Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug ist ein wilder Ritt. Ein Buch, das ich nach dem Lesen erst mal liegen lassen musste, bevor ich eine Meinung hatte. Es ist eins meiner 20 Bücher für 2020. Mein erstes Buch von Kurt Vonnegut, einem Mann, den ich schon vorher sehr weise fand. Und so eine Ahnung hatte, dass es einen Grund gibt warum er auf so wenigen Fotos lächelt. Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug ist eine unglaublich pointierte, wortgewandte, aber schwer zu greifende Satire auf den Irrsinn, der Krieg heißt.
„Das ist alles passiert, mehr oder weniger. Die Kriegsgeschichten entsprechen jedenfalls so ziemlich der Wahrheit.“ p.9
Das erste Kapitel lässt keine Zweifel daran, was dem Autor auf dem Herzen lag. Vonnegut schreibt darin kurzerhand über sich selbst und legt offen dar, dass er im Schlachthof 5 als Kriegsgefangener im zweiten Weltkrieg in Dresden untergebracht war. Dass er (mehr oder weniger) miterlebt hat wie Dresden zerstört wurde. Und dass er lange ein Buch darüber schreiben wollte. Und dass er es oft aufschob. Nicht wusste, wo und wie man anfängt. Als ob Vonnegut mit dem Leser in den Dialog tritt, erzählt er glorreiches und weniger glorreiches, realistisches und trifft uns schon hier verwirrt.
Wann hat uns ein Autor zuletzt vor der Geschichte von der Geschichte erzählt und das nicht Prolog genannt? Wir werden bald merken, dass Vonneguts Dialog mit uns nicht zu Ende ist als wir im zweiten Kapitel den Protagonisten treffen. Der heißt Billy Pilgrim und stolpert mehr über das Kriegsfeld als das er läuft. Er wird aufgegriffen, nach Dresden gebracht und fristet sein Dasein vorerst in einem Keller im Städtischen Vieh- und Schlachthof – Schlachthof 5. Sein Leben scheint aber vor Billys Augen stets zu verwischen – er weiß nie so richtig, wo und wann er im nächsten Moment ist, denn Billy ist ein Zeitreisender.
Das Buch macht es nicht so richtig klar, ob er mit dieser Gabe/Bürde schon zur Welt kam, oder ob das ein Überbleibsel seiner Entführung durch Aliens ist. Das Buch macht auch nicht so richtig klar, ob Billy nur denkt, dass das alles passiert, oder ob es wirklich passiert. Es gibt für beide Varianten eine vernünftige Erklärung – wir können es uns aussuchen. So sitzt Billy im einen Moment im Schlachthof 5 und kotzt sich die Seele aus dem Leib, im nächsten verbringt er seine Hochzeitsreise in Luxus oder erlebt viele Jahre später einen grausigen Flugzeugabsturz. Oder ist wieder Kind und ertrinkt fast beim Versuch seines Vaters ihm das Schwimmen beizubringen. Egal, ob wir Zeuge seines posttraumatischen Stresssyndroms werden, oder ob er das wirklich durchlebt: der aus der Zeit gefallene Billy Pilgrim und die irren Schilderungen seines Lebens lassen uns so orientierungslos, verloren und manchmal auch etwas überfordert zurück wie es sich wohl anfühlen muss, wenn man plötzlich auf dem Kriegsfeld steht und irgendwas von einem erwartet wird, was man nicht will. Aber man muss eben scheinbar mitmachen, wenn man überleben will.
Wie das so ist.
man könnte jetzt denken, dass sich das Buch furchtbar kompliziert liest – das ist nicht der Fall. Vonnegut macht es einem mal abgesehen von den pilgrimschen Zeitsprüngen verhältnismäßig leicht. Er ist ein unglaublich guter Erzähler. Das Buch ist tragikomisch, schwarzhumorig, traurig und komisch im nächsten Moment. Es liest sich nicht wie ein Buch über Krieg, obwohl der Krieg die Hauptrolle spielt. Da fliegen keine Gedärme durch die Gegend, weil ständig irgendwo Bomben hochgehen. Das Buch handelt mehr von der Absurdität des Krieges und zeigt das ganz deutlich an Billy Pilgrim. Da ist allein an dem Fakt, dass er als ziemlich verlorener Typ den Krieg überlebt, wo andere wegen es eines Teekessels hingerichtet werden oder verhungern. Vonnegut bagatellisiert damit den Tod. Jedes Mal, wenn jemand (oder etwas) in dem Buch stirbt, egal ob infolge des zweiten Weltkrieges oder nicht, folgt der lakonisch anmutende Satz „Wie das so ist.“ Ich habe aufgehört zu zählen, so oft. Damit weckt er gemischte Gefühle. Mal macht einen die Beiläufigkeit wütend, mal ist es gar witzig. Ja, witzig! Das erscheint eine große Metapher darauf zu sein wie „normal“ der Tod angesichts des Krieges ist. Oder des Lebens. Denn es gehört wohl untrennbar dazu.
Es ist schwer zu beschreiben in wieviele unterschiedliche Situationen Vonnegut einen stößt und was für ein Spektrum an Emotionen das auslöst. Manchmal raucht es sogar mein Empfindungsvermögen auf, sodass ich als Leser gar nicht weiß, was ich fühlen soll. Es ist manchmal so witzig: „Auf der Fensterbank stand eine Limoflasche. Das Etikett versprach, dass das Getränk keinerlei Nährstoff enthielt.“ (p.86) Wenn es nicht so traurig wäre.
Nicht zuletzt daran wird ganz offensichtlich, dass Vonnegut Literatur inhaliert hat. Dass sie ihm ins Mark und Bein geht, dass er sie verstanden hat. Er unterwandert alle Konzepte, die Romane über Jahrzehnte, Jahrhunderte aufrecht erhalten und bricht mit dem guten Ton. Er redet in dem Buch frech und frei von sich selber. Ja er beginnt sogar mit sich und seiner Odyssee vom Schreiben des Buches. Langem Aufschieben und Versuchen zu greifen, was er da eigentlich erlebt hat. Auch nachdem er im zweiten Kapitel beginnt von Billy Pilgrim zu erzählen, gibt es immer wieder Einschübe in denen er klar macht, dass er dort war. Dass er neben Billy gestanden hat. Er macht sich zum Statisten. Er verrät sogar im ersten Kapitel wie die zwei Titel zustande kamen. Er verrät sogar Anfang und Ende des Romans. Tatsächlich hat er mit seiner verschachtelten Erzählung eine Geschichte Geschaffen, die in keine seiner Shapes of Stories passt. Es wirkt manchmal ein bisschen arrogant, wenn es nicht so genial wäre. Außerdem macht er sich selber zu einer tragischen Figur. Senfgas und Rosen sind seine Fahne, wenn er nachts betrunken andere Veteranen anruft. Senfgas und Rosen sind später im Roman aber auch Verwesungsdämpfe. Er gibt uns fast von Seite eins an den Hinweis, dass sie alle tot sind, weil ihnen allen im Krieg etwas genommen wurde.
Tschilp-tschilp.
Vonneguts Einfallsreichtum sich selber immer ganz unerwartet neben Billy Pilgrim auftauchen zu lassen, kann arrogant wirken. So als ob er es nicht aushalten kann, den Schnabel zu halten. Auf den zweiten Blick ist es aber ein stilistisches Mittel, das uns in die Wirklichkeit zurückholt: er war da. Es ist wirklich passiert. Er hat es gesehen. Und erzählt es jetzt uns. Metafiktion, ist wenn umso deutlicher betont wird, dass beispielsweise Billy fiktiv ist. Mit dem Effekt, dass der Rest umso deutlicher als Realität hervorgehoben wird. Wenn dann aber davon geredet wird, dass Billy von Tralfamadoriern entführt wird und auf dem Planeten Tralfamador in einer Art Museum als Exemplar Mensch ausgestellt wird, dann kann man sich ganz gut darin verlieren darüber nachzudenken, ob das jetzt auch Metafiktion oder Billys post-traumatisches Stresssyndrom ist.
Der Roman ist viel Input. Und gerade deswegen weiß ich kaum wie ich den einen oder anderen Kommentar über Frauen werten soll. Es ist soviel, dass man sich manchmal nicht sicher ist, die Satire, die Anspielung, das Gräuel zu erkennen. Was man aber erkennt ist, dass Vonnegut Dresden achtet.
„Die Waggontüren wurden aufgeschoben, die Türfassungen umrahmten die hübscheste Stadt, die die meisten dieser Amerikaner je gesehen hatten. […] Hinten im Wagon sagte jemand ‚Oz, das Land des Zauberers.‘ Das war ich. Ich selbst.“ p.166
Vonnegut erzählt viel in dem Buch. Er erzählt von einem Antihelden, der nicht nur kriegsmüde ist, sondern nie auch nur ansatzweise für diese Metzelei geschaffen war und irgendwie trotzdem mittendrin gelandet ist. Er erzählt außerdem von Aliens. Er erzählt von der Zerstörung Dresdens und dabei erzählt er auch noch von sich selber. Und das alles passt auf frappierend wenig Seiten und ist mit einem tragikomischen Humor garniert. Es gibt aber gefühlt soviele Eindrücke, Metafiktion und Ideen, die verknüpft sind, dass mir Billy als Charakter wie ein Fähnchen im Wind erscheint und es mir schwer viel mit ihm zu sympathisieren und mitzufiebern. Und nun, viele Wochen nach der Lektüre frage ich mich immer noch, ob das der Vonnegut so geplant hat.
Fazit
Forderndes Buch mit viel Metafiktion, Denkanstößen und einem bitteren, manchmal wahnwitzigen Humor
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-455-40555-2, Hoffmann & Campe
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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