Inu-Oh ist ein Rock-Musical, das im historischen Japan spielt. Klingt nach einer wilden Mischung. Ist es auch! Und war einer meiner Lieblingsfilme des vergangenen Japanuary. Darin sorgen im Japan des 14. Jahrhunderts ein paar kaiserliche Insignien für einschneidende Veränderungen im Leben zweier Jungen. Durch einen Unfall mit einer der Insignien erblindet der kleine Tomona. Er verlässt sein Heimatdorf und schließt sich Mönchen an, die sich dem Spiel auf der Biwa (eine Art Laute) widmen. Auch Tomona erlernt das, hat aber eine ganz andere Art Lieder im Sinn. Er lernt auf seinen Reisen einen anderen Jungen kennen, der offenbar deformiert ist und vor dem sich andere Leute fürchten. Tomona kann aber eh nicht sehen und der Andere, der sich selber Inu-Oh nennt, findet in ihm einen Verbündeten und vielleicht den Einzigen, der ihn versteht. Denn auch Inu-Oh hat einen Wunsch, der ihm verwehrt bleibt: Inu-Oh will tanzen.
Nach einer etwas länglichen und rätselhaften Einleitung geht der Film erst richtig los, wenn Tomona und Inu-Oh sich zusammentun. Sie finden Wege Inu-Ohs Gestalt zu verschleiern, sodass die Leute ihn nach seiner Leistung und nicht seinem Aussehen bewerten. Tomona spielt dazu Songs, die man gut und gern als metal bezeichnen kann. Beide zusammen sind etwas noch nie dagewesenes, das schnell Publikum findet und bald frenetische Fans. Es wirkt wie ein Rockkonzert. Tatsächlich eher ein Vorreiter des No-Theaters für das hier eine Metapher gefunden wird. Ihre Auftritte schaukeln sich zu Ekstase hoch. Die Shows sind mit einfachen Mittel gemacht, aber grenzen nicht nur optisch an Magie. Denn beide erzählen in ihren gemeinsamen Shows Legenden des verschwunden Clans der Heike. Und das hat eine überraschende Wirkung, denn die Heike haben darauf gewartet, dass jemand ihre Geschichten erzählt. Wer sich ein bisschen auskennt, wird sich an den Manga, die Anime-Serie oder Verfilmung Dororo erinnert fühlen.
Natürlich bleiben all diese Wunder und der ganze „Fame“ nicht ohne Gegenreaktion. Wie grundsätzlich immer alles Neue Kritiker:innen findet, sind sowohl die Wunder, als auch die schiere Art der Musik manchen ein Dorn im Auge, was zu Repressalien für Tomona und Inu-Oh führt. Gerade die ist aber auch das wunderschöne an dem Film, der in ein echtes Gefühlschaos stürzt. Mitreißende, coole Musik: Biwa und traditionelle japanische Lieder, wie ich sie noch nie gehört habe. Darauf die (anfangs etwas schwer entschlüsselbaren) mysteriösen Zusammenhänge und das geteilte Leid der Schicksalsgemeinschaft aus Tomona und Inu-Oh. Mitten drin wird noch ein bisschen Gore gestreut, aber auch historische Fakten. Inu-Oh ist so vieles! Vor Allem macht es greifbar was für eine Revolution, was aber auch für ein Affront die Musik, der Tanz und das Schauspiel für die damalige Kultur und Gesellschaft bedeutete. Nichts Großes gedeiht ohne Reibung.
Genau das überfordert auch mal anfangs kurz, bevor der Film in einem wunderbaren emotionalen Finale mündet, das dann auch endlich alle Fragen klärt. Es galt noch nie so wie bei diesem Film, dass sich dranbleiben lohnt und dass kein Trailer der Welt zusammenfassen kann wie viel der Film zu bieten hat. Besonders schön ist, dass er zwei Protagonisten hat, die trotz und gerade wegen ihrer Behinderungen ihre Ziele verfolgen, ihre Begabungen entdecken und eine tiefe Verbundenheit zueinander.
Inu-Oh (OT: 犬王), Japan, 2021, Masaaki Yuasa, 98 min, (9/10)
Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. ♥
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