ausgelesen: Haruki Murakami „1Q84“ Buch 3

Meine Review widmet sich Buch 3 und enthält daher Spoiler für Buch 1 und 2 – lieber kein Risiko eingehen 😉 oder einfach Review zu Buch 1 oder Buch 2 lesen.

Inhalt

Im letzten Band der 1Q84-Reihe von Haruki Murakami beobachten wir dieses Mal 3 (Anti)Helden, wenn man so will. Aomame war kurz davor ihrem Leben ein Ende zu setzen – wahrscheinlich weil sie über den ihr bekannten Weg nicht in das normale Jahr 1984 zurückkehren konnte. Sie geht zurück in ihr Versteck, allein mit ihren Gedanken und der Frage, wann sie entdeckt wird. Als ein angeblicher Rundfunk-Gebührenkassierer an ihre Tür hämmert und zu verstehen gibt, dass sie ihm „nicht entkommen kann“, besteht der Verdacht, dass sie schon entdeckt wurde. Tengo hingegen hat eine „Puppe aus Luft“ im Bett seines komatösen Vaters gesehen. In der Hoffnung, dass die Erscheinung noch einmal auftaucht und er die Umstände versteht, bleibt er bei seinem Vater und arbeitet die Beziehung zu ihm auf. Es scheint anfangs so, als ob die Liebenden nun noch weiter voneinander entfernt sind als zuvor. Aber ein dritter Akteur kommt ins Spiel: Ushikawa. Er ermittelt im Sinne der Vorreiter und versucht Aomame aufzuspüren. Die Schlinge scheint sich um ihren Hals zuzuziehen, aber als sie eines Tages starr vor Schock von ihrem Fenster aus Tengo sieht, steht fest: jetzt wo sie ihn gesehen hat, kann sie nicht einfach fliehen.

1Q84 Buch 3
1Q84 Buch 3

Hintergrund

Haruki Murakamis Buchreihe widmet sich mehr oder weniger unterschwellig dem Thema der Glaubensgemeinschaften und Sekten. So wird sehr oft Aomames Kindheit in einer Familie der Zeugen Jehovas thematisiert. Bedrohlich und grenzwertig hingegen sind die wenigen Informationen, die man über die sogenannten Vorreiter erhält. Eine Sekte, die so etwas wie eine Verbindung zu den Little People herstellt und sich dazu einiger extremer Mittel bedient. Unter dem Deckmantel eines höheren Zwecks („die Stimmen zu empfangen“) werden minderjährige Mädchen missbraucht. Was sich Murakami da ausgedacht hat, bewegt sich schwer an einer gewissen Grenze und ist eine bedrohliche Karikatur auf das, was man über Sekten zu wissen glaubt. So wird der Missbrauch hier als ein Ritual entschuldigt. Bereits in Band 2 hat sich der geistige Führer der Sekte als ein Opfer dargestellt, der sich seine Rolle und den Missbrauch nicht wünscht und tatsächlich übermenschliche Fähigkeiten hat. Damit bringt er sowohl Aomame, als auch den Leser in eine fiese Grauzone zwischen „ich glaube ihm“ und „ich glaube ihm nicht“ und löst einen extremen Gewissenskonflikt aus. Der Missbrauch, die Rituale, die Morde – das sind insgesamt sehr krasse und überspitzte Metaphern für das was man über Sekten zu glauben denkt. Der Leser dieses Beitrags, der einer anerkannten außerkirchlichen/alternativen Glaubensgemeinschaft angehört, sollte sich jetzt nicht von mir überfahren fühlen. Murakamis Buch enthält deutliche Anspielungen auf die Aum-Sekte (eigentlich Ōmu Shinrikyō), die 1995 einen Giftgasanschlag auf die U-Bahn in Tokio ausübte und 6.252 Opfer, darunter ca. ein dutzend Tote, nach sich zog. Das nur mal so am Rande, um die Größenordnungen einzustufen. Insgesamt gibt es in Japan eine gewisse Grauzone an neuen Religionen, die nicht alle durch Buddhismus, Christentum o.A. beeinflusst wurden. Eine gewisse Anzahl mag harmlos sein. Wie der Anschlag auf die Tokyoter U-Bahn zeigt, einige auch radikal. Murakami selber beschäftigte sich lange mit dem Anschlag und verfasste darüber ein Buch. Die Beschäftigung mit diesem Radikalismus hat sicherlich 1Q84 stark beeinflusst. Gepaart mit mystischen Erzählsträngen und schwer zu fassenden Ausführungen wie denen über die Little People ist es somit sicherlich eine Mischung aus Genre, Realität und Metaphern, die man so schnell kein zweites Mal antrifft. Ich denke er hat bewusst viele dieser Aspekte im Buch nicht aufgeklärt, weil 1. es im Leben nun mal so ist, dass man nur selten die ganze Wahrheit erfährt und 2. um den Subkosmos einer Sekte darzustellen, der Außenstehenden meist auch verborgen bleibt oder nicht nachvollziehbar wirkt.

