„Female Futures?“ war das Leitmotiv der „Nippon Connection 2020“, dem sich einige Filme, Diskussionen und Vorträge widmeten. Im Fokus standen dabei natürlich auch weibliche Filmemacher und Geschlechterrollen im Film. Daher gibt es heute in meiner nun letzten Besprechung zur diesjährigen „Nippon Connection“ zwei Filme von Regisseurinnen, nämlich von Mari Asato und Yukiko Mishima, die zusätzlich auch noch Geschlechterrollen in unterschiedlicher Art und Weise thematisieren. Besprechungen sind spoilerfrei.
Under Your Bed
Naoto (Kengo Kora) hält sich für das, was man unter einem Stein findet, sich angewidert abwendet und den Stein wieder hinlegt. Seit seiner Kindheit ist er unsichtbar für andere Menschen. Nach außen hin ruhig, ist in ihm ein tiefer Abgrund. Einzig die Studentin Chihiro (Kanako Nishikawa) ist einst zu ihm durchgedrungen. Sie waren einen Kaffee trinken, haben sich gut verstanden – seitdem ging sie Naoto nicht aus dem Kopf. Noch Jahre später ist dieser einzige Moment der Aufmerksamkeit etwas, dass er nicht loslassen will. Er beschließt Chihiro zu suchen. Und findet sie. Die inzwischen verheiratete Mutter eines Kindes hat sich verändert. Und nachdem Naoto in ihre Nähe zieht, sie beobachtet und sogar in ihr Haus einbricht und unter ihrem Bett lauert, bekommt er mit, warum sie nicht mehr lächeln kann.
Die meisten Inhaltsangaben drucksen etwas um den Fakt herum, dass sich die Geschichte um Naoto ebenso um Chihiro dreht und von seinem Psychogramm zu Chihiros Tragödie wechselt. Aber der Abschnitt ist zu wichtig und weiträumig, um ihn unerwähnt zu lassen, denn Chihiros Geschichte ist eine von häuslicher Gewalt. Hierbei stellt sich allerdings die Frage, ob sich ein Medium nicht am Missbrauch beteiligt, wenn es diesen öffentlich und ausführlich darstellt? Auch wenn der Missbrauch, die Vergewaltigung innerhalb der Ehe, die Schläge und die Erniedrigungen immer furchtbarer dargestellt wird, gibt es auch die Darstellung nackter Haut und von Sex – und das reichlich. Die Grenze zum Selbstzweck und der Ausbeutung von Gewalt und Grausamkeit ist schmal und wird sicherlich von Zuschauer zu Zuschauer anders wahrgenommen. Hätte es nicht viel weniger gebraucht um die Botschaft zu verstehen? Hätte es. Es wirk krass, dass Chihiro zweierlei Opfer wird. Das eines Stalkers und das ihres eigenen Ehemannes.
Letzten Endes ist der Stalker Chihiros kleineres Problem und der Zuschauer erwartet ab einem gewissen Punkt, das Naoto sie vielleicht rettet. Naoto, der zuerst von seiner Umwelt als unsichtbar erklärt wurde und sich dann selber unsichtbar machte. Spannend ist, ob er den Mut dazu aufbringt. Und das ist es eben: spannend ist der Film. Stellenweise droht Under Your Bed den Fokus zu verlieren, wenn es vom Psychogramm eines vernachlässigten Kindes zu einem übersehenen jungen Mann hin zur Geschichte eines Stalkers und dann dem Missbrauch in der Ehe wechselt. Der Stoff ist eigentlich schon für einen Film hart genug. Mari Asato gelingt der Spagat auf glaubhafte Weise wieder zu Naotos Psychogramm zurückzukehren. Asato hat bisher vorrangig Horrorfilme gedreht und damit Erfahrung in Suspense. Ihr gelingt einerseits eine spannende Charakterstudie, die dem Zuschauer einiges abverlangt, als auch ein handfester Thriller. Aber in punkto häuslicher Gewalt wirkt der Film doch unreflektiert und spart nicht mit Gewalt zum Selbstzweck.
