Das gehörte Wort … Hörbuch-Besprechungen zu „Bei Anbruch der Nacht“ und „Die Farbe aus dem All“

Es ist schon wieder ein bisschen her – die letzten Hörbuch-Besprechungen erschienen im Dezember. Nachdem ich ungefähr von Oktober bis Dezember die Audible exklusive „Monsters Collection“ mit dem unschlagbaren Dreiergespann Dracula, Frankenstein und Jekyll/Hyde gehört habe, brauchte ich erstmal eine Pause. Es waren einige Stunde und mir dürstete danach vorerst ein paar andere auditive Reize aufzunehmen. Und mir mal kurz nichts mehr erzählen zu lassen. XD Jetzt durften es erstmal zwei kürzere Hörbücher sein. Die Besprechungen sind spoilerfrei. Gemeinsamkeiten? Gibt es eher nicht, außer dass beide in deutscher Sprache vertont wurden.

„Bei Anbruch der Nacht“ Kazuo Ishiguro (Argon Hörbuch)

Meine ersten Begegnungen mit Kazuo Ishiguro waren seine Romane Alles, was wir geben mussten und An Artist of the Floating World. Das eine hat mich zwar mehr begeistert als das andere, aber beide hatten was. Man meint zu verstehen, warum dieser Mensch einen Nobelpreis bekommen hat. Schon vor längerer Zeit stolperte ich über das Hörbuch Bei Anbruch der Nacht und konnte den angeteaserten Inhalt gar nicht mit dem vereinen, was ich bisher über Ishiguro und sein literarisches Schaffen wusste. Zwei Menschen, die eine Schönheits-OP hinter sich hatten und wie Mumien bandagiert sind, irren hier gemeinsam durch die Nacht und flüchten vor Polizisten. Eine davon ein Starlet, der andere ein mittelmäßig erfolgreicher Saxophonist. Klingt witzig. Und witzig ist nicht zwingend etwas, dass ich mit Ishiguro verbinde. Jetzt, wo ich selber anfing Saxophon zu lernen, war ich neugierig und mir fiel das Hörbuch wieder ein. Die Prämisse ist tatsächlich wie beschrieben. Der Saxophonist Steven wird von seiner Frau verlassen und beschließt zumindest seine Karriere zu retten, indem er sich wie ihm schon oft geraten wurde, einer Gesichtschirurgie unterzieht. Um „repräsentabler“ zu sein in der Welt des Showbusiness. Noch gezeichnet vom Ehe-Aus begibt er sich in die Hände eines Star-Chirurgen und kuriert sich danach in einem Hotel aus. Die Bandagen lassen gerade mal Nase, Mund und Augen frei. Als seine Zimmernachbarin offenbart sich niemand geringeres als das Hollywood-Starlet Lindy Gardner, die er für talentlos hält, die ihn aber zum Zeitvertreib kennen lernen möchte. Das Aufeinandertreffen des bis auf die Gesichtsbandagen ungleichen Gespanns führt zu besagter Hetzjagd durch die Nacht.

Mit gerade Mal zwei Stunden Laufzeit ist das Hörbuch aus dem Argon Verlag was Schönes für Zwischendurch. So ganz erschließt sich mir zwar nicht, warum man auf die anderen Erzählungen aus Ishiguros titelgebender Kurzgeschichtensammlung verzichtet hat (im Englischen übrigens erschienen unter dem Titel Nocturnes), aber was man nicht kennt, kann man auch schwer vermissen. Gesprochen wird das Hörbuch von Christian Brückner als Ich-Erzähler Steven. Brückner ist den meisten sicherlich bekannt als die deutsche Synchronstimme von Robert de Niro. Das ganze wird mitunter sehr meta, wenn Steven in der Erzählung darüber sinniert, dass er hoffentlich wie der junge de Niro aussieht, nachdem die Bandagen ab sind und er das Ergebnis seiner OP sieht. 😉 Sehr cooler Gag. Brückner macht seinen Job erwartungsgemäß gut. Selbst die Passagen, in denen er Lindy Gardner spricht, verkommen nicht zu unfreiwillig komischen Einlagen wie so oft, wenn männliche Sprecher Frauen-Parts übernehmen. Die Erzählung wird ab und zu für eine kurze Saxophon-Nummer unterbrochen, die Stevens Stimmung wiedergibt. Mal als sehnsuchtsvolles oder energisches Stück oder auch mal mit dissonantem Quietschen, wenn er wie in den Tagen nach seiner OP in Isolation mit Depression und Befremdung von seiner Umwelt zu kämpfen hat. Zwei  gute Zutaten für ein atmosphärisch vertontes Hörbuch. Und obwohl ich noch mehr von Steven und Lindy hätte hören können, ist es gerade so lang genug um eine eine Botschaft zu stricken.

Zum zentralen Konflikt zwischen beiden wird Steves Ansicht, dass vielen mittelprächtig guten Künstlern die Aufmerksamkeit zuteil wird, die mitunter begabteren versagt bleibt. Durch Kontakte, gutes Aussehen oder Geld. Aber leider nicht immer dank Talent? Aber Lindy kann ihm dazu noch die eine oder andere Lehre mit auf den Weg geben, die in schönem Kontrast zu ihrer ansonsten zu naiven Charakterzeichnung steht. Immer wenn man denkt, dass ihre Figur doch allzu flach, verzagt oder oberflächlich daherkommt, weiß sie mit Empathie oder Lebensweisheit zu überzeugen. Vielleicht sind sie beide doch ein besseres Gespann als man denkt. Und sich viel ähnlicher als beide zugeben. Man strebt immer nach dem, was man nicht hat, ohne den Preis dessen zu bedenken. Ein schönes Hörbuch, aber ich hatte gerade erst Blut geleckt, da war es schon zu Ende.

