die Lieblingscharaktere bis zum Ende volle elf Staffeln durch. Seufz. 😉

Carol Peletier Top 10 most badass moments, Farkham4, Youtube

4. Comic Relief

Das ist eigentlich nicht nur gut. Genauso wie nicht alle Punkte da oben nur rein schlecht sind. Nachdem es richtig derb wurde, schenkt uns die Serie ziemlich mustergültig Comic Relief oder Entwicklungen, die ein wenig Hoffnung aussenden. Das ist manchmal auch nur ein schwacher Trost, aber oft genug kreiert es einige der besten Szenen der Serie.

Rick & Daryl Funny Moments, MAD MAN, Youtube

Wie kann das Fazit lauten?

Ich habe es nicht bereut den Hype TWD zu beobachten, Lieblingscharaktere zu finden und einige ikonische Serienszenen gesehen zu haben. Wie so oft, kann man nur sagen: habt ihr Bock drauf, schaut es. Es hat seine Momente, aber offensichtlich auch viele Knackpunkte, die mich auch häufig zur Weißglut getrieben haben. Staffeln sieben und acht haben mich regelrecht wütend gemacht. Kennt man diese Probleme, wundert es einen nicht, dass die Serie im Laufe der Zeit mehr als 70% seiner Zuschauerschaft verloren hat. Falls ihr das eine oder andere nochmal Revue passieren lassen wollt, findet ihr hier die Serienbesprechungen im Detail:

Übersicht der Reviews: Season 1 | Season 2 | Season 3 | Season 4 | Season 5 | Season 6 | Season 7 | Season 8 | Season 9 | Season 10 | Season 11

Es ist reiner Zufall, dass Daryl in allen diesen Videos ist. 😊 Naja nicht ganz. Norman Reedus und Death Stranding haben erstaunlich viel damit zutun, dass ich die Serie überhaupt geschaut habe. Während mich die Popularität von TWD anfangs sogar eher fernhielt. Wie steht ihr zu „The Walking Dead“? Ist die Anzahl „Wrongs“ gegenüber „Rights“ eurer Meinung nach korrekt oder ungerechtfertigt?

Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei.

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