Under Your Bed (OT: アンダー・ユア・ベッド „Under your bed“), Japan, 2019, Mari Asato, 98 min, (7/10)
„Under Your Bed (2019) Japanese Movie Trailer Eng Subs (アンダー・ユア・ベッド 予告編 英語字幕)“, via Panap Media (Youtube)
Shape of Red
Regisseurin Yukiko Mishima adaptiert mit Shape of Red den Roman Rio Shimamotos, der japanisch-traditionalistische Geschlechterrollen in Frage stellt. Die Protagonistin Toko (Kaho) hat in einen gut situierten Haushalt eingeheiratet und mit der Geburt ihres Kindes ihren Job als Innenarchitektin aufgegeben. Die Rolle als Hausfrau und Mutter erfüllt sie aber nicht. Die Anlässe zu denen sie ihren Mann begleitet und dort nur den Mund zu halten und gut auszusehen hat, öden sie an und wirken wir ein Schritt zurück in ihrer eigenen Geschichte. Als sie bei einer solchen Veranstaltung ihren Ex Akihiko (Satoshi Tsumabuki) trifft, ist das der nötige Paukenschlag um ihr Leben zu ändern. Aber was sucht sie?
Toko beginnt entgegen des Wunsches ihres Ehemanns wieder zu arbeiten und geht eine leidenschaftliche Affäre mit Akihito ein. Dabei stell Mishima in ihrem Film die beiden Beziehung nebenbeinander. Die Lockerheit mit der Akihito und Toko über alte Zeiten reden, aber auch Leidenschaft teilen, steht dabei im krassen Gegensatz zu der Beziehung mit ihrem Ehemann. Insbesondere in der ersten Hälfte des Films ist das allzu plakativ. So wird in Bezug auf ihre Ehe immer nur der status quo betrachtet, indem sie mit einem Fremden zusammen zu leben scheint, der sie mehr wie eine Angestellte als (s)eine Frau behandelt. Was das betrifft, bleibt der Film sehr eindimensional und lässt den Zuschauer zurück mit Charakteren, deren Handlungen man schwer nachvollziehen kann. Wie kam Toko von A nach B? Wir sehen hier einzig B nach A.
„Shape of Red // Trailer“, via NipponConnectionTV (Youtube)
Wie gut hätte der Film sein können, wenn der Ehemann und dessen Gefühle, das Kind und die Schwiegermutter ein Stück weit weniger überzeichnet gewesen wären oder man Raum dafür gelassen hätte, was Toko einst überhaupt dazu bewegte dieses Leben zu wählen? Denn davon mal abgesehen ist Shape of Red ein handwerklich ausgezeichneter Film, der das Innenleben und die Beziehungen der Figuren in hervorragende Bilder und Metaphern gießt. Die Chemie zwischen Kaho und Satoshi Tsumabuki springt in einfühlsamen, leidenschaftlichen, empathischen Szenen auf den Zuschauer über. Alleine die Autofahrt Tokos und Akihitos ist eine einzige große Metapher für einen schwierigen Weg, einen lebensverändernden. Eine Beziehung ohne Zukunft, die eine andere unglückliche Beziehung/Ehe beendet? Schon zu wissen, dass es weder ein „vor“, noch ein „zurück“ gibt? Die ganze Hoffnungslosigkeit drückt sich in Signalrot aus – wie der Titel des Films.
Shape of Red (OT: Red), Japan, 2020, Yukiko Mishima, 123 min, (7/10)
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Ich bin selber etwas erstaunt, dass beide Filme für mich gleichauf sind. Direkt nach dem Schauen hätte ich beide besser und beide anders bewertet. Trotzdem nagte da etwas an mir, wenn ich anfangen wollte über sie zur schreiben. Erst später und mit etwas Abstand betrachtet, wurde klarer, was hier für mich nicht aufgeht. Handwerklich hervorragend waren sie aber beide und ich werde die Arbeit der Regisseurinnen Mari Asato und Yukiko Mishima definitiv im Auge behalten. Leider ist es nun vorbei mit den Besprechungen von der „Nippon Connection 2020“ – hach, schön war die Zeit. Ich freue mich auf das nächste Jahr. 🙂
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