Meinung

Zu Beginn war ich eher unzufrieden mit Buch 3. Das sehr krasse Ende von Buch 2 wirkt fast nur noch wie Effekthascherei. Tengos Beoachtung ist plötzlich verschwunden und es wird kein Wort darüber verloren und Aomames angedeuteter Selbstmord war gar keiner. Nicht, dass ich Aomame schaden will, aber das war ein etwas billiger Anfang und wirkt auf mich Murakami-untypisch. Ansonsten empfinde ich seine Erzählweise nämlich als sehr realistisch, rational und logisch. Damit meine ich v.A. das wir nie alle Fragen beantwortet bekommen und dass die Handlung nicht vor Actionszenen strotzt, sondern sehr viel die Gedanken ihrer Charaktere reflektiert. Klingt irgendwie nach dem echten Leben und der Art wie die Dinge dort normalerweise laufen. Gerade deswegen kann ich es nicht verstehen, warum viele Leser sich über die unbeantworteten Fragen aufregen. Bleibt mehr Platz für Kopfkino, oder? Find ich gut. Was mich aber noch mehr wundert: warum ärgern sich soviele über die offenen Fragen, aber keiner redet über das nicht konsequent zu Ende erzählte Finale? Insgesamt läßt die Geschichte viel Raum für Vermutungen, die ich bestimmt auch nochmal in einem zweiten Beitrag abarbeite.

Durch das Auftreten von Ushikawa als dritten Erzähler erfährt man einige Dinge, die nicht einmal Tengo und Aomame erfahren werden. So zum Beispiel Details über den Verbleib von Tengos Mutter. Tatsächlich sind wir wieder in der Position, dass wir als Leser die Geschehnisse verknüpfen können, bei denen unsere Protagonisten nur im Trüben fischen. Und diesmal so fundamental wie noch nie zuvor im Buch. Meine Bedenken von Beginn des Buches haben sich danach fast ins Nichts aufgelöst. Ich finde den immer noch unglücklich gemacht, aber empfand Buch 3 ab dann als sehr spannend. Ushikawa war Beiden auf den Fersen und kommt immer näher, zeitgleich treibt der unheimliche angebliche „Gebührenkassierer“ sein Unwesen. Die zwei für mich spannensten Aspekte des Buchs. Nicht zu vergessen die Veränderungen, die Aomame durchläuft – ich möchte nicht spoilern 😉 Würden nicht soviele Erinnerungen und Erlebnisse wiederholt werden, könnte ich das dritte Buch sogar spannender als den Vorgänger finden. Die größte treibende Kraft ist aber wahrscheinlich die Frage „Werden sich Tengo und Aomame endlich treffen?“ Dieser Murakami ist ziemlich schlau – hätte er nicht diese beiden besonderen Hauptcharaktere geschaffen, hätte ich das Buch eventuell nicht gelesen. Und er hat mit seinem Detektivspiel an meine Neugier appelliert. Gut so. Denn ansonsten hätte ich das Buch vielleicht nicht weitergelesen.

Fazit:

Eine moderne „Julia“ und ein moderner „Romeo“, Detektivspiel, Parallelwelten, eine radikale Sekte, Little People, offene Fragen – wenn ihr auch nur ansatzweise denkt, dass ihr damit umgehend könnt, solltet ihr diese Reihe lesen.

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

3 Antworten

  1. […] Uuuuh ganz schwie­rig. Was Bücher betrifft, war das ein ziem­lich kom­pli­zier­tes Jahr. Ich habe sehr oft das beson­dere Buch gesucht und bin dann an mei­ner Wahl geschei­tert. Mal war es mir zu hoch­tra­bend, mal zu lang­wei­lig, ich kam bei ganz vie­len Bücher stre­cken­weise nicht so wirk­lich voran. Mein All­tag ist für viele Hob­bys zu klein gewor­den und wenn ein Buch gerade eine schwie­rige oder lang­at­mige Stelle hat, geht das irgend­wie sehr schnell, dass ich es lie­gen­lasse und so schnell nicht wie­der in die Hand nehme. ^^” Aber ein Buch, das mir außer­or­dent­lich gut gefal­len hat und das ich sehr schnell weg­ge­le­sen habe, war bei­spiels­weise 1Q84 Buch 3. […]

  2. […] Mein liebs­tes Buch in 2014 war für mich 1Q84 Buch 3. Buch 1 und 2 war mein ers­ter Mura­kami über­haupt und beson­ders beim 3. Buch war ich sehr […]

  3. […] To Kill a Mockingbird, Harper Lee […]

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