Mein Zeitempfinden hinkt. Zwar habe ich von Tom Tykwers Verfilmung von Dave Eggers Bestseller gelesen, aber als ich den Film im Kinoprogramm sah, dachte ich: jetzt schon? Kinder, die Zeit rennt. Und so verschlug es mich eines nachmittags an einem sehr warmen Maitag, an dem ich Urlaub hatte ins kühle Kino. Review ist spoilerfrei.
Alan Clay (Tom Hanks) ist 54 Jahre alt, geschieden, hat sein Haus und seinen Status durch die Weltwirtschaftskrise verloren. Er kriegt die Kohle für das Studium seiner Tochter nicht zusammen und findet sich beruflich als Vertriebler wieder. Seine Firma schickt ihn nach Saudi-Arabien, um ein holografisches Telekonferenzsystem an den König zu verkaufen. Die Firma vertraut dabei auf Clays Kontakte zum Königshaus, die eigentlich hauchdünn sind. Mit dem Wissen, dass das Unterfangen mehr als schwierig ist, reist er nach Saudi-Arabien. Nicht nur der Jetlag macht ihm zu schaffen. Es ist partout kein Ansprechpartner da, sein Team arbeitet in einem schlecht ausgestatteten Zelt, einige Meter von einem voll ausgestatteten Bürogebäude. Klingt wie „Wir wollen euch hier nicht.“ Passenderweise taucht auch der König nicht für die Präsentation auf. Und am nächsten Tag … dasselbe. Während Clay von einem Business-Albtraum zum nächsten trottet, lernt er unverhofft das Land und die Leute kennen, wo und wie er es am wenigsten erwartet hatte.
Tom Tykwers Film ist eine launige Tragikömodie, die auf Superlativen verzichtet und stattdessen ruhig und gelassen die Geschichte eines Mannes erzählt, der entweder am Ende oder am Anfang seines Lebens steht. Soviel wird dem Zuschauer klar, als er eine faustgroße Beule in der Nähe seines Rückgrats entdeckt. Ob es aber das eine oder das andere ist, verrate ich nicht. Dabei geht der Film ganz andere Wege als erwartet. Er verspottet das Getue der Anzugträger und Vertriebler und ihre gesittete, konstituierte Art. Das wird spätestens bei Partys in Botschaften klar. Außen hui, innen pfui. Verkaufstaktiken, schicke Häuser, schicke Autos – es ist vieles mehr Schein als Sein und wir beobachten das Geschehen gelassen mit Alan Clay. Schnell wird der Spieß umgedreht und der Amerikaner spielt keine wirklich große Rolle in dem Land, wird sitzengelassen oder nicht beachtet. Kein großer Macker, nur weil er aus einem großen Land kommt. Hier ticken alle etwas anders und sie haben nicht auf Alan Clay und sein holografisches Telekonferenzsystem gewartet. Saudi-Arabien ist anders als er dachte, als wir alle dachten. Hier wird selbst in der Wüste Sand gefegt. Alan lernt hier viele Lektionen. Alles hat einen doppelten Boden, wie er zu spüren bekommt und das fasst der Film mit viel Ironie zusammen. Manche Szenen sind so herrlich absurd wie Anzug und Krawatte in der Wüste. Aber keine Angst, es ist keine Geschichte über Business, sondern über Menschen und Kulturen und darüber, dass die gar nicht so unterschiedlich sind. Oder wie sagt Alans saudischer Taxifahrer zu ihm? „Woher soll ich das wissen, ich schaue dieselben Serie wie sie.“
Das ist mal wieder ein Film, den man in keine Schublade stecken kann, außer in die: Überraschung. Der Film ist voller kleiner Anekdoten, die schmerzen, berühren oder zum Lachen bringen. Und dabei stehts angenehm und unaufgeregt und zu keiner Sekunde langweilig, wenn man sich darauf einlassen kann, das Land und das Leben mit Alan zusammen zu entdecken. Toy Tykwer und Kameramann Frank Griebe haben sich dafür die schönsten Bilder ausgesucht und geben den Querschnitt eines fantastischen Landes mit zahlreichen Widersprüchen und Kontrasten wider. Wer aber den Abspann beobachtet, dem fällt auf, dass dort das Wort Marokko auftaucht. Richtig: Das Ministerium für Filme und Fernsehen in Saudi-Arabien hat den Dreh im Land nicht genehmigt, weshalb in Marokko gedreht wurde. Und funktioniert das trotzdem? Ja. Der Film fühlt sich wie eine erwachsene Form von Das erstaunliche Leben des Walter Mitty an. Auch Alan hat hier so seine Traumsequenzen. Wenn er beispielsweise träumt einer Achterbahn zu sitzen, oder das Foto seiner Tochter am PC ihm eine Nikotin-Rauchwolke entgegenpustet oder wenn sich ganz zu Anfang sein Haus und seine Frau in Luft auflösen. Wenn der Film perfekt hätte sein sollen, dann müssten mehr solche Elemente auftreten. Oder zumindest durchweg und nicht nur in der ersten Hälfte. Ansonsten: eine angenehme Überraschung. So überraschend, dass das Hologramm nicht mal ein MacGuffin ist.
Ein Hologramm für den König (OT: A Hologram for the King), USA/Deutschland, 2016, Tom Tykwer, 98min, (8/10)
Habt ihr von dem Film gehört oder ihn sogar gesehen? Ein Vergleich zum Buch würde mich interessieren – kennt ihr die literarische Vorlage? Und wenn ja, inwiefern unterscheiden sie sich?
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