Neulich auf der Nippon Connection … Filmbesprechungen zu „Book-Paper-Scissors“ & „Tamaran Hill“

Bis jetzt habe ich mich ja für die Besprechungen der während der „Nippon Connection“ geschauten Filme an den Festivalsegmenten „Nippon Cinema“, „Nippon Docs“, etc. lang gehangelt. Aber zwei der geschauten Filme, haben direkt oder indirekt mit Büchern zutun. Was für eine Vorlage! Das wird also heute die „Bücher-Ausgabe“ 😉 Mit einem Dokumentarfilm und einer Indie-Produktion. Besprechungen sind selbstverständlich spoilerfrei.

Book-Paper-Scissors

Regisseurin Nanako Hirose stammt selber aus einer Familie, in der Bücher gleichzeitig ein Brotjob und eine Leidenschaft waren. Wie sie im Interview begleitend zur Online-Ausstrahlung ihres Dokumentarfilms Book-Paper-Scissors verriet, gab es in ihrem Elternhaus gar ein Buch des Designers Nobuyoshi Kikuchi, der im Speziellen Bücher gestaltet. Das war entsprechend auch der Auslöser für den Wunsch über ihn eine Dokumentation zu drehen. Kikuchi ist etwas, was man schnell als „aus der Zeit gefallenen Exzentriker“ abtun kann. Er gestaltet Umschläge minutiös mit Papier, Bleistift und Lineal. Wählt Farben aus Paletten, sinniert lange über den richtigen Font und wie sich das Papier anfühlen soll. Für die Digitalisierung der Entwürfe hat er eine Angestellte, die seinen Perfektionismus und gewisse Attitüden in über dreißigjähriger Zusammenarbeit in- und auswendig kennt. Der Dokumentarfilm stellt sowohl sein Schaffenswerk vor, als auch ihn als Person. Hirose lässt Kikuchi selbst zu Wort kommen und erklären, was die DNA seiner Entwürfe ist. Welcher Gedanke zu welchen Entscheidungen führte und eröffnet dem Zuschauer nach und nach die Schönheit des japanischen Minimalismus.


„Book-Paper-Scissors // Trailer“, NipponConnectionTV (Youtube)

Für eine Leseratte ist eine Doku über Bücher-Design natürlich einer der Aufhänger des Festivalprogramms. Tatsächlich bin ich nach der Doku vor Allem aber eine Bekehrte. Denn beim Streifen durch Buchhandlungen während der Japanreise letztes Jahr hatte ich eher dein Eindruck, dass das Buch-Design dort v.A. aus sehr grell (Manga) oder sehr karg (alles andere) bestand. Denn während im Westen Bücher v.A. durch aussagekräftige Coverbilder und -farben sprechen, ist es in Japan oftmals ein Font-getriebener Minimalismus. Der Originaltitel つつんで、ひらいて („Tsutsunde, hiraite“) heißt soviel wie verpacken, öffnen und hat mir tatsächlich für den japanischen Minimalismus die Augen geöffnet. So als man als Zuschauer dazu erzogen wird „wieder richtig hinzuschauen“ und dass nicht nur Bilder, sondern Formen und Schrift zu einem sprechen und eine ihnen inneliegende, eigene Schönheit haben.

Dabei findet Regisseurin Nanako Hirose die Richtung Mischung in fast allem. Neben Kikuchis traditioneller Herangehensweise zeigt sie auch die nächste Generation der Buch-Designer am Beispiel eines Schülers Kikuchis und damit den Konflikt Tradition-Moderne; gewährt aber auch ein paar privatere Einblicke über die Person Kikuchi, die niemals zu sehr ausarten, als dass sie sich vom Thema wegbewegen. Einzig wie man einen Fuß in die Tür des Buchdesigns bekommt oder wie das zumindest Kikuchi gelang, bleibt ein weißer Fleck auf der Karte, genauso wie der Inhalt mancher Bücher, die doch zu sovielen Reflektionen veranlassen.

Book-Paper-Scissors (OT: つつんで、ひらいて „Tsutsunde, hiraite“), Japan, 2019, Nanako Hirose, 93 min, (8/10)

Sternchen-8

Tamaran Hill

Als eine Studentin (Hinako Watanabe) Literatur zum Thema Heimatort sucht, sticht ihr sofort das Buch たまらん坂 („Tamaran Hill“) von Senji Kuroi ins Auge. Ihr Vater flucht ständig und benutzt dabei das Wort „tamaran“, was sich in etwa als „unerträglich“ übersetzen lässt. „Heimat“ ist für sie in etwa so abstrakt wie im Buch die Frage nach dem „Tamaran Hill“. Sie fühlt sich heimatlos, weil ihre Mutter früh starb und sie wenig Erinnerungen an sie hat. Ihren Geburtsort hat ihr Vater mit ihr und ihrem Bruder im Gepäck danach verlassen. Und er hat keine Ambitionen über die Vergangenheit zu reden („Vergangenheit? Tamaran!!“). Das Buch macht aus dem „Tamaran Hill“ ein ähnliches Rätsel. Ist Tamaran ein Eigenname? Wenn nicht, warum ist der Hügel oder Berg so unerträglich? Wie wird er geschrieben? Und gesprochen? Bald schon wird für die Studentin die Suche nach dem Tamaran Hill etwas persönliches. Die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit verwischen.


„Tamaran Hill // Trailer“, via NipponConnectionTV (Youtube)

Kotanis Tamaran Hill ist ein entschleunigtes, schwelgerisch-mysteriöses Stück Film, das sich in keine Muster pressen lässt. Es hat Spuren von Surrealismus, wenn die Studentin plötzlich Teil des Buches zu sein scheint oder dessen Autor persönlich trifft. Es fühlt sich sehr künstlerisch und manchmal etwas unzugänglich an, als ob er die Zuschauer auf Armlänge hält. Dass kann u.a. an der großen Bedeutung liegen, die hier Wörtern beigemessen wird. Tamaran hat verschiedene Schreibarten, Übersetzungen und mögliche Deutungen; die sich den Zuschauer nicht erschließen, die des Japanischen nicht mächtig sind. Ich kann ein bisschen, aber kam auch nur so zu 50% mit.

Die Kühle und Orientierungslosigkeit der Studentin in einer Welt, die ihre Heimat vor ihr verbirgt wird anfangs durch sehr sterile Umgebungen begleitet. Als sie sich auf ihrer Suche dem Ziel nähert aber durch Natur durchbrochen, was sofort eine angenehme Abwechslung schafft. Man kann die Redewendung „zurück zu den Wurzeln“ nicht abschütteln – es drängt sich auf. Auch das relativ schwach kontrastierte Schwarzweißbild lässt einen einerseits angenehm arthouse-igen Eindruck entstehen, trägt aber zu der Stimmung einer Suche mit wenig Inhaltspunkten bei. Insgesamt wirkt der Film aber nicht nur wegen seiner Farbpalette „noir“, sondern v.A. auch wegen des Surrealismus und „under-explaning“. Der über vier Jahre entstandene Film ist nicht immer komplett zugänglich und hängt den Zuschauer manchmal ab, hat aber ein angenehm surreales Flair, ohne dabei zu sehr abzudriften. Die Heimatsuche beschreibt einen nahezu perfekten Kreis, während der Film viel Verständnis für seine Protagonistin entwickelt. Der Drang zu wissen, woher man kommt, hat manchmal doch mehr als man ahnt damit zutun, wer man ist.

Tamaran Hill (OT: たまらん坂 „tamaranzaka“), Japan, 2019, Tadasuke Kotani, 86 min, (8/10)

Sternchen-8

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Es mag nicht zwingend am Motiv der Bücher liegen, die in beiden Filmen vorkommen. Viel mehr stehen sie wegen ihrer individuellen „Form“ ganz weit oben auf meiner Favoritenliste der „Nippon Connection 2020“. Wobei halt beides „für Liebhaber“ ist. Wer viel Action oder Comedy sucht, der sollte sich nicht an die beiden wagen. „Tamaran Hills“ ist wohl sogar neben Cenote der Film, der am meisten „Indie“ ist, unter denen, die ich während des Filmfestivals gesehen habe. Habt ihr sie zufällig auch gesehen? Oder einen anderen, der das Prädikat „besonders Indie“ verdient hat?

Eine Antwort

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