The Haunting of Hill House war die Seriensensation des Herbstes 2018 und hat gezeigt, dass die klassische Geistergeschichte längst nicht so eingestaubt und piefig ist wie ihr Ruf. Emotional, schockierend, fordernd – es gibt wenige, die „Hill House“ gesehen haben und nicht ergriffen und vom Hype infiziert waren. Serienschöpfer Mike Flanagan und Netflix arbeiteten erneut zusammen und wieder wurde ein Klassiker der Schauerliteratur adaptiert – you’ve been expected. Besprechung ist spoilerfrei.
Another Haunting
Als Au-Pair Dani Clayton (Victoria Pedretti) 1987 den Job als Kindermädchen der betuchten Wingraves ergattert, bringt sie einen Geist zu deren Anwesen Bly Manor mit. Eine Schuld aus der Vergangenheit, die niemand sehen kann außer sie selbst. Auf Bly Manor lauern allerdings noch weitaus mehr Geister und Schatten der Vergangenheit. Dani kümmert sich um die kleine Flora (Amelie Bea) und ihren etwas älteren Bruder Miles (Benjamin Evan Ainswort). Beide sind Weisen und ihr Onkel und Vormund Henry Wingrave (Henry Thomas) ist die meiste Zeit abwesend und überlässt den Angestellten Bly Manors den Laden am Laufen zu halten. Was das Menscheln mit den traumatisierten Kindern einschließt. Schließlich ist auch deren letztes Kindermädchen Mrs Jessel (Tahirah Sharif) verstorben – auf Bly Manor. Böse Vorzeichen? Auf Bly Manor gehen außerdem die Haushälterin Hannah Grose (T’Nia Miller), der Koch Owen (Rahul Kohli) und die Gärtnerin Jamie (Amelia Eve) aus und ein.
„The Haunting of Bly Manor | Official Trailer | Netflix“, via Netflix (Youtube)
Wahlverwandtschaften
Wie man am Cast ablesen kann, gibt es ein Wiedersehen mit alten Bekannten aus Hill House. 🙂 Victoria Pedretti spielte dort Eleanor und ist hier als Protagonistin Dani zu sehen. Oliver Jackson-Cohen war in Hill House Eleanors Bruder Luke und spielt hier Peter Quint, einen Vertrauten der Familie, der als verschwunden gilt. Der Familienvater in Hill House ist hier der Onkel der Weisen Flora und Miles. Einige andere Besetzungsdetails behalte ich an der Stelle mal für mich, um den Überraschungseffekt für gewillte Zuschauer aufrecht zu erhalten. 🙂 Es gibt noch mehr Easter Eggs und Details, die sich Hill House und Bly Manor teilen. Das größte davon ist wohl auch das Motiv und der emotionale Unterbau der Serien. Während in Hill House eine zerrüttete Familie wieder zueinander findet, sind es hier Fremde, die zu einer Familie zusammen wachsen. Für andere sich ähnelnde Motive oder Easter Eggs verweise ich mal auf das nachfolgende Video.
Video enthält massive Spoiler für Hill House und Bly Manor
„Every Hill House Easter Egg in The Haunting of Bly Manor“, via TV Guide (Youtube)
Hill-House-Fans werden schon alleine dank des Themas, der wiederkehrenden Darsteller, der einzelnen bereits bekannten Stücke des Scores (auch hier wieder von The Newton Brothers) und diverser Easter Eggs auf ihre Kosten kommen. Wer Hill House entgegen verpasst hat, dem entsteht daraus kein Nachteil – beide Serien funktionieren eigenständig. Aber Ton und Handlung folgen anderen Mustern. Hill House ist fordernder. Es gibt mehr zu entdecken und der Zuschauer muss sich einige Motive selber erklären. Ich spiele da mal alleine auf die Geister im Hintergrund an und die, deren Hintergrundgeschichte gar nicht erzählt oder nur angerissen wird. Oder auch das versteckte Motiv, dass alle Geschwister durch ihre Charaktereigenschaften eine Phase der Trauerbewältigung symbolisieren. In The Haunting of Bly Manor passiert nun etwas, dass inzwischen sogar sehr unschicklich in Filmen und Serien und daher unüblich geworden ist: es erklärt alles. Den Ursprung jedes Geistes, jeder Horror, jedes Schicksal wird aufgelöst, jede Identität offenbart. Zumindest für mich als Zuschauerin, die immer stark von Rätseln angezogen wird, war das unerwartet, überraschend und irgendwie auch desillusionierend. Heißt es nicht normalerweise show, don’t tell!? Kurzzeitig hatte ich das Gefühl, dass es mir den Spaß raubt. Ist das jetzt nicht übererklärt? Danach erst setzte ein Gefühl der Geschlossenheit ein.
Sleep. Wake. Walk.
Letzten Endes blieb das Gefühl, das mir ein wenig Spaß am Rätseln und Fachsimpeln verloren gegangen ist. Aber das heißt ja nicht, dass die Serie alle Twists und Turns vorwegnimmt. Im Gegenteil. Die Serienschöpfer kultivieren auch hier wieder den stilvollen statt den billigen jump scare und säen gerade genug Hinweise, sodass man ab Episode 1 Theorien über die Bewohner von Bly Manor und den Spuk dort sammelt. Die Staffel basiert dabei auf den Schauerromanen Henry James‘, vorrangig seinem The Turn of the Screw. Insbesondere dieses Werk wurde häufig dafür kritisiert, dass es die weibliche Protagonistin durch männliche Rahmen-Erzähler verstummen lässt. Eine „Schuld“, die Mike Flannagan und sein Team nun Jahre später mehr als wieder gut gemacht haben. Nicht nur dadurch, dass es hier eine Erzählerin gibt, sondern auch dadurch, dass vereinzelte Rollen diverser gestaltet wurden. Diversität in Hautfarben und in der Liebe. Eine Modernisierung, für die ich insbesondere dankbar bin.
Dementsprechend divers ist auch der sympathische Cast. Besonders begeistert bin ich von Rahul Kohli als Owen Sharma, T’Nia Miller als Hannah Grose und Jamie (Amelia Eve). Offenbar rocken es die Nebencharaktere für mich hier besonders. Sie strahlen hell, wo in Bly Manor viel Dunkelheit ist. Kein Wunder, dass es auch hier wieder viel um emotionale Wunden und Familien geht. In diesem Fall selbstgewählte Familien, Bündnissen und Liebe. Die anderen starken Motive der Serie sind Besessenheit, Verschwinden, emotionales Trauma und Verlust. Und: Puppen. 🙂 Also für alle von euch da draußen, denen die gut Gänsehaut bereiten: das wird auch hier gelingen. Die Staffel endet übrigens mit einem entscheidenden Hinweis. Nämlich damit, dass es keine Horror-, sondern Liebesgeschichte wäre. Und das stimmt. Und gerade der Teil ist wunderbar gelungen und wohl eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich dieses Jahr in Serien gesehen habe.
(8/10)
Header Images uses a photo by veeterzy on Unsplash
Wie hat euch die Staffel gefallen? Kanntest ihr die Literaturvorlage? Oder bleibt ihr „Bly Manor“ gar fern? An diejenigen unter euch, die die Serie schon gesehen haben: ist für euch die Formel nochmal aufgegangen was das Entdecken der Geister im Hintergrund betrifft? Oder ist das inzwischen ein alter Hut und der Effekt des Versteckspiels ist seit „Hill House“ ausgelutscht?
Schreibe einen Kommentar