Zur Hörprobe auf der Verlagsseite

„Die Farbe aus dem All“ H. P. Lovecraft (aus: Geschichten zur Mitternacht 3, WinterZeit Verlag)

In den 1880er Jahren stürzt ein Meteorit in eine ländliche Gegend der Umgebung Arkhams (wo sonst? 😉 ). Man untersucht das Material, aber es scheint mit keinen irdischen Ressourcen vergleichbar zu sein. Zudem strahlt es eine Farbe aus, die unbeschreiblich ist. Nachdem die Wissenschaft ausgestiegen ist, bleiben die Bauern der Umgebung an der Einsturzstelle ratlos zurück. Sie beobachten Veränderungen in ihren Erzeugnissen. Das Obst nimmt ungeahnte Größen an, strahlt ungewöhnlich frisch und prall, schmeckt aber widerlich. Es wird nicht bei diesen Veränderungen bleiben. Aber die Zeitungen tun das als Panikmacke der ungebildeten Landbevölkerung ab. Nachdem man die Bauern in dieser Situation sich selber überlässt, kommt es zur Katastrophe. Wie so oft bei Lovecrafts Erzählungen ist das eigentliche Geschehen eingebettet in eine Rahmenerzählung. Hier ist es ein Landvermesser, der Vorbereitungen für den Bau eines Stausees treffen soll und auf ein verfluchte Heide genanntes, verlassenes Stück Land trifft und einen Anwohner dazu befragt. Die einfache aber effektive Formal sorgt dafür, dass sich beim Leser oder Zuhörer das Empfinden einstellt, dass der Horror unentdeckt, schlummernd und anhaltend ist. Dass die im Verborgenen lauernde Gefahr sich durch den bevorstehenden Bau des Stausees ausbreitet und ein grausiges Comeback feiert. Well done.

Ansonsten gibt es für Kenner des lovecraftschen Horrors wenige Überraschungen, außer vielleicht, dass es ganz ohne Erwähnungen des Cthulhu-Mythos oder Necronomicons auskommt und somit ganz abseits des bekannten „big picture“ Lovecrafts spielt. Die Formelhaftigkeit sorgt leider auch dafür, dass man schnell durchschauen kann, wo die Reise hingeht. Man braucht ein bisschen diesen morbiden Spaß an Body Horror oder Komischem Horror um dranzubleiben, weil man erfahren will, was für grausige Ausmaße das noch annimmt. An der Stelle muss man sich selber kennen und befragen, ob einem das ausreicht. Mir schon, weil ich mich damit abgefunden habe, dass Lovecraft viel Atmosphäre, aber eben auch viel Formel ist. Außerdem war ich sehr neugierig auf die Erzählung, da es vor einer Weile in der deutschen Indiefilm-Produktion Die Farbe adaptiert wurde, so wie jetzt auch nochmal als Spielfilm mit Nicolas Cage. Dort ist die unaussprechliche Farbe, „die noch nie jemand gesehen hat“ übrigens so ein Ding zwischen Lila, Magenta oder Dunkelpink. Da scheinbar noch niemand von denen Lila gesehen hat, ist wohl anzunehmen, dass der Film eher trashiger Natur ist. 😉 Ich habe mich für dieses Hörbuch entschieden, weil es von Ernst Meincke gesprochen wird und in der Hörprobe qualitativ gut klang. Ernst Meincke ist der Synchronsprecher Patricks Stewarts als Picard um nur ein Beispiel geben und er macht seinen Job gewohnt gut. Er spricht die Rahmenerzählung wenig dramatisch und nüchtern, was hier passend ist, da es zu schnell ins Trashige abgleiten könnte. Die Vertonung insgesamt hätte aber noch etwas mehr Geräuschkulisse oder atmosphärische Musik in den Sprechpausen vertragen können. Stattdessen sind die Sprechpausen so still und lang, dass man sich fragt, ob das Hörbuch unerwartet schon zu Ende ist oder ob die App abgestürzt ist.

Fun fact: im „Die Farbe aus dem All“ wird nicht gesagt, was die Farbe ist oder wie sie aussieht, da sie ja offenbar mit nichts anderem vergleichbar ist. Macht ja auch Sinn. Es wird lediglich erwähnt, dass sie auf einer ganz anderen Wellenlänge strahlt, also wieder ein Indiz für eine bisher unbekannte Farbe. Ein reizvoller Gedanke – wann ist schon mal etwas so fundamentales wie eine Farbe noch wirklich unbekannt? Ich stelle mir darunter immer ein leuchtendes Grau oder Braun vor, weil wenn man viele Farben mischt, meistens das eine oder andere dabei rauskommt. Leider konnte ich bei beiden Hörbüchern keine Hörproben auf Youtube oder Konsorten finden, sodass ich sie hier einbetten könnte. Kennt ihr die Hörbücher oder zumindest Erzählungen vielleicht? Ich tiksche immer noch etwas, dass ich nun die anderen Erzählungen aus Kazuo Ishiguros Erzählband „Bei Anbruch der Nacht“ bzw „Nocturnes“ nicht kenne und spiele mit dem Gedanken es zu lesen. Kennt ihr es vielleicht?

Eine Antwort

  1. […] problemlos finden. Auch Deutsch existiert ebenfalls die eine oder andere Version, Miss Booleana hat hier beispielsweise eine Lesung mit Ernst Meincke besprochen. Die erste Audio-Version dieser Geschichte, […]

Schreibe einen Kommentar zu Lovecrafts Vermächtnis: The Colour out of Space – Teil I – Hemator's Blog Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert