Nachdem ich „Zelda“ zu Ende gespielt hatte, war da eine große Leere. Ich hatte echt Fernweh nach Hyrule und wollte einfach nur zurück. Und wenn ich dann doch nochmal in das Spiel einstieg, fühlte es sich etwas „mäh“ an, weil es nach dem Ende von The Legend of Zelda: Breath of the Wild immer nur einen Einstiegspunkt vor dem großen Finale gibt. Das macht also nicht so wirklich Spaß. Wie passend, dass sich das nächste Spiel, das mir in die Hände fiel die der Verarbeitung von Verlust thematisiert. ^^‘
Leugnen
Zu Beginn des Spiels sehen wir zu wie die Welt um unsere Protagonistin Gris einstürzt und sie ihre Stimme verliert. Was bleibt sind Trümmer und öde Landschaften in tristem Grau. Aus Gris‘ Welt ist wortwörtlich jede Farbe verschwunden. Wir laufen zusammen mit Gris los durch die Überreste dessen, was mal ihre Welt war. Navigieren uns durch die 2D-Landschaft, lernen die Regeln dieser Welt in Trümmern. Wir können leuchtende Kugeln (Sterne?) einsammeln, die uns den Weg weisen und mit denen wir Fähigkeiten zurückerlangen. Und bald schon die Farbe zurück in Gris‘ Leben bringen.
„GRIS – Reveal Trailer“, via DevolverDigital (Youtube)
Zorn
Gris ist ein 2D Jump’n’Run, der sich aber alle Mühe gibt uns komplett vergessen zu lassen, dass das Spiel zweidimensional ist. Es gaukelt uns die Dreidimensionalität durch das Design der Welt vor und arbeitet dabei v.A. mit Verdeckung und optischen Täuschungen. Zusätzliche Dynamik gewinnen die Level durch die Wasserfarben-Optik, die als dynamische Hintergründe effektreich, visuell imposant und angenehm zart ist. Die Level sind abwechslungsreich gestaltet: eingestürzte Tempel, fragile Windmühlenlandschaften, immens große Frauenstatuen, tiefe Wälder, unterirdische Seen und noch vieles mehr. Dazwischen begegnet man auch dem einen oder anderen knuffigen Bewohner dieser Welt. Der Effekt der Dynamik verstärkt sich, wenn Gris immer neue Farben wieder entdeckt und die Welt buchstäblich beginnt aufzublühen.
Während wir anfangs nur ein bisschen hüpfen und laufen können, kommen bald mehr Aktionen hinzu bis Gris vielleicht auch ihre Stimme wieder erlangt. Eine der ersten neu gewonnenen Fähigkeiten ist, dass wir Gris zarten Umhang zu einem Klotz formen können, der beispielsweise verhindert, dass sie von Stürmen weggeweht wird. Sie kann außerdem damit bröckelige Gemäuer zum Einsturz bringen und es hilft ihr gegen Widersacher – die gibt es nämlich auch ab einem gewissen Punkt.
Verhandeln
Das Spiel wurde vom spanischen Nomada Studio entwickelt und durch Devolver Digital vertrieben. Vom Bekanntheitsgrad her ist es wohl eher als Indie-Game einzuordnen, aber inzwischen auf vielen Plattformen verfügbar. Angefangen hat es offenbar mit der Nintendo Switch, Mac und Windows um 2018 herum, während in den Folgejahren iOS, die PS4 und Android hinzukamen. Gebaut ist es auf der Unity Engine. Die Steuerung ist sehr smooth, aber die Spielmechanik kann zeitweilig frustrieren. Es entscheiden manchmal die winzigsten Winkel und Zeitabstände, ob man es auf den nächsten Absatz schafft und man muss die Aktion oftmals nicht nur ein, zwei Mal ausprobieren, sondern weitaus öfter. Auch ist nicht immer sofort klar, was das Spiel von einem will und man muss den Kopf ein bisschen bemühen. Einerseits gut – ich mag Spiele, die den Kopf fordern. Aber zusammen mit der Spielmechanik braucht man hier eine gewisse Frustrationstoleranz.
Depression
Apropos Frustration – die Überschriften in diesem Beitrag sind nicht ganz zufällig gewählt. Anfangs könnte man denken, dass unsere Protagonistin Gris an Depressionen leidet und wir daher versuchen die Farben zurück in ihre Welt zu bringen und damit den Lebensmut. Passenderweise bedeutet ihr Name aus dem Spanischen und Französischen übersetzt auch Grau. Irgendwann im Spielverlauf wird aber klar, dass das nur ein Teil der Wahrheit ist. Tatsächlich hat Gris einen Verlust zu betrauern und das Spiel ist in die 5 Phasen der Trauer nach Elisabeth Kübler-Ross aufgeteilt.
Im Zusammenhang damit gibt es auch mehrere Trophäen und Achievements im Spiel einzusammeln. Nur, wenn man die alle hat, erfährt man auch um wen Gris trauert, falls man es nicht schon vermutet. Depression ist ein Teil dieser Phasen, entsprechend die vierte vor der Akzeptanz und schlussendlichen Trauerbewältigung. Wobei das Wort Trauberbewältigung natürlich nicht bedeutet, das alles vergessen ist und nichts mehr weh tut. Es heißt nur, dass man weitermachen kann.
Die Formel, die das Spiel wählt um das zu vermitteln, geht wunderbar auf. Wenn man das erstmal verstanden hat, erkennt man auch das Verhandeln und die anderen Phase umso deutlicher. Die Botschaft, dass man die Hindernisse überwinden und zu einer Form der Normalität zurückkehren kann, dass die Welt wieder ihre Farben annimmt und man zu seiner Stimme zurückfindet ist tröstlich und sehr schön gewählt. Nebenbei sind aber auch andere Lesarten möglich, die weniger traurig sind. Der angenehm zurückgenommene Soundtrack von Berlinist tut sein übriges und zwingt dem Spieler nicht die Gefühle auf.
Akzeptanz (Fazit)
Gris ist trotz seines Frustrationspotentials schon ein feines Gesamtwerk, das v.A. visuell neue Maßstäbe unter den 2D-Spielen setzt. Gris spielt mit unseren Erwartungen, wenn sich beispielsweise im Windmühlen-Level Wege auftun, wenn wir an die Abgründe herantreten oder im Wald die Äpfel und Bäume eckig sind statt rund wie auf unseren Erste-Klasse-Kunstunterricht-Kritzeleien. Der visuelle Stil ist erfrischend unverbraucht und wartet mit kreativen Effekten auf. Ich denke da nur an die Unterwasserwelten mit illuminierten Bäumen und spiegelverkehrten Tempeln, die an Adern erinnernden Geäste und geometrischen Bäume, die unsere Logik fordern, wenn wir versuchen sie zu erklimmen.
Das Aufblühen der Welt und das Thema der Trauerbewältigung greifen großartig ineinander. Die Spieldauer ist verhältnismäßig gering mit vielleicht nicht mehr als 5-7 Stunden je nachdem wie gut man durch die Level kommt und wieviele Anläufe man an diversen Hürden braucht. Gespielt habe ich es auf der Switch und dort sehr genossen. Allerdings war mir das Frustrationspotential zu groß um in mehreren Spieldurchläufen nun eventuell doch noch alle Trophäen zu sammeln.
Kennt ihr das Spiel eventuell und habt es auf einer anderen Plattform gespielt? Ich versuche nachzuvollziehen, ob es an mir oder der Switch liegt, dass ich das Spiel stellenweise als etwas frustrierend empfunden habe!? Inzwischen habe ich schon einige 2D-Spiele gespielt – jüngst u.a. auch Oxenfree und mehrere, die thematisch in ein ähnliches Horn blasen. Egal, ob Life is Strange, Dear Esther oder Firewatch. Alle erziehen uns in die Richtung Entscheidungen zu treffen und sich schwer zu akzeptierenden Tatsachen zu stellen. Spiele, die der Aufarbeitung dienen – sie alle sind wohl ein Beispiel für das ominöse „Prädikat besonders wertvoll“ und dabei sehr emotional. „Gris“ ist dabei aber wohl das optisch am meisten herausstechendste.
Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂
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