Neulich im Kino … Review zu „Get Out“

Vor einer Weile habe ich schon Mal über ‚Get Out‘ geschrieben, dass einen ziemlichen Hype ausgelöst hat. Jordan Peele, eigentlich Schauspieler und Comedian, hat hier Regie bei einem Film geführt, der als erster Debütfilm eines afroamerikanischen Regiesseurs über 100 Mio Dollar in den USA einspielte und damit eine starke Botschaft setzt. Auf amerikanischen Film-Webseiten wurde zahlreich über den Film diskutiert und um die Oscar-Zeit herum sogar die These aufgestellt, dass er ein besserer Film über Rassendiskriminierung ist als das x-te historische Südstaatendrama, weil er in der heutigen Zeit spielt und klar macht, dass noch immer nicht alles ‚locker‘ ist. Kann der Film also den Erwartungen standhalten? Review ist spoilerfrei.

„Finden Sie, dass man es in der heutigen Zeit als Afroamerikaner einfacher oder schwerer hat?“ wird Chris (Daniel Kaluuya) auf der Gartenparty bei den Schwiegereltern-in-spe gefragt. Eine von vielen Situationen, bei denen er heute lieber davonlaufen würde. Er ist das erste Mal bei der Familie seiner Freundin Rose (Allison Williams) zu Besuch und dass er schwarz ist, sollte eigentlich kein Thema sein. Anfangs, als nur die Eltern und das Pärchen da waren, machte es auch den Eindruck. Als dann aber die alten, weißen Eliten zu einer Gartenparty zusammenkommen, wird die Situation immer seltsamer. Die wenigen Schwarzen verhalten sich seltsam und wie berauscht. Als Chris einen von ihnen fotografiert, hat dieser einen heftigen Anfall und sagt ihm, dass er verschwinden soll. Deutlicher könnte die Botschaft kaum sein.

„GET OUT Trailer German Deutsch (2017)“, via KinoCheck (Youtube)

Jordan Peele gab an, dass er mit dem Titel auf das ungute Gefühl des Zuschauers anspielen will, dass ab den ersten Minuten auf dem Anwesen der Eltern sagt „Junge, hau ab dort“. Die Vorboten sind sogar noch deutlicher. Als Chris und Rose auf dem Weg zu ihren Eltern sind, fahren sie ein Reh an. Das Ereignis ist dabei brutal und außergewöhnlich. Im Folgenden wird Chris immer wieder an das hilflose Reh denken, das ansonsten als Beute eines Jägers endet und die Atmosphäre wird so aufgebaut, dass mehr als deutlich wird, dass auch Chris sich wie die Beute eines Jägers fühlt. Zu Recht? Es wird im Film recht früh deutlich gemacht, dass er tatsächlich das Anwesen nicht mehr verlassen wird, wenn es nach bestimmten Leuten geht. Damit ist der Film zu einigen Teilen vorhersagbarer als man das beim noch kryptischen und ziemlich guten Trailer erwarten mag. Aber wie die exakten Zusammenhänge sind, entfaltet sich erst nach und nach und mündet in einem ziemlich guten Finale, das noch mehrere Twists bereithält. Deswegen sei an dieser Stelle nicht mehr verraten als dass der Schwarze hier einer anderen Form der Diskriminierung ausgesetzt ist. Nicht etwa der Herabwürdigung, sondern der Glorifizierung, die in einer anderen Form der Ausbeutung endet, die nicht minder schockierend ist.

Dabei schafft es Jordan Peele einen Film abzuliefern, der seiner eigenen Vorhersagbarkeit zu großen Teilen trotzt und konstant Spannung hält. Was den Film interessanter als andere Genrekollegen macht ist der moderne Rassismus, der offen zur Schau gestellt, angeprangert und als grotesk dargestellt wird. Außerdem die Szenen voller absurder Situationen, die den Zuschauer tief beunruhigen und für das entsprechende „Get Out, now!“-Gefühl sorgen. Tatsächlich bleibt der Film bei diesem unterschwelligen Gefühl und mittelschwerem Horror, aber viel Thrill. Es gibt nur zwei bis drei echte jump scares und der Rest ist gut und neu und kommt weitestgehend ohne überstrapazierte Horror-Tropen aus wie Blutfontänen. Jordan Peele schafft es sogar, dass der Film zwischendrin witzig sein darf ohne in das absurde und dümmliche abzugleiten. Die Comedy-Momente werden von Chris‘ Freund Rod (Lil Rel Howery) getragen und dürften keine Sekunde länger dauern. Der Film ist vielleicht nicht der große Wurf, den man aufgrund des überschwänglichen Lobs der amerikanischen Presse erwartet, aber er spricht auf moderne Art über die schwarze Identität in der heutigen Gesellschaft und schafft es das Horrorgrenre vorrangig durch Story und Atmosphäre zu beleben, was viele Filme der letzten Jahre vermissen lassen.

