Ein Mädchen irrt durch eine verlassene Stadt auf der Suche nach etwas essbarem und Wasser. Unter ihrem Kleid versteckt sie ein großes Ei. Größer als alles, was man jemals gesehen hat. Wo und wie entsteht in dieser verlassenen Welt neues Leben? Und falls überhaupt etwas aus dem Ei schlüpfen kann, was ist das? Anzunehmen, dass es nichts menschliches ist. All die Fragen lenken auch die Aufmerksamkeit eines Soldaten auf das Mädchen und das Ei. Stumm folgen wir beiden durch eine menschenleere Stadt, zerklüftete Ruinen. Bis die Flut kommt.
Am Ende der besondere Reise des Mädchens und des Mannes bleiben viele Fragen offen. Woher kommt der Soldat? Was ist seine Mission? Sind die Fische eine Bedrohung, deren körperlose Schatten an den Hausfassaden vorüberziehen? Leben die Fischer noch oder sind sie viel mehr ein Überbleibsel eines bis zuletzt gekämpften Kampfes? Manches könnte eine Metapher auf Krieg sein, der entmenschlicht. Andere Motive sind klar biblisch (Flut, Arche, etc). Man kann dem Film leicht vorwerfen, dass er vieles davon mehr oder weniger wahllos in den Raum wirft. Dass er wegen mangelnder Erklärungen mehr eine Projektionsfläche für Zuschauende ist, die dann zu abenteuerlichen Interpretationen kommen. Auf Letterboxd las ich eine Review, die in dem Film eine postapokalyptische Fabel sieht, die nach einem nuklearen Holocaust spielt. Wo kommt denn jetzt das nuklear her!?
Letzten Endes fördert aber diese scheinbar zusammenhangslose mancher Motive (bspw. die Fische) den traumhaften Charakter und die Atmosphäre des Films. Interpretieren kann jede:r individuell. Laut Quellen weiß Oshii selber nicht, was der Film bedeutet. Bei solchen Aussagen weiß ich immer nicht so ganz, ob das Untertreibung, Bescheidenheit oder der Versuch ist den Mythos aufrecht zu erhalten. Für mich ist Angels Egg die Geschichte einer vergessenen Zivilisation und von Zweien, die darin nach ihrem Sinn suchen. Aber auch davon, was passiert, wenn wir zu lange nur uns selbst und unseren Überzeugungen überlassen sind.
Die Animation ist klar ein Kind der 80er, nicht zu gut aufgelöst und verlässt sich auf Überblenden, die aus heutiger Perspektive ein wenig billig wirken (ich denke da v.A. an das Ende und die letzten Frames). Punktet aber mit Momentaufnahmen, die sehr genau Natureindrücke aufgreifen und sich vieler klassischer Stile bedienen (Gotik, Art Déco, biblische Motive und Symbolismus) und sie zu einem fast steampunkigen Sci-Fi-Look vereinen. Ich mag das sehr so wie die Idee des Engels-Fossils, auch wenn Oshii die eigentlich für einen Lupin-Film verwenden wollte. Aus der nicht mehr benötigten Idee hat er Kunst gemacht.
Angel’s Egg (OT: 天使のたまご „Tenshi no Tamago“), Japan, 1985, Mamoru Oshii, 71 min
Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😁
Schreibe einen Kommentar