Get Out, USA, 2017, Jordan Peele, 104 min, (8/10)

Sternchen-8

Habt ihr ‚Get Out‘ schon gesehen? Ist der Ruf des Films euch schon untergekommen und zu euch vorausgeeilt? Was haltet ihr von der Botschaft? Und stimmt ihr den Presse-Stimmen zu, die sagen, dass es ein angemessenerer weil modernerer Blick auf Rassendiskriminierung ist? Hat er euch als Horrorfilm überzeugt? Und wann hätte Chris eurer Meinung nach das Anwesen spätestens verlassen sollen?

16 Antworten

  1. Tolle erste Hälfte, unglaublich langweilige zweite. Kackt also leider komplett ab und ist so nicht mehr als guter Durchschnitt, wenn man mich fragt. Das Thema ist natürlich wichtig und gut und so, aber das heißt nicht, dass man sich darauf ausruhen und plötzlich in einen generischen, vorhersehbaren, langweiligen Horrorthriller abdriften sollte. Stattdessen wäre es gerade hier sinnvoll gewesen, mal was neues und frisches zu machen. Naja, Chance mal wieder vertan, weil man ja unbedingt die Masse ansprechen muss mit dem immer gleichen Quark.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Wenn du das so aufschreibst, klingt das immer wie ein allgemeingültiger Fakt 😉 Ich fand hingegen die zweite Hälfte auch noch sehr spannend und nicht langweilig oder generisch. Es ist nicht mehr so smart und seltsam wie die erste Hälfte, sondern arbeitet mehr mit klassischen Horrorfilm-Motiven, aber wenn sie eine Auflösung genommen hätten, die beispielsweise rein auf Hypnose fußt, wäre das wirklich langweiliger Quark geworden.

      1. Alles was ich schreibe, sollte aus Prinzip auch ein allgemeingültiger Fakt sein. Leider ist es aber eben doch nur meine bescheidene Meinung.
        Nur Hypnose hätte mir übrigens besser gefallen, als da noch so einen komischen Bodyswitchbraintransplantationkäse einzubauen, der dazu auch nur 2 Minuten eine Rolle spielt und dadurch komplett egal ist. Darum geht es aber auch nicht. Es geht darum, dass der Film halt in der ersten Hälfte eine tolle Atmosphäre aufbaut und anschließend einfach jedes lahmarschige Horrordrehbuch der letzten 50 Jahre kopiert und einfach die jeweiligen Stationen abläuft. Man hätte aus der ganzen Rassismus-Hypnose-Sklavengeschichte einfach viel mehr machen können, wenn man die Eier gehabt und nicht mal wieder auf die Massentauglichkeit geachtet hätte, die ja besagt, dass man auf keinen Fall was neues wagen darf, wenn es um erzählerische Strukturen geht. Deshalb: Gute erste Hälfte, langweilige zweite Hälfte.

  2. Interessant, dass der Polizist das Reh erschießt … Es ist ein unkonventioneller Horrorfilm, der viele alltägliche Horrorsituationen bedient. Es ist schön zu sehen wie sich die vielen geschickt konstruierten Andeutungen zu einem Netz verknüpfen. Daher empfinde ich die Absehbarkeit auch nicht als sonderlich störend. Der schlimmste Horror ist dabei wohl der Verlust von Vertrauen durch die Angst vor Kontrollverlust, Angst davor benutzt zu werden.

    Ich denke Chris hätte nicht früher gehen können als bis zu der Sache mit den Bildern. Solche Entscheidungen sollten durch Vernunft und nicht durch Eindrücke getroffen werden. Natürlich scheitert das hier, weil sich die filmische Realität der Vernunft zu großen Teilen entzieht.

    Ich habe was übrig für Metaphern und finde den Film daher sehr gelungen. An vielen Stellen scheint es für mich Rassismus tatsächlich gut metaphorisch wiedergespiegelt zu werden. Allgemein spiegelt der Film Probleme des Miteinanders auf geschickte Weise.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hmmm … jetzt wo du das sagst, fällt mir auf: ich kann mich gar nicht erinnern, dass gezeigt wird wie der Polizist das Reh erschießt. Oder? Habe ich das verdrängt? Ist aber eine Nette Spitze in punkto Polizeigewalt gegen Schwarze, da hier die Schwarzen nicht selten über die Beutetier metapher angesprochen werden.
      Da kann ich dir nur zustimmen. Weirde Schwiegereltern sind das eine … aber die Sache mit dem Verlust von Vertrauen triffts hier echt gut.

      Ich glaube darüber hat wahrscheinlich jeder Zuschauer eine andere Meinung, wann Chris hätte abhauen sollen. Meine Begleitung hat schon nach gefühlt 10 Minuten gesagt, dass das der Moment wäre, wo er gefahren wäre…. oh je. ^^“

      1. Man sieht nicht direkt wie der Polizist das Reh erschießt, aber wie er seine Pistole wegsteckt und sagt, dass das normalerweise ein Wildhüter erledigt. Wie so oft in dem Film muss man mutmaßen.

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Ah ja, jetzt fällts mir auch wieder ein, danke.

  3. Das ist endlich mal ein Hype-Film, der seinem Hype ganz gut gerecht wird. Ich fand das Finale etwas übertrieben, aber ansonsten stimme ich dir zu. Die Atmosphäre wird toll aufgebaut und die Charaktere sind wirklich toll.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Jepp – finde ich auch! Und gerade bei solchen Erfolgsstorys von Underdogs mag ich das sehr gerne. Komiker/Schauspieler kommt daher und macht einen Film und schwups – größtes Einspielergebnis eines Debutfilms eines Schwarzen ever. Sehr gut! Das finde ich klasse.

  4. Mir war der Ruf des Films bekannt und ich glaube, dass mir dieser vorausgeeilter Ruf den Film etwas vermasselt hat und hatte einfach andere Erwartungen. Im Nachhinein habe ich mich wohl auf das Falsche konzentriert („fehlende“ klassische gut-eingesetzte Horror-Elemente? ^^“).
    Ich denke, dass es durchaus ein interessanter Blick auf Rassismusdiskriminierung ist. In diesem Fall war das ja ungewohnterweise die glorifzierende Weise, – was trotzdem ja niemandem geholfen hat. Ich denke, dass es ebenso wichtig ist, diese „Art“ von Rassismus (also nicht den herabwürdigen) als Rassismuss zu sehen – auch wenn sie „lobend“ gemeint sind. Die Person dahinter wird nichtsdestotrotz auf das Aussehen reduziert und darüber definiert.. V

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Richtig – sehe ich auch so. Selbst wenn jemand glorifiziert wird wegen der Hautfarbe hat das nach hinten raus für die meisten einen miesen Beigeschmack, da man ja wegen seinen Leistungen, Können, Wissen etc etwas erreichen möchte und nicht einfach wegen der Herkunft.
      Aber dass dir der Film nicht so 100%ig gefallen hat, ist natürlich schade. Geht mir aber hin und wieder auch so mit den Erwartungen. Gerade bei Hypes ist das ein Problem. Ich habe beispielsweise den Hype um „Guardians of the Galaxy“ (Teil 1) nie so richtig verstanden.

  5. […] gut haben mir A Silent Voice und Mr Long gefallen. Aber auch ansonsten war der Kino-Monat mit Get Out und Sieben Minuten nach Mitternacht ziemlich gut. Das Heimkino ließ mich mit gemischten Gefühlen […]

  6. […] für mein Empfinden ganz gut in die Kategorie populärer Film passen würden wie beispielsweise Get Out und The Shape of Water. Das sind schöne oder spannende Filme, keine Frage. Aber haben sie das […]

  7. […] Peeles Get Out hat ihn 2017/2018 quasi an die Spitze des einstweiligen Filmmacher-Olymps katapultiert. Der Kerl […]

  8. […] Antwort: ja! Allerdings ist der Film deutlich subtiler als Peeles Vorgängerwerke Get Out und Wir. In Nope versuchen Otis Jr. „OJ“ (Daniel Kaluuya) und seine Schwester Emerald